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Szenarien fürs Abendland

Europa hoch 'n': Künstlerisch nachdenken über Europa will das "transregionale Exzellenzprojekt" des Goethe-Instituts noch bis zum April 2013. Die Ergebnisse sollen in mehreren europäischen Städten und in Peking gezeigt werden. Zum Auftakt in Berlin präsentierten die Kuratoren nun ihre Pläne und bisherigen Erfahrungen.

Von Cornelius Wüllenkemper | 08.07.2012
    "So müssen wir gemeinsam arbeiten, um eine gesunde Wirtschaft aufzubauen und zu erhalten. Kein Land kann dieses Ziel für sich allein erreichen. Zusammen schaffen wir es, wenn wir gute Europäer sind."

    Was die deutsche Filmemacherin Eva Kroll in ihrem Film "Der Schumann Plan" von 1952 über die Anfänge der europäischen Einigung mit der Montanunion textete, steht heute, in Zeiten der Finanzkrise, weiterhin im Zentrum der europäischen Diskussion: die gemeinsame Anstrengung von allen für alle, aber bitte ohne dabei die ureigenen Interessen gänzlich aus dem Blick zu verlieren. Der Auftaktfilm des Festivals Europe (to the power of) N rief gleich ins Gedächtnis zurück, dass Europa nie etwas anderes war, als eine permanente Selbstbefragung, ein Zweifel über die eigene Identität, eine Unsicherheit gegenüber dem Willen und der Notwendigkeit des Zusammenschlusses. Birgitt Steinert, die künstlerische Leiterin des Festivals, stellte in ihrem Programm in den Mittelpunkt,

    "Dass Europa, egal wie man sich das auch wünscht, nicht zu definieren ist, dass es nicht ein Europa gibt, sondern dass es viele Europas gibt. Das fängt schon bei geographischen Konfigurationen an, aber auch bei sehr unterschiedlichen Interpretationen auch, was dieses Europa auszeichnet, welche Traditionen für Europa charakteristisch sind. Und es haben eigentlich auch in sehr vielen Texten Autoren auch problematisiert, dass es nichts in Europa gibt, von dem nicht auch sein Gegenteil existiert."

    Dass Europa ein höchst dehnbarer und letztlich wenig aussagekräftiger Begriff ist, merkte man sowohl der kuratorischen Gestaltung des Festivals als auch den individuellen Werken einzelner Künstler durchaus an. Ihre Szenarien – also mögliche Zukunftsvisionen von Europa, stellen sie bis März 2013 in ihren Heimatstädten, von Brüssel bis Minsk, von London bis Istanbul vor. Beim Auftaktfestival in Berlin wurde nun eine Überblicksschau auf die verschiedenen nationalen Projekte präsentiert. Der Kurator aus Brüssel, Filip Luyckx, stellt den Gedanken Europas als vermeintlich perfekt geölte Verwaltungsmaschine, als anonymes Machtzentrum in den Mittelpunkt seiner Schau.

    "Hier biete es sich an, versteckte Spannungen und potenzielle Gefahren aufzuzeigen. Der britische Künstler Jonathan Monk habe die Möglichkeit gehabt, innerhalb der europäischen Verwaltungsgebäude einen Versammlungsraum einzurichten, in dem er an der Wand den Termin eines Treffens hinterlassen habe: am Glockenturm von Leceister im Jahre 2020. Das spiele an auf unser Verhältnis zueinander und inwiefern wir uns vertrauen können, wenn es um Verabredungen gehe, die nur auf zwischenmenschliche Kontakt zurückgehen und weit in der Zukunft liegen."

    Auch durch den Außenblick soll Europa bei EuropeN seine Identität finden. Das bewies in Berlin unter anderem die Vortrags-Performance des Chinesen Jun Yang, der sich fragte, wie er zum Europäer geworden war, während er mit dem Wiener Schnitzel aufwuchs. Der belgische Künstler Koen Vanmechelen, beschäftigte sich auf eine ganz eigene Art mit den verschiedenen Ethnien des europäischen Kontinents: um das Potential der Vielfalt und des Multikulturalismus zu verdeutlichen, bediente er sich der verschiedenen nationalen Hühnerrassen. Wo das französische Poulet de Bresse mit rot-weißem Gefieder und blauen Beinen die Trikolore verkörpert, züchtet Vanmechelen das mithilfe der Gentechnik transnationale Hühnerrassen.

    "Die Frage sei, können wir das tun? Er denke, als Künstler müssen man diesen Rahmen sprengen, um eine Weiterentwicklung zu ermöglichen. Deswegen habe er 1999 sein Cosmopolitan Chicken Project begonnen, bei dem er Hühner aus der ganzen Welt gekreuzt habe. Er habe Hühner ausgewählt, weil sie einem bestimmten Land zugeordnet werden."

    Für viele Beiträge des Auftaktfestivals in Berlin galt, dass sich eine Verbindung zum Thema Europa wenn überhaupt, oft nur sehr abstrakt herstellen ließ. Sowohl der äußerst komplexe kuratorische Anspruch von EuropeN, als auch die oft hochgradig verschlüsselten künstlerischen Ideen dürften sich schwerlich dazu eignen, ein europäisches Bürgerbewusstein zu befördern – und kranken damit an der gleichen, oft zitierten Schwäche der europäischen Konstruktion. Für EuropeN gilt: Weniger wäre mehr gewesen.