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Systemische Pflanzenschutzmittel
Harte Keule, wenig Nutzen

Sogenannte systemische Pflanzenschutzmittel verteilen sich beim Heranwachsen der Pflanze im gesamten Organismus. Dadurch werden Fressfeinde getötet, aber auch nützliche Insekten wie Bienen. Eine internationale Wissenschaftler-Gruppe fordert nun, diese Art Mittel strenger zu bewerten.

Von Joachim Budde | 01.07.2014
    Ein Landwirt fährt mit einer Dünger- und Pestizidspritze über ein Feld.
    Forscher stießen auf Auswirkungen systemischer Pflanzenschutzmittel, die bei der Zulassung noch nicht berücksichtigt wurden. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Insektengifte töten Insekten – dazu sind sie da. Und sie töten nicht nur Schädlinge, sondern alle Insekten, die genügend davon aufnehmen, das ist auch keine Überraschung.
    Bei der Gruppe der systemischen Pflanzenschutzmittel sehen Wissenschaftler jetzt aber besondere Probleme. Dabei ist das Prinzip erst einmal einleuchtend: Schon die Samen von Nutzpflanzen wie Mais oder Raps werden mit diesen Pestiziden umhüllt. Beim Wachsen nehmen die Pflanzen die Stoffe auf und verteilen sie von den Wurzeln bis in die Blattspitzen. Jedes Tier, das Blätter frisst, Nektar saugt oder Pollen sammelt, kommt also damit in Kontakt.
    Eine Gruppe von 30 Wissenschaftlern, die sich in der International Task Force on Systemic Pesticides zusammengeschlossen haben, haben 800 Studien aus den letzten Jahren ausgewertet, um die Auswirkungen systemischer Pflanzenschutzmittel nicht nur auf Insekten, sondern auch auf andere Lebewesen und auf die Biodiversität insgesamt zu beurteilen. Dave Goulson, Biologieprofessor an der Universität im englischen Sussex, fasst die Ergebnisse zusammen.
    "Es sieht so aus, als sei der Einfluss dieser Mittel auf die Umwelt viel größer als bisher angenommen. Bisher hat man vor allem den Einfluss auf Honigbienen beachtet, weil Imker die ersten waren, die feststellten, dass ihre Völker starben. Aus all den Studien aber kommen wir zu der Erkenntnis, dass die Geschichte tatsächlich noch größer ist: Diese Pestizide reichern sich im Boden an, sickern in die Flüsse und verschmutzen die Kulturlandschaft, sodass alle Insekten, die dort leben, ihnen ausgesetzt sind. Auch Tiere, die Insekten fressen, bekommen die Auswirkungen zu spüren, weil ihr Nahrungsangebot verschwindet."
    Konkret geht es um Insektizide aus der Gruppe der Neonicotinoide und um Fipronil. Sie alle sind Nervengifte. Wirksamkeit und Auswirkungen auf nützliche Insekten wurden natürlich vor der Zulassung untersucht. Doch Dave Goulson und seine Kollegen stießen auf Auswirkungen, die dabei noch nicht berücksichtigt wurden. Zum einen geht es um die sublethalen Effekte: Die Mittel bringen zum Beispiel Bienen durcheinander, auch wenn sie die Tiere nicht direkt töten. Ein anderer Punkt sind Wechselwirkungen mit anderen Mitteln.
    Unerforschte Wechselwirkungen
    "Es gibt eine Klasse von Fungiziden, die für sich harmlos sind für Insekten. Erst kürzlich hat man aber entdeckt, dass sie die Fähigkeit von Insekten stören, Gifte auszuscheiden. Sie machen Insektizide also gefährlicher. In Großbritannien bringen Bauern üblicherweise einen Mix von 20 verschiedenen Fungiziden, Herbiziden, Schneckengiften und Insektiziden auf ihre Felder aus. Die Wechselwirkungen zwischen all diesen Stoffen verstehen wir noch überhaupt nicht."
    Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben die Forscher gerade auf Pressekonferenzen in den USA, Europa und Japan präsentiert. Die fünf Studien zu den verschiedenen Aspekten selbst erscheinen in einem Sonderheft der Fachzeitschrift "Environmental Science and Pollution Research", doch lediglich die Schlussfolgerungen sind bisher verfügbar. Das hat einige Kritik von Seiten der Hersteller hervorgerufen.
    Charles Godfray, Professor an der Universität im englischen Oxford, hat vor ein paar Wochen im Fachmagazin "Proceedings of the Royal Society B" ebenfalls eine solche Metastudie veröffentlicht. Er hat die Schlussfolgerungen gelesen und mit seinen Ergebnissen verglichen.
    "Bis wir die Studien in ihren Details kennen, ist es schwer, sie detailliert zu bewerten. Ich habe mir aber die Aussagen der Autoren zu den Einflüssen auf Bestäuberpflanzen gründlich angesehen und nichts gefunden, was unserer eigenen Studie widerspräche."
    Godfray und seine Kollegen haben ihre Ergebnisse auf eine deutlich neutralere Weise dargestellt als Dave Goulson und seine Mitstreiter. Er sieht Forschungsbedarf besonders in einem Punkt. Alle Seiten seien sich einig, dass Bestäuberinsekten mit sublethalen Dosen der Gifte in Berührung kämen und dass die einzelnen Insekten darunter litten, sagt Charles Godfray.
    "Die eigentliche Frage, für die wir nur wenig Daten haben, lautet: Haben diese sublethalen Dosen Auswirkungen auf die Bestäuber insgesamt und auf ihre Leistung im Ökosystem? Das einzige groß angelegte Experiment dazu zeigt zwar keine Auswirkungen, ist aber von beschränkter Aussagekraft."
    Dave Goulson fühlt sich bei den Ergebnissen der Task-Force-Studie an die 50er-Jahre erinnert, als die Nebeneffekte von DDT bekannt wurden.
    "Das große Problem mit DDT war seine Langlebigkeit. Auch Neonicotinoide werden in der Umwelt nur sehr langsam abgebaut. Sie können sich also anreichern, wenn Bauern sie jedes Jahr erneut einsetzen. Und die meisten Bauern bringen diese Insektizide aus, egal ob tatsächlich Schädlinge da sind oder nicht. Sie unterlassen andere Methoden wie Fruchtwechsel oder den Einsatz natürlicher Feinde. Ein bisschen wiederholt sich die Geschichte."
    Nutzen systemischer Pflanzenschutzmittel unklar
    Wirklich verblüffend sei aber noch ein anderer Aspekt. Obwohl die systemischen Pflanzenschutzmittel ein Drittel des Pestizid-Marktes ausmachten, sei ihr Nutzen alles andere als klar. In der vorletzten Woche habe ein Vertreter von Bayer dem Ausschuss des britischen Unterhauses, der sich mit Umweltverträglichkeit befasst, Auskunft gegeben.
    "Einer der Abgeordneten fragte ihn, ob es eine Studie gebe, die belege, dass die Saatgutbehandlung mit Neonicotinoiden den Ernteertrag steigere. Er konnte keine einzige nennen. In letzter Zeit haben ein paar Studien hingegen gezeigt, dass es fast keine Unterschiede gibt zwischen Feldern mit und ohne Neonicotinoidbehandlung. Das wirft wirklich die Frage auf, warum wir sie überhaupt benutzen."