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Syrien
Arabische Analytiker über Lösungsansätze

In Europa wird noch überlegt, wie man mit den neuen Akteuren auf dem syrischen Boden umgeht. China warnt währenddessen vor einem Stellvertreterkrieg zwischen Moskau und Washington. Und in Syrien sterben derweil die Menschen im Feuer der Streubomben oder sind auf der Flucht. Gibt es vielleicht einen gemeinsamen arabischen Lösungsansatz?

Von Björn Blaschke | 17.10.2015
    Eine an den Rändern zerfetzte syrische Fahne wehr vor einem zerstörten Gebäude in Homs
    Eine syrische Fahne in der zerstörten Stadt Homs (picture alliance / dpa / Valery Sharifulin)
    Dass eine Lösung für die Syrien-Krise im Nahen Osten gefunden; ein Ende des Krieges aus der Region heraus erreicht werden könnte - das war lange ein Traum vieler arabischer Analytiker. Insbesondere weil 2003 Saddam Husseins Regime im Irak von den USA und deren westlichen Verbündeten, gestürzt wurde. Eine Intervention von außen, die allerdings bis heute anhaltenden Chaos im Irak geführt hat; ein Chaos, das Analytiker in Syrien hatten verhindern wollen. Doch mittlerweile haben viele ihre Meinung geändert; sie wollen, dass internationale Kräfte in Syrien aktiv werden. Zum Beispiel Sarkies Na'oum, Kolumnist der Zeitung "An-Nahar", ein weithin anerkannter libanesischer Syrien-Kenner:
    "Ich denke, dass die Lösung der Syrien-Krise - wie jede andere Krise in der Region - aus der Region heraus gefunden werden sollte. Aber ich glaube nicht, dass die Lösung tatsächlich aus der Region kommen wird."
    "Anfangs, 2011, hätte es noch die Möglichkeit gegeben. Die arabischen und muslimisch dominierten Staaten - also die Türkei, Saudi Arabien, Katar und andere - hätten zunächst einmal die politische Opposition einen sollen, die anfangs das Gesicht der Revolution in Syrien war. Sie hätten die Freie Syrische Armee stärken sollen; diejenigen, die aus der syrischen Armee desertiert sind, um im Widerstand zu kämpfen. Kurz: Die Muslime haben ihre Pflicht nicht erfüllt. Stattdessen haben sie sich untereinander Konkurrenz gemacht."
    Konkurrenz um Vormachtstellungen: Iran und Saudi-Arabien, die Türkei und Katar. Und im Zuge dieses Wettstreits konkurrieren diese Kräfte auch darum, wer, wen in Syrien mit mehr Waffen und Geld unterstützt. Faleh Abdul-Jaber ist Soziologe und Leiter des Instituts für Irak-Studien in Bagdad und Beirut. Er weist darauf hin, dass er noch nie eine Lösung der Syrien-Krise aus der Region heraus erwartet hat:
    "Worum handelt es sich bei dieser Region? - Ägypten wird sich nicht einmischen. Jordanien? - Nachdem der IS den abgestürzten jordanischen Piloten bei lebendigem Leibe verbrannt hat?! Die haben eine große Vergeltungs-Show danach hingelegt; aber jetzt werden sie nichts mehr unternehmen. Der Irak hat ja dasselbe Problem wie Syrien. Iran ist schon mitten drin. Die Türkei? Die denken mehr über die Kurden nach, als über alles andere. Was ist 'die Region'? Das ist nur ein Begriff. Ansonsten ist es bloß eine Fantasie-Vorstellung; Selbstbetrug - und am Ende passiert nichts. Und ich spreche dabei davon, dass die Idee von der Region, die selbst etwas machen soll, aus der Region stammt."
    Wie also sollte ein Ende des Krieges in Syrien erreicht werden? Sollte mit Bashar al-Assad verhandelt werden, wie es die Russen wollen? Obwohl er ursächlich für mindestens 200.000 Tote verantwortlich ist? Oder sollte nicht mit Assad verhandelt werden? Was die USA bevorzugen würden.
    "Es gibt ein arabisches Sprichwort, das lautet: 'Wenn Du den Hund brauchst, sprich ihn mit Eure Exzellenz an'. Und Araber mögen keine Hunde. Anders als die Europäer. Ich denke für eine Weile wird Assad bleiben, ein halbes Jahr, ein Jahr, anderthalb. Es ist keine Frage der Person: Die Institutionen müssen intakt bleiben, in dem Sinne, dass sie fähig sind zu handeln."
    "In Syrien gibt es keinen Staat mehr"
    Die Institutionen müssen intakt bleiben. Ein Argument, das auch die russische Führung immer wieder anführt. Sarkies Naoum lässt es gleichwohl nicht gelten:
    "In Syrien gibt es keinen Staat mehr. Keine Institutionen. Das, was von den Sicherheitskräften, der Armee übrig ist, sind Alawiten, Assads Glaubensgenossen - die aus dem schiitischen Islam hervorgegangen sind, ein paar Sunniten - und Milizen, die von Iranern ausgebildet und geführt werden; dazu kommen schiitische Iraner, Iraker, Afghanen und die libanesische Hisbollah. Wenn man diesen Militärapparat und die Geheimdienste als Institutionen ansehen will. Und das, was sonst noch vor sich hin, arbeitet? Das Justizwesen? Na, das sind doch keine staatlichen Institutionen mehr. Der Staat ist fertig. Syrien muss neu aufgebaut werden; der syrische Staat. Und zwar von Null an. Wer mit denjenigen redet, die heute an der Macht sind, wird das alte Regime im neuen Syrien wieder an die Macht bringen; ein Minderheiten-Regime mit anderen Figuren."
    Sarkies Naoum kommt zu dem Schluss:
    "Es ist unmöglich jetzt eine Lösung für Syrien zu finden. Vielleicht tritt der alltägliche Krieg in eine andere Phase ein, hin zu einer: De-facto-Teilung des Landes. Jeder bleibt auf seinem Gebiet, manchmal mit Kämpfen, manchmal aber auch mit einem fast normalen Leben. Und dann man muss sehen, ob diese Teilung langfristig offiziell anerkannt wird oder nicht."
    Ein Waffenstillstand, der dann auch dazu genutzt werden sollte, gegen die Terrororganisation vorzugehen, die sich IS, Islamischer Staat, nennt:
    "Ich denke, das sollte eine amerikanisch-russische Übereinkunft sein. Dabei würden wahrscheinlich die Differenzen mit Russland wegen der Ukraine eingefroren. Die Sanktionen gegen Russland aufgehoben. Und dann gemeinsame Bodentruppen."
    "Die örtlichen Bevölkerungsgruppen müssen eingebunden werden. IS-Leute müssen überzeugt werden, aufzuhören: Es würde eine Amnestie für jene geben, die Mitläufer waren. Und diejenigen Ausländer, die kein Blut an den Händen haben, könnten nach hause gehen oder sonst wo unterkommen."
    In diesem Punkt ist sich der Iraker Faleh Abdul-Jaber mit dem Libanesen Sarkies Naoum einig:
    "Amerika kann das nicht allein machen. Es bedarf einer internationalen Übereinstimmung - auf UN-Sicherheitsratsniveau - aber hauptsächlich einer amerikanisch-russischen Übereinstimmung. Beide müssen mitmachen, wenn es Erfolg haben soll."
    "Eine militärische Intervention ist notwendig"
    "Eine militärische Intervention ist notwendig! Und zwar mit mindestens 100.000 Soldaten. Wer mit dem IS Schluss machen will, braucht 100.000 Soldaten mindestens, die voll ausgestattet sind mit allen Waffengattungen und unterstützt werden aus der Luft. Innerhalb eines Monats würden sie den IS schlagen, aber sie brauchen mindestens 18 Monate um in einer Haus-zu-Haus Operation mit dem IS aufzuräumen - in Syrien und im Irak."
    Ob sich an solch einer Bodenoffensive die arabischen Staaten beteiligen würden? Zum Beispiel die Ägypter?
    "Die werden das nicht machen, die haben ihr eigenes Sinai-Problem, auch wenn es Ägypten wirtschaftlich besser geht. Das Land berappelt sich, ist aber noch zu sehr mit sich und seinen Problemen beschäftigt. Für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Und Saudi-Arabien? Das ist mit dem Jemen beschäftigt."
    "Aber von den Golf-Arabern sollte es finanzielle Hilfe geben. Denn: Militärisch könnte solch ein Unternehmen von den Arabern - außer von Jordanien vielleicht - nicht unterstützt werden."
    Sarkies Naoum teilt die Haltung von Faleh Abdul-Jaber.
    "Es sind nicht die arabischen Staaten, es ist nicht das syrische Regime, es sind nicht die sunnitischen Muslime in Syrien, auch wenn sie einander zeitweilig bekriegen, es werden nicht die Türken sein, weil sie sich mit den Arabern überwiegend überworfen haben, und die Europäer sowieso nicht - die wollen ihren Lebensstil behalten."
    Für Sarkies Naoum steht aber für den Augenblick zugleich fest,
    "Glauben Sie nicht, dass es eine Lösung geben kann solange Präsident Obama noch im Amt ist! Das ist vorbei. Er ist meiner Meinung nach zwar kein schlechter Präsident, aber einer ohne jegliche Strategie für Syrien. Er hatte nie eine. Und in der ihm verbleibenden Amtszeit wird er die USA bestimmt nicht in einen großen Bodenkrieg verwickeln. Das wird man dem neuen US-Präsidenten überlassen. Daher sage ich: Erst einmal zeichnet sich für Syrien keine Lösung am Horizont ab."