Samstag, 20. April 2024

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Syrien
Assads Friedhof und das Völkerrecht

Folter, Mord, Verschleppung: Im Syrien-Krieg gibt es viele Menschenrechtsverletzungen, die juristisch in die Kategorie Kriegsverbrechen einzuordnen sind. Ob syrischer Geheimdienst oder die Terroreinheiten des sogenannten Islamischen Staates - die Vorwürfe gehen in viele Richtungen.

Diskussionsleitung: Stephan Detjen | 13.03.2019
Frauen fliehen mit ihren Kindern aus dem IS-Dorf Baghus im Osten des Landes.
Zivilisten fliehen aus Baghus (dpa)
Fünf Jahre lang hat Carla del Ponte als Mitglied der UNHCHR-Kommission solche Menschenrechtsverletzungen im syrischen Bürgerkrieg untersucht. Bei ihren Recherchen habe sie so perfide Foltermethode kennengelernt, wie sie sie zuvor noch nicht gesehen habe, berichtet die frühere Chefanklägerin in Den Haag. 2017 warf sie frustriert das Handtuch. Sie sehe, obwohl inzwischen viele Fakten auf dem Tisch lägen, keinen politischen Willen, Verbrechen aufzuklären und Täter hinter Gitter zu bringen.
Gründe dafür gibt es gleich mehrere: Zum einen kann der Internationale Strafgerichtshof nicht tätig werden, da Syrien kein Vertragsstaat ist. Einzig der UN-Sicherheitsrat könnte die Verfolgung an den Internationalen Strafgerichtshof verweisen. Doch dagegen legen Russland und China ihr Veto ein. Inzwischen fordern aber immer mehr Staaten, zumal in Nordeuropa, die Einrichtung eine Tribunals. Und auch Bundesinnenminister Horst Seehofer ließ sich zuletzt in der Süddeutschen Zeitung mit dem Satz zitieren, die Sache sei zwar nicht einfach, der Vorschlag aber richtig.
Wie können die rechtlichen Instrumente zur Geltung gebracht werden, die es für die Verfolgung von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen gibt ? Lassen sich Folter, Giftgaseinsätze, willkürliche Verhaftungen in Syrien juristisch aufklären ?
Die Diskussion unter Leitung von Stephan Detjen, mit:
  • Usahma Darrah, Politikwissenschaftler und im Vorstand des Verbandes Deutsch-Syrischer Hilfsvereine
  • Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion
  • Kristin Helberg, freie Journalistin , Buchautorin, die lange in Syrien gelebt hat
  • Wolfgang Kaleck, Anwalt und Generalsekretär des Europäischen Zentrums für Verfassungs- und Menschenrechte

Die Journalistin und Buchautorin Kristin Helberg schilderte, die anfängliche Freiheitsbewegung habe den Konflikt verloren. Assad habe den Krieg militärisch mit Unterstützung von Iran und Russland gewonnen, müsse die Macht im Land aber nun teilen, unter anderem mit Geschäftsleuten, die ihm nahestehen, mit Milizen. Das dramatische an der Lage sei, dass alle, die Assad an der Macht hielten, überhaupt kein Interesse an Aufarbeitung von Verbrechen, an Gerechtigkeit und auch an der Bekämpfung der Korruption hätten.
Ein Krieg des Staates gegen seine Bürger
Usahma Darrah, Politikwissenschaftler und im Vorstand des Verbandes Deutsch-Syrischer Hilfsvereine, hob hervor, dass er vor acht Jahren zu den Menschen gehört habe, die für Frieden und Freiheit in Syrien auf die Straße gegangen seien. Was sich in Syrien abgespielt habe, sei kein Bürgerkrieg gewesen, sondern ein Krieg des Staates gegen die Bürger, systematisch und gegen alle Konventionen des Kriegsrechts mit der Unterstützung Russlands und der Unterstützung von konfessionell schiitischen Milizen aus dem Ausland. Es sei derzeit davon auszugehen, dass in syrischen Gefängnissen 80 bis 120.000 inhaftiert seien, davon etwa 20 Prozent Frauen und Kinder.
Wolfgang Kaleck, Anwalt und Generalsekretär des Europäischen Zentrums für Verfassungs- und Menschenrechte hob hervor, dass derzeit versucht werde, mit den Mitteln, die das internationale Strafrecht biete, Verbrechen ermitteln und verfolgen zu lassen. Eigentlich sei der Internationale Strafgerichtshof zuständig, da Syrien das Staut aber nicht unterzeichnet habe und der UN-Sicherheitsrat den Fall nicht dorthin überweise, könne der Gerichtshof nicht tätig werden, bzw. nur unter sehr engen Voraussetzungen. Ein internationales Tribunal oder gemischt nationales Tribunal würde ebenso von der Zustimmung des UNO-Sicherheitsrats abhängen, und komme daher auch derzeit nicht in Betracht.
Staatsterror ist aus der Ferne schwer zu ahnden
So bleibe die Strafverfolgung in Drittstaaten, sagte Kaleck, und geschehe gerade in Deutschland, Frankreich aber auch in Skandinavien und anderen westeuropäischen Staaten. Es würden viele Syrer derzeit als Zeugen vernommen und es liefen Ermittlungsverfahren bis auf Geheimdienstebene und gegen Tatverdächtige, die sich in Deutschland befinden. Die Bundesanwaltschaft befasse sich seit 2011 mit der syrischen Situation und versuche mit allen Mitteln, Taten nach dem Völkerrecht aufzuklären. Es sei eine komplexe Angelegenheit, Staatskriminalität, staatliche Gewaltverbrechen, verübt von Geheimdienstkräften, aus der Ferne zu ermitteln. Die in Deutschland lebenden Syrer hätten aber den Eindruck, dass hier von deutsche Seite ernsthaft ermittelt werde, sagte Kaleck.
"Das Schiff hat sich in Bewegung gesetzt", ergänzte Usahma Darrah mit Blick auf begonnene Ermittlungen, für die Opfer sei das eine große Genugtuung. Andererseits hätten viele Betroffene auch den Eindruck, dass die bisherige Strafverfolgung weder dem Ausmaß noch der Schwere der begangenen Verbrechen angemessen sei.
Von Assad verwalteter Friedhof
Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfaktion, appellierte an Russland, die Arbeit der von der UNO eingesetzten Ermittlungskommission nicht weiter zu behindern. Für die Zukunft Syriens sei ein umfassender Friedensprozess notwendig und die westliche Welt müsse sich die Frage stellen, ob das mit Assad überhaupt möglich sei. Die Position Russland werde vermutlich sein, dass es ohne Assad keinen Frieden gebe, meint Hardt. Diese Grundsatzfrage komme auf die Internationale Gemeinschaft in den nächsten Monaten zu, dann müsse der Westen klare Bedingungen formulieren für den Wiederaufbau und für den Übergang weg von Assad hin zu einer anderen Regierung. Für nachhaltigen Frieden sei die juristische und gerichtliche Verfolgung von Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen unverzichtbarer Bestandteil, andernfalls bleibe Syrien ein von Assad verwalteter Friedhof des Schweigens.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.