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Szenen einer Ehe

Das Stück "Mamma Medea" setzt sich mit dem antiken Stoff aus der Euripides-Tragödie auseinander. An den Münchner Kammerspielen hat es Stephan Kimmig nun auf die Bühne gebracht. Und das, was dann auf der Bühne zu sehen war, war ein schriller Paarlauf dissonanter Gefühle und asymmetrischer Passionen.

Von Cornelie Ueding |
    Von wegen Mamma Medea. Selten hat man eine weniger mütterliche Medea gesehen. Gut, am Ende meuchelt nicht sie die Kleinen, sondern - wohl zum ersten Mal in 2500 Jahren Medea-Theatergeschichte - ist es ihr ungetreuer Gatte Jason, der die Bluttat im Off vollzieht. Und dass er dies tut und dass er dies tut, wirkt zwar überraschend, aber nicht aufgesetzt. Denn was hier an den Münchner Kammerspielen vorgeführt wird, ist von Beginn an weniger eine One-woman-Show, sondern eine ausgewachsene folie à deux.

    Ein schriller Paarlauf dissonanter Gefühle und asymmetrischer Passionen. Die Blut- und Gewaltspur, die beide hinterlassen (und die ist neben dem Sex das klebrigste Bindemittel dieses Paares) ist beachtlich und wird von beiden immer wieder ermüdend unermüdlich und zunehmend vorwurfsvoll aufgezählt: Medeas Vater gebrochen - Medeas Bruder von ihr in die Falle gelockt, von Jason umgebracht - Schwester und Kinder dem Untergang preisgegeben - die Rivalin verbrannt - deren Vater verglüht - die eigenen Kinder erschossen.

    Es gibt keine Untat, sagt Medea, eine Art 'Lady Medea', zu Jason, die ich für dich nicht schon begangen hätte. Und jeder spürt, dass sie die Wahrheit sagt. Ihre Wahrheit. Und die Wahrheit dieser bürgerkriegsähnlichen Ehe, die einem Automatismus des Serienmordens gehorcht. Folgerichtig verkommt der "Dialog" zur Keif- und Brüllorgie einer Nachmitttagstalkshow, in der die Partner sich wechselweise anfetzen und aufs gröbste verletzen, bevor sie einander dann doch wieder in die Arme sinken.

    Und wehe denen, die vermittelnd dazwischen geraten. Soweit so zeitnah: Medea in Zwei-Zimmer-Küche-Bad-Atmo, das kennt man. So, what's new?

    Neu ist der mutige Anfang. Neu ist das Vorspiel dieses vernichtenden Endlos-Liebesakts zwischen zwei Abhängigen. Im 1. Teil von Tom Lanoye's Bearbeitung des antiken Stoffs werden die archaischen Wurzeln Medeas, die fast zwangsläufige Logik der Geschichte, ihre Überforderung und der Anfang dieses Liebeswahnsinns konkretisiert. Ganz langsam, nur an den leichten Verschiebungen der Perspektive überhaupt wahrnehmbar, dreht sich die Spielfläche, die Katja Hass mit ein paar Wandbruchstücken möbliert hat. Ein Ort, der die schiefen Beziehungen der Figuren offenbart, ihre Ratlosigkeit und auch ihre Tücke im Umgang mit den aus ihrer Sicht immer fordernder auftretenden Fremden. Im zweiten Teil ist die wie eine hängen gebliebene Schallplatte immer schneller kreiselnde Scheibe mit Wänden vollgestellt, von Ascheregen kontaminiert. Nichts als Nischen, tote Winkel, enge Passagen, kein Lebensraum. Auch kein Spielraum. Nur noch ein symbolischer Ort. Jason versteigt sich nach oben, Medea liegt außerhalb im schwarzen Modder.

    Das Problem von Lanoye's Medea-Version: Der wesentlich auf Euripides beruhende 2. Teil wiederholt fast zwangsläufig all das, was er im neu dramatisierten 1. Teil dialogisch geformt hat und zeigt. Da hilft auch der Wechsel der Sprach-Ebenen vom hohen Ton zur Alltagsgrobheit wenig. Was bleibt, ist die ewige Repetition des Immergleichen: Szenen einer Ehe. So hat Lanoye Medea zwar durchgehend entmythologisiert, aber dafür eine trivialisierte Engführung in Kauf genommen, die auch dem eigenen Anspruch nicht genügt - nämlich die Dialektik zwischen Fremdheit und Gewaltbereitschaft zu ergründen. Es wird viel geredet übers Fremdsein und das längst aufgebrauchte Mitleid mit der Fremden, die nach wie vor auf besonderer Würdigung ihrer ganz persönlichen Opfer besteht.

    Aber wie zeigt man Fremdheit, wenn man sie nicht ausstellen will? Die wunderbare Sandra Hüller als Medea ist blind verliebt, eigensinnig, eigenwillig und blond, nicht exotisch. Auch bei der Gewaltdarstellung setzt Stephan Kimmig, Regisseur der Münchner Aufführung, auf Körperspiel und kluge Nuancen: ein böses Lächeln, verkrümmte Körper, ein gefrorenes Gesicht, verlogene Freundlichkeit. Die Gefühle hinter der Maske zeigt er nicht. So kann auch er der Öde des Abgesangs nicht ganz entgegenwirken und man ist nach 3 Stunden nicht mal verwundert, dass das kampferprobte Paar, leicht erschöpft aneinandergelehnt, gemeinsame Erinnerungen ausgräbt - und den nächsten Ortswechsel ins Auge fasst.