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Syrien-Konflikt
Menschliche Schutzschilde gegen Assads Bomben

Eingesperrte Männer, Frauen und Kinder - das sind die schockierenden Bilder eines Internetvideos. Eine Koalition aus islamischen Rebellen-Gruppen will mit menschlichen Schutzschilden gegen die weitere Bombardierung der Region Ghuta al-Sharqia östlich von Damaskus kämpfen. Menschenrechtsgruppen sind alarmiert.

Von Sabine Rossi |
    Durch die Gitterstäbe schaut ein Mann. Hageres Gesicht, seine Haut ist grau. Der Käfig, in dem er mit einigen weiteren Männern eingesperrt ist, steht auf der Ladefläche eines Transporters.
    Als Oberst Riad Hamdan von der syrischen Armee stellt sich der Mann vor. Er gehöre zur Gruppe der Alawiten – ebenso wie Syriens Präsident Bashar al-Assad. Mehr als drei Jahre sei er in Gefangenschaft. Dann ruft er Assad und das Regime auf, die Bombardements auf Ghuta al-Sharqia einzustellen, die Gegend in der er gefangen ist.
    Das Video hat das sogenannte Sham News Network im Internet veröffentlicht, ein Nachrichtenkanal der syrischen Opposition. Seit Beginn der Unruhen in Syrien stellt Sham News Network Videos ins Netz. Bislang galten sie als belastbare Quelle.
    Unschuldige als Schutzschild
    Der Käfig, in dem der Mann sitzt, sowie weitere Käfige mit den Gefangenen – so heißt es – sollen auf Märkten und öffentlichen Plätzen abgestellt werden. Damit wollen die Gegner Assads verhindern, dass die syrische Armee und die mit ihr verbündete russische Luftwaffe die Gegend weiter unter Beschuss nehmen.
    In einem weiteren Käfig sind sechs oder sieben Frauen eingesperrt. Eine von ihnen sagt, dass sie ursprünglich aus Latakia an der Mittelmeerküste komme und ebenfalls Alawitin sei.
    "Wir bitten das Regime, dass dies aufhört",
    sagt die Frau und meint die Luftangriffe.
    "Wir sind ein Volk. Uns trifft keine Schuld, und auch die Menschen in Ghuta al-Sharqia sind unschuldig, ihre Kinder genauso wie unsere. Am Ende sind wir doch alle Syrer."
    Keine Anhaltspunkte für eine Manipulation
    Die Trümmer der Häuser, die in dem Video zu sehen sind, bieten kaum Anhaltspunkte, um zu erkennen, ob dies tatsächlich Ghuta al-Sharqia ist. Eine Analyse der Bilder ergibt nach ARD-Recherchen keine Anhaltspunkte für eine Manipulation.
    Ghuta al-Sharqia, eine Region östlich von Damaskus ist seit Jahren stark umkämpft. Im Sommer 2013 starben mehr als 1.000 Menschen bei einem Giftgasangriff. Derzeit beschießt die Luftwaffe Ghuta al-Sharqia. Am Boden hat die syrische Armee das Gebiet so gut wie abgeriegelt. Essen und Medizin sind knapp.
    Das ARD-Studio Kairo hat mit einem jungen Mann vor Ort gesprochen. Er nennt sich Yousef Albostany und arbeitet mit der Opposition zusammen – die vom Anfang der Revolution, sagt er, und grenzt sich damit von den bewaffneten Gruppen ab, die inzwischen in Syrien kämpfen.
    "Ja, ich habe die Käfige gesehen. Ehrlich gesagt, habe ich mir gewünscht, dass so etwas nicht passieren möge, nicht hier. Ich war traurig und hatte widersprüchliche Gefühle.
    In den Käfigen sind auch unschuldige Frauen und Kinder. Offen gesagt, es ist hart, dass das Regime diese Frauen und Kinder in so eine Situation zwingt, damit es selbst mit seinen systematischen Bombardements aufhört. Und leider wissen wir, dass es trotzdem nicht aufhören wird."
    Gegenseitige Schuldzuweisungen
    Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London verfügt über ein Netz von Aktivisten in Syrien. Sie macht die Gruppe Djeisch al-Islam dafür verantwortlich, die Gefangenen eingesperrt und als menschliche Schutzschilde missbraucht zu haben. Djeisch al-Islam ist die stärkste Gruppe der Assad-Gegner in Ghuta al-Sharqia. Ihr Pressesprecher, Islam Alloush, weist im Telefonat mit dem ARD-Studio Kairo die Vorwürfe zurück.
    "Das stimmt nicht. Die militärische Situation vor Ort ist allerdings so: Die syrische Luftwaffe fliegt ständig schwere Angriffe mithilfe der Russen. Es gibt viele Opfer."
    Neben Djeisch al-Islam sind weitere Assad-Gegner in Ghuta al-Sharqia aktiv: Gruppen der Freien Syrischen Armee, die vom Westen als moderat bezeichnet wird, ebenso wie Jabhat al-Nusra, der Ableger Al-Qaidas in Syrien. In Ghuta al-Sharqia sind all diese Gruppen sogar ein gemeinsames Bündnis eingegangen. Welche von ihnen auch immer für das Video verantwortlich ist, sie behauptet, bereits 100 solcher Käfige aufgestellt zu haben.
    Deutliche Worte von Human Rights Watch
    Geplant seien bis zu 1.000. Diese Zahlen kann Yousef Albostany, der junge Aktivist, nicht bestätigen. Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat darüber keine Erkenntnisse. Ihr Nahostexperte, Nadim Houry, hat ebenfalls Kontakt zu Syrern in Ghuta al-Sharqia.
    "Wir wissen nicht, wie viele Gefangene in dieser Art missbraucht und in Gefahr gebracht wurden. Das Prinzip, Menschen in Käfige einzusperren, ist zu verurteilen.
    Selbst dann, wenn es Angriffe verhindern soll, die rücksichtslos gegen Zivilisten gerichtet sind. Es bleibt eine Verletzung des Kriegsrechts. Wir sehen darin ein Kriegsverbrechen."