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Tabak gegen Atemwegserkrankungen

Medizin. - Das Waffenarsenal gegen Bakterien ist inzwischen beunruhigend geschrumpft, weil sich Resistenzen immer stärker ausbreiten. Pflanzenphysiologen versuchen jetzt, eine neue Klasse von Antibiotika mit Hilfe von Tabakpflanzen herzustellen.

Von William Vorsatz |
    Das Max-Planck-Institut für Pflanzenphysiologie in Golm. In einem der Glasgebäude grünt es besonders üppig. Die Biologin Melanie Oey:

    "Hier sehen Sie unsere Tabakpflanzen, etwa 1,50 m bis 1,70 Meter hoch, sehr schöne, große Blätter, Frischmasse vielleicht ein Kilogramm Blätter an einer Pflanze dran, und oben haben wir eine ganze Menge Blüten."

    Petit Havana heißt die Sorte. Es sind allerdings keine normalen Tabakpflanzen. Die Wissenschaftler haben sie gentechnisch verändert. Jetzt produzieren sie ein Enzym, das Bakterien bekämpft. Es gehört zur Gruppe der sogenannten Lysine. Experten kennen solche Lysine als Bestandteil von Bakteriophagen, also speziellen Viren, die sich im Bakterium vermehren und es dabei am Ende von innen heraus auflösen. Professor Ralph Bock, Leiter der Forschungsgruppe:

    "Der interessante Befund ist, dass man für die Zerstörung der Bakterienzelle nicht den kompletten Bakteriophagen, das komplette Virus braucht, sondern das dieses eine Protein ausreicht, um die Zerstörung des Bakteriums einzuleiten. Und das ist natürlich eine sehr günstige Situation, um diese Eiweiße, diese Lysine, als neue Antibiotika zu entwickeln."

    Nun haben die Wissenschaftler in Golm einen Weg gesucht, um solche Lysine preiswert und unkompliziert in hohen Mengen herzustellen. Am besten eignen sich dazu Tabakpflanzen, denn sie wachsen schnell. Ein weiterer Vorteil: Wenn Tabakpflanzen zur Herstellung von Medikamenten genutzt werden, haben auch die Landwirte neue Perspektiven, trotz zurückgehendem Tabakkonsum. Am effektivsten ist es, die Chloroplasten in den pflanzlichen Zellen zu verändern. Hier findet die Photosynthese statt, aus Licht, dem Kohlenstoff der Luft und Mineralien des Bodens produzieren die Pflanzen die Biomasse. Und weil nicht die Zellkerne verändert werden, sondern nur die Chloroplasten, können die Pollen der blühenden Tabakpflanzen solcher Veränderungen auch nicht übertragen. Es kann also nicht zu ungewollten Auskreuzungen kommen.
    Die Max-Planck-Wissenschaftler haben ein spezielles Verfahren entwickelt, um jene Gene in die Chloroplasten zu bekommen, die dann die Lysinherstellung veranlassen. Dazu schießen die Forscher winzige Goldpartikel mit Fremdgenen direkt in die Pflanzenzellen. Melanie Oey zeigt die Partikelkanone:

    "Sieht so ein bisschen aus wie eine Espresso-Maschine. Wir haben also zum einen unten diese Kammer, wo dann das Blatt drin ist, in dieser Kammer legen wir ein Vakuum an, hier oben haben wir den Teil, wo dann dieser Druck aufgebaut wird, und wenn hier oben ein gewisser Druck aufgebaut wird, dann werden diese Goldpartikel beschleunigt und dann fliegen diese Goldpartikel auf dieses Blatt."

    Die genveränderten Pflanzen produzieren anschließend die antibiotisch wirkenden Proteine. Bis zu 70 Prozent der gesamten Pflanzeneiweiß-Masse besteht aus Lysin. Die Forscher können es leicht extrahieren. Schon geringe Mengen davon wirken gegen Krankheitserreger: sofort, innerhalb von Minuten. Ein großer Vorteil gegenüber herkömmlichen Antibiotika, die erst nach einiger Zeit helfen. Außerdem gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass die Bakterien resistent werden gegenüber den neuen Proteinen. So könnten Lysine gerade bei multiresistenten Erregern ein letzter Ausweg sein. Es gibt sehr viele unterschiedliche Lysine. Jedes einzelne wirkt spezifisch gegen eine ganz bestimmte Bakterienart. Gegenwärtig experimentieren die Max-Planck-Forscher mit einem Eiweiß gegen Streptokokken, die beim Menschen unter anderem Atemwegserkrankungen auslösen. Als Spray oder Bonbon angewendet, könnte es beispielsweise die Atemwege sofort und dauerhaft von bakteriellen Befall befreien. Ralf Bock:

    "Wir schauen uns jetzt natürlich andere Krankheiten an, die man mit anderen Lysinen bekämpfen kann, und haben da auch schon vielversprechende Experimente, dass wir zum Beispiel Erreger von Lungenentzündung auch mit ähnlichen Ansätzen bekämpfen können."

    In Tierversuchen haben die Eiweiße keine unerwünschten Nebenwirkungen gezeigt. Jetzt ist die Pharmaindustrie gefragt, um konkrete Medikamente zu entwickeln.