Freitag, 29. März 2024

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Synthese zwischen Ernst und Ironie

Michael Thalheimer gelingt es, die "Geschichten aus dem Wiener Wald" als zeitloses Menschenstück zu inszenieren. Er zeigt den "ewigen Kampf zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein", den Horváth als dramatisches Grundmotiv seiner Stücke bezeichnete, mit großer sinnlicher Kraft.

Von Hartmut Krug | 30.03.2013
    Ganz hinten auf der offenen, völlig leeren Bühne sitzen die Menschen im Dunkeln, während Johann Strauß´ Wiener Walzer uns von der schönen blauen Donau erzählt. Während die Musik minutenlang die Bühne allein beherrscht, strahlt das Licht im Zuschauerraum immer heller. So kann sich der Zuschauer seinen eigenen Assoziationen zum Wiener Milieu hingeben. Das er, wenn das Licht im Saal ausgeht, auf der Bühne aber nicht zu sehen bekommt. Michael Thalheimer inszeniert Horváths Volksstück als zeitloses Menschenstück und zeigt den "ewigen Kampf zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein", den Horváth als dramatisches Grundmotiv seiner Stücke bezeichnete, mit großer sinnlicher Kraft. Dabei schafft die Aufführung mit hoher komödiantischer Präzision eine "Synthese zwischen Ernst und Ironie", als folge sie Horváths "Gebrauchsanweisung" für seine Stücke.

    Schon wenn die Figuren nacheinander an die Rampe treten, um hier, nebeneinander und vor dem Publikum stehend, sich darzubieten, werden sie körpersprachlich wunderbar charakterisiert. Es beginnt nicht draußen in der Wachau, sondern in der "stillen Straße im achten Bezirk". Bieder zusammengenommen geht der Rittmeister, schlenkrig selbstbewusst der Hallodri Alfred, hüpfend, lachend aufgedreht die Trafikantin Valerie. Ihr verleiht Almut Zilcher, die diese Rolle schon in Dimiter Gotscheffs Inszenierung des Stücks 2005 am gleichen Ort spielte, eine herrliche, nur manchmal überdrehte Lebendigkeit. Ausgestellt als Charaktermasken, werden alle Figuren pointiert typisiert. Auch wenn der Walzer von Strauß die gesamte Aufführung leise untermalt, stellt der Regisseur das historische Zeitkolorit nebst politischen Anspielungen des 1931 uraufgeführten Stückes nicht groß aus. Wir sehen Menschen, die von Geldbeziehungen bestimmt sind. Und Männer, die über Frauen bestimmen wollen.

    Alle suchen nach Ordnung, Sicherheit und vielleicht auch Liebe. Dabei werden sie beschädigt und innerlich wie äußerlich verformt. Auch wenn sie böse sind und in Beziehungen egoistisch, nehmen wir Anteil an ihrem Scheitern. Weil das bis in die kleinste Rolle tolle Ensemble uns so ungemein lebendige wie komische Menschen zeigt, deren Wünsche und Widersprüche sehr menschlich scheinen. Katrin Wichmann spielt ihre Marianne nicht als leidendes Hascher, sondern als suchende junge Frau, die zwischen zweifelndem "Gott, was hast Du mit mir vor" und dem Selbstbewusstsein einer sich ihre Liebe selbst Aussuchenden wechselt. Vom Vater und dem Bräutigam Oskar mit Alfred an der Donau "erwischt", zeigt sie mit von innen leuchtender Kraft eine schöne Unbedingtheit:

    Alfred: "Das Fräulein Braut haben bis eben geschwommen."

    Marianne: "Lüg nicht! So lüg doch nicht! Nein, ich bin nicht geschwommen, ich mag nicht mehr schwimmen! Ich lass mich von euch nicht mehr tyrannisieren. Ich lass mir mein Leben nicht verhunzen, das ist mein Leben! Gott hat mir im letzten Moment diesen Mann da zugeführt. – Nein, ich heirat' dich nicht, ich heirat' dich nicht, Oskar, ich heirate dich nicht."

    Der von Marianne verschmähte, ungeliebte Fleischer Oskar ist beim untersetzten, dick ausgestopften Peter Moltzen ein brodelnder schwarzer Trauerkloß, böse und melancholisch, dumm und nachdenklich zugleich. Wenn der Marianne eine Bonbonniere schenken will, scheitert das als lange, still herrliche Slapstick-Nummer. So könnte man viele Szenen im ersten Teil des wenig mehr als zweistündigen Abends mit Begeisterung beschreiben. Leider zieht Michael Thalheimer seinen Schauspielern nach und nach, beginnend in der Szene in der Wachau, schlichte quadratische Pappmasken vor die Gesichter. Wohl weil der Druck auf die Figuren, die immer mehr zu Ruinen werden, in sich zusammenkriechen und sich in Gruppenformationen finden, alle gleichermaßen beschädigt hat und zur individuellen Unkenntlichkeit kenntlich macht. Was vorher lebendig spannungsreiches Theater war, wird nun müdes Konzeptspiel ohne Timing. Wunderbar noch, wie verletzlich und unschuldig Katrin Wichmanns Marianne im Maxim barbusig im bunten Konfettischnee steht und "Draußen in der Wachau" singt. Dann, verlassen von Alfred, auch das Kind ist gestorben, entgeht sie doch Oskar und seiner drohenden Liebe nicht: Er reicht Marianne eine Maske, sie sinkt an seinen Arm und steht in der frontalen Reihe aller. Insgesamt ist dies ein Abend der Schauspieler, der beinahe zu einem Theaterereignis geworden wäre.