
Wenn Naji al-Ahmad von "wir" spricht, meint der junge Familienvater nicht nur sich, seine Frau und die sechs Kinder. Seine Wünsche und Hoffnungen teilen die rund 80.000 Einwohner in Zaatari, dem zweitgrößten Flüchtlingslager der Welt. Gleichzeitig versuchen sie, sich mit bescheidenen Mitteln ein neues Leben in Jordanien aufzubauen: Im Flüchtlingslager sind die weißen Zelte mit dem Logo der Vereinten Nationen Containern gewichen. Wer nach Zaatari fährt, sieht die Zelte nun rechts und links von der Fahrbahn am Straßenrand. Syrische Flüchtlinge hätten die Planen – nun da sie sie nicht mehr brauchen – kurzerhand an Beduinen verkauft, heißt es. Mit ein wenig Neid in der Stimme erzählen Jordanier anerkennend vom Geschäftssinn der Syrer.
"Das Regime hat Hunderttausende getötet – ob es nun 200.000, 300.000 oder 400.000 sind, spielt keine Rolle, denn Menschen werden inzwischen nur noch auf Zahlen reduziert. Dieses Regime hat Chemiewaffen gegen das eigene Volk eingesetzt, und jetzt soll mit ihm verhandelt werden? Millionen Syrer sind auf der Flucht. Glauben sie wirklich, dass diese Menschen Assad und sein Regime noch einmal unterstützen? Niemals. Wir brauchen eine ehrliche Lösung."
Doch an einer solchen Lösung seien weder die regionalen noch die internationalen Akteure aufrichtig interessiert, sagt Hassan Abu Haniya. Die USA hätten kein Interesse daran, nach den Kriegen im Irak noch einmal Soldaten in die arabische Welt zu schicken, Europa gehe es darum, weitere Flüchtlinge von seinen Küsten fernzuhalten, Russland wolle sich international als Weltmacht positionieren und weiterhin in Syrien Zugang zum Mittelmeer haben, Saudi-Arabien und Iran kämpfen um die Vormacht in der Region. Hinzukommen Israel, der Libanon und Jordanien. Und allen gehe es grundsätzlich um eines: Stabilität.
"Sie bevorzugen ein Regime, das diese Stabilität garantiert und ihre eigenen Interessen nicht gefährdet. Man kann das Egoismus nennen. Auch bei den US-Amerikanern und den Europäern. Dass sie nicht in Syrien kämpfen, liegt nicht etwa daran, dass sie sich um die Araber sorgen. Ihnen geht es ebenfalls um ihre Interessen. Nur sind die allesamt kurzfristig."
Eine langfristige Strategie fehle, kritisiert Hassan Abu Haniya. Bislang setzten alle Seiten auf die militärische Karte – sowohl in Syrien als auch im instabilen Nachbarland Irak.
Jordanien hat seine Ausgaben für Armee und Sicherheitskräfte stetig erhöht. Die Grenze nach Syrien ist so gut wie geschlossen. Rund 17.000 Flüchtlinge harren nach Angaben der Vereinten Nationen vor den Übergängen aus. Täglich werden nur einige wenige durchgelassen – aus Furcht, dass sich Terroristen unter die Flüchtlinge mischen.
"Die Politik der verbrannten Erde funktioniert nicht. Wir brauchen eine langfristige Strategie. Zusätzlich zum militärischen Vorgehen brauchen wir einen Wiederaufbauplan. Ramadi ist komplett zerstört. Was wird aus den Menschen, die alles verloren haben? Sie werden sich dem IS anschließen. Es sei denn ein Wiederaufbau bietet ihnen eine Perspektive."
Doch davon ist in Genf keine Rede. Stattdessen ist das Ziel, binnen sechs Monaten eine Übergangsregierung für Syrien zu bilden. Ein aussichtsloses Unterfangen, meint Hassan Abu Haniya – und alle Beteiligten wüssten das.
"Ich halte es für ausgeschlossen, dass die Weltgemeinschaft das Problem nicht erkannt hat. Wenn Sie mit Experten sprechen – egal ob aus den USA oder Frankreich – sie alle wissen Bescheid. Aber echte Lösungen sind kostspielig. Das will keiner. Ebenso wenig sind sie bereit, ihre regionalen Interessen zurückzustellen. Es mangelt also am politischen Willen, nicht am Verständnis der Lage."