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Tabubruch mit Folgen

Die Zahlen sprechen für sich. Aus der Opferstatistik des Bundeskriminalamtes geht im Jahr 2006 hervor: Die Wahrscheinlichkeit von den eigenen Eltern getötet zu werden, ist für ein Kind im Alter von Null bis sechs Jahren in Ostdeutschland viereinhalb Mal so hoch wie in Westdeutschland.

Von Susanne Arlt |
    Obwohl in den vergangenen Jahren die Gesamtzahl der Kindstötungen in Deutschland gesunken ist, hat der Kriminologe Christian Pfeiffer eine gegenläufige Entwicklung zwischen den neuen und alten Bundesländern ausgemacht.
    Ertränkt in Lübben, verhungert in Frankfurt an der Oder, erdrosselt in Köpenick. Der Kinderschutzbund geht davon aus, dass in jeder Woche drei Kinder an den Folgen von Misshandlungen sterben.

    Warum das in Ostdeutschland häufiger vorkommt, dafür gibt es bislang noch keine fundierte Erklärung.
    Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hat trotzdem nach Erklärungen gesucht. 30 Jahre lang hatte er als Gynäkologe in der DDR gearbeitet, 17 Jahre davon als Chefarzt das Krankenhaus Paul-Gerhardt-Stift in Wittenberg geleitet. Er hätte damals lieber Leben schenken als Leben nehmen wollen, sagt er.
    Doch nachdem 1972 der Paragraph 218 in der DDR abgeschafft worden war, stieg die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche drastisch an. Mit der Reform konnte jede Frau den Eingriff bis zur zwölften Woche vornehmen lassen, ohne dafür eine Begründung abgeben zu müssen. Der damalige DDR-Minister für Gesundheitswesen, Ludwig Mecklinger, formulierte es in seiner Rede so: In dem neuen Gesetz werde die Möglichkeit geschaffen, sich das Leben nicht von biologischen Zufällen beeinflussen zu lassen.

    Böhmer: "Wer den Paragraphen eins des Gesetzes liest, weiß, dass Schwangerschaftsabbruch zum Instrument der Familienplanung gemacht worden ist. Nur von mir kann ich sagen, dass ich bei mir gemerkt habe, wie das zu einem Wertewandel geführt hat, wenn man das jeden Tag mehrfach machen muss."
    Der Gynäkologe Wolfgang Böhmer bewarb sich deshalb zwei Jahre nach Abschaffung des Abtreibungsparagraphen als Chefarzt bei einem evangelischen Krankenhaus. Das routinemäßige Abtreiben von Föten habe ihn schon damals belastet. In der kirchlich geprägten Geburtenklinik waren Schwangerschaftsabbrüche dagegen tabu. Vor diesem Hintergrund müssen wohl auch die Thesen zu den Kindstötungen gesehen werden, die der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt jetzt dem Nachrichtenmagazin Focus anvertraute - und die in den vergangenen Tagen zu heftigen Protesten geführt hatten. In dem autorisierten Interview antwortete Böhmer auf die Frage, warum das Risiko eines Babys im Osten umgebracht zu werden drei- bis viermal so hoch sei wie im Westen:

    Ich erkläre mir das vor allem mit einer leichtfertigeren Einstellung zu werdendem Leben in den neuen Ländern. Die Frauen entschieden, ohne sich auch nur einmal erklären zu müssen. Das wirkt bis heute nach. Es kommt mir so vor, als ob Kindstötungen von Neugeborenen - die es allerdings schon immer gab - für manche ein Mittel der Familienplanung seien.

    Die Reaktionen folgten prompt. Noch am Tag der Veröffentlichung äußerte sich Reinhard Höppner, ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Wer so über Menschen rede, für die er mitverantwortlich sei, könne seine Aufgabe als Ministerpräsident nicht mehr wahrnehmen. Wolfgang Tiefensee, Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Länder, verlangte vom sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten, sich bei den Eltern im Osten für seine Äußerungen zu entschuldigen. Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, forderte Wolfgang Böhmer sogar zum Rücktritt auf:

    "Weil er pauschaliert, er kriminalisiert Frauen aus Ostdeutschland. Er macht doppelt Menschen verdächtig, Frau zu sein und in der DDR gelebt zu haben reicht ihm als Begründung aus für Misshandlungen und Kindestötungen. Das ist wirklich absolut unerträglich. "

    Auch im eigenen Bundesland stoßen die Schlussfolgerungen des Ministerpräsidenten auf Kritik. Wulf Gallert, Vorsitzender der Linkspartei, verurteilt die pauschale Darstellung. Der gelernte Grundschullehrer macht andere Gründe für die erhöhte Zahl von Kindstötungen im Osten aus.

    "Die Ursachen für die Kindstötungen hier im Osten liegen in der jetzigen gesellschaftlichen Situation, in den sozialen Krisen, die sich in vielen Teilen der Bevölkerung abspielen. Die Ausweglosigkeit, die empfunden wird, sind Folgen eines verfehlten Bildungssystems, das bei uns eingeführt worden ist. Und dafür trägt er Mitverantwortung. Er ist Politiker in dieser Zeit, hat diese Dinge mitrealisiert und versucht jetzt die Verantwortung dafür auf die DDR zu schieben. Das ist absolut verantwortungslos. "
    Und auch in der eigenen Partei stieß Ministerpräsident Böhmer mit seinen Äußerungen auf Kritik. Die Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete Antje Tillmann bezeichnete die Aussage Böhmers als eine Kränkung für jede ostdeutsche Frau, die sich intensiv bemühe, ihren eigenen Kindern eine Zukunft zu geben. Der Sozialexperte der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, Markus Kurze, sagte dazu:

    "Ich bin der Meinung, dass man, um Debatten anzustoßen, sich sicherlich der Mittel bedienen kann, überspitzt Aussagen zu formulieren, um zu provozieren. Am Ende erzeugt man dann öffentlich Debatten, aber an sich, in der Sache, teile ich die Aussage unseres Ministerpräsidenten nicht. "

    Selten haben sich parteiübergreifend Bundes- wie auch Landespolitiker so schnell einhellig geäußert. Darum sieht sich noch am Tag der Veröffentlichung Wolfgang Böhmer zu einer Stellungnahme gedrängt. Vor laufenden Kameras relativiert er den direkten Zusammenhang zwischen der DDR und den Kindsmorden:

    "Ich habe nie behauptet, dass ich das ganz genau wüsste. Aber ich weiß zwei Sachen: Das hat es auch schon früher gegeben, obwohl das damals nicht in den Zeitungen stand und man keinen richtigen statistischen Überblick hatte. Und zweitens ist es eine Tatsache, die man auch nicht wegdiskutieren kann, dass mit der sehr überraschenden Freigabe der Schwangerschaftsabbrechung - Ende Dezember 1971 war das - dass dies dazu geführt hat, dass die Anzahl dieser Schwangerschaftsabbrüche ganz rapide angestiegen ist und sich in wenigen Jahren ein relativ unbekümmerter Umgang mit der Entscheidung über werdendes menschliches Leben eingebürgert hatte. Daraus weitere Zusammenhänge zu ziehen ist denkbar, aber statistisch nicht belegbar."
    Als Beispiel zieht Wolfgang Böhmer Fälle heran, die er in seiner Zeit als Gynäkologe erlebt hat.

    "Das war so, dass junge Frauen ins Krankenhaus gekommen sind und gesagt haben: ich habe in diesem Jahr einen Urlaubsplatz am Schwarzen Meer in Bulgarien bekommen und da möchte ich nicht schwanger sein, sondern ich will jetzt diese Schwangerschaft abbrechen. Wir können ja später erneut über ein anderes Kind reden. Das meine ich mit leichtfertigem Umgang."

    Darum müsse auch die Frage erlaubt sein, weshalb in solchen Einzelfällen der Kindstötung, die Hemmschwelle so niedrig liege. Die Wertschätzung menschlichen Lebens habe sich in den letzten Jahrzehnten weltweit verändert - so Böhmer. In den neuen Ländern hänge dies auch mit der Abschaffung des Paragraphen 218 von 1972 zusammen. Und noch etwas stört den Landesvater an seinen Landeskindern. Das in vielen Bereichen Fortleben der DDR-Mentalität.

    "Dass in einem Staat, in dem der Staat es für sich in Anspruch nimmt, alle Strukturen des Sozialwesens als seine eigene Leistung darzustellen, dass ein solcher Staat die Bürger dazu verführt zu sagen, der Staat ist dafür verantwortlich, dass es mir gut geht. Und das führt dann zu einem Abbau der Eigenverantwortung."

    Fakt ist: Bis heute gibt es keine gesicherten wissenschaftlichen Untersuchungen über die Motive von Kindsmorden. Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, lässt derzeit alle 911 gerichtlich abgeschlossenen Fälle von Kindstötungen in der Bundesrepublik untersuchen. Der Zeitraum bezieht sich auf die Jahre 1997 bis 2006.

    Doch Armut alleine könne nicht der Grund dafür sein, dass Kindstötungen im Osten häufiger vorkommen als im Westen, sagt Pfeiffer. Darum berücksichtigt die Untersuchung auch das soziale Netzwerk der zumeist sehr jungen Täterinnen. Dazu zähle die Frage nach dem eigenen Elternhaus, dem Freundeskreis und einer intakten Beziehung. Erste fundierte Ergebnisse der Studie werden für Juli erwartet. Der Theologe und SPD-Politiker Richard Schröder war einer der ersten und einer der wenigen, die Wolfgang Böhmer für seine Äußerungen in Schutz nahmen:

    "Der ist zu DDR-Zeiten entsetzt gewesen, über das was manche Frauen ihm da gesagt haben, das arbeitet in dem weiter. Wenn das aus seiner Berufserfahrungswelt stammt, etwas, was ihn schon immer bedrückt, dann muss man hier mal den Gynäkologen reden hören. Der Ministerpräsident ist außerdem Gynäkologe und hier hat er als Gynäkologe gesprochen und da darf er auch etwas sagen, was ein Ministerpräsident, der alles auf die Goldwaage legt, vielleicht nicht sagen sollte."

    So wie Wolfgang Böhmer glaubt auch der Theologe Schröder, dass Prägungen über Generationen nachwirken. Kritiker hatten zuvor argumentiert, dass die gerade mal 20-jährigen Täterinnen zu jung seien, um durch die DDR geformt worden zu sein. Doch Schröder glaubt, dass sich junge Menschen, die erst nach der Wende aufgewachsen sind, sehr wohl an den Werten ihrer Eltern orientieren.

    "Was passiert, wenn nach einer Gesellschaft mit hoher sozialer Kontrolle diese wegfällt? Dann gibt es diejenigen, die froh sind, die Gängelei losgeworden zu sein und diejenigen, die Schwierigkeiten haben, sich selbst einen Rahmen zu setzen, wenn er nicht von außen gesetzt wird. Und dieser Teil ist das Feld wo wir häufiger Verwahrlosung antreffen und zwar nicht als DDR-Erbschaft direkt, sondern als verwandeltes DDR-Erbe. Und das ist auch etwas von DDR-Erbschaft."

    Da die Tötungen von Neugeborenen immer nach verheimlichten Schwangerschaften passierten, handelt es sich seiner Meinung nach um Frauen in sozialer Isolierung. Die aber finde heute statt und könne darum nicht der DDR angelastet werden. Einen Zusammenhang zwischen Kindstötungen und DDR-Mentalität vermag der Theologe Schröder daher auch nicht herzustellen.

    "Die soziale Kontrolle im Umfeld von Schwangerschaft und Geburt war sehr hoch. Darum ist es sicherlich auch nicht richtig zu sagen, die Kindstötung sei eine direkte und unmittelbare Fortsetzung von DDR-Mentalitäten. Das ist sicherlich so nicht richtig."

    Der Theologe Schröder begrüßt die Debatte, die Wolfgang Böhmer angestoßen hat. Denn eines sei gesichert, auch ohne wissenschaftliche Analyse. Der Respekt vor ungeborenem Leben habe in der DDR vor allem bei Funktionären so gut wie keine Rolle gespielt. Schröder zitiert den Fall einer Spitzensportlerin. Ihr wurde zur Abtreibung geraten, damit sie an den Wettkämpfen teilnehmen und für die DDR eine Medaille holen konnte. Das gesellschaftliche Interesse in der DDR habe immer auch eine Rolle gespielt bei der Frage nach dem Kinderkriegen. Eine Diskussionskultur in der DDR habe es aber nie darüber gegeben.

    Der Direktor der Medizinischen Fakultät für Rechtsmedizin an der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale, Manfred Kleiber, stellt ebenfalls Unterschiede zwischen Ost und West fest. In dem Abtreibungs-Gesetz der DDR von 1972 war vorgeschrieben, der Arzt habe die Patientin über die medizinische Bedeutung eines solchen Eingriffes aufzuklären. Und er sollte sie beraten, welche schwangerschaftsverhütende Methoden und Mittel existierten. Die Pille wurde auf Rezept kostenlos abgegeben. Institutsdirektor Manfred Kleiber kritisiert, dass psychologische Beratungen hingegen nicht vorgeschrieben waren.

    "Ich sehe die andere Mentalität, die durch diese ganz klare DDR-Regelung war. Bis zur zwölften Woche hatte man das Recht, und es wurde gar nicht gefragt. So pauschal will ich das gar nicht sagen, natürlich haben das die meisten Ärzte auch getan. Aber wenn das junge Menschenkind die Frau nicht wollte, dann musste sie sich nicht beraten lassen."

    In einer Doktorarbeit ließ das Hallenser Institut für Rechtsmedizin Fälle von Kindstötungen Neugeborener zehn Jahre vor und nach der Wende untersuchen. Dabei kam heraus: in dem Zeitraum davor gab es insgesamt 42 Verdachtsfälle auf Kindstötungen bei 221.000 Geburten.

    Kleiber: "Unter diesen Fällen waren acht Fälle, in denen dokumentiert ist, die Täterin habe angegeben, sie sei beim Gynäkologen gewesen, hätte einen Schwangerschaftsabbruch gewollt. Aber da die zwölfte Woche überschritten war, sei sie abschlägig beschieden worden. Immerhin: in diesem ganzen Material sind acht, die das als Begründung für die Kindstötung angegeben haben."

    Danach seien es nur noch 14 Säuglinge in Bezug auf 90.000 Geburten gewesen. Den leichten Rückgang erklärt sich der Rechtsmediziner auch mit der gestiegenen Qualität der Beratungen.

    Die Gynäkologin Petra Kaltwaßer vom Universitätsklinikum Halle an der Saale glaubt jedoch nicht daran, dass es sich die Frauen in der DDR leichter gemacht hätten, abzutreiben. Außerdem sei dieses Gefühl auch nicht messbar und das Ganze somit unseriös.

    "Wir mussten auch vor der Wende immer Gespräche führen, haben das mehr oder weniger auch getan. Es hängt auch von der Person des Arztes ab. Der eine wird bei Routineanwendungen so eines Eingriffes irgendwann immer die gleichen Argumente hören und nicht mehr so viel nachfragen und hinnehmen, dass er von dem Willen sich einfach erschlagen fühlt und dem nachgibt. Es ist schon sehr, sehr schwierig jetzt zu sagen, es ist da leichtfertiger passiert. Die Situation ist immer eine persönliche Notsituation. Es gibt sicher auch Frauen, die vielleicht leichtfertiger sind. Aber die Mehrzahl der Frauen, für die ist es eine Notsituation, sonst würden sie sich in dieser Situation auch nicht entschließen, das zu machen."

    Die Gynäkologin Petra Kaltwaßer fragt sich indes, weshalb trotz der vielen Verhütungsmethoden, heutzutage immer mehr junge Mädchen schwanger würden und auch abtrieben. Daher würde sie gerne den Staat stärker in die Pflicht nehmen.

    "Wo gehört das Thema hin. Ganz zeitig muss das stattfinden. Und wer erklärt das so konkret? Wer erklärt, was ist Schwangerschaftsabbruch. Man könnte das zum Beispiel nutzen, schon frühzeitig jetzt bei den jungen Mädchen in der Schule zu thematisieren. Das müsste man vielleicht flächendeckend wirklich machen, als Anliegen Wertschätzung menschlichen Lebens."

    Inzwischen bedauert Ministerpräsident Wolfgang Böhmer, dass seine Mutmaßungen über die Ursachen von Kindstötungen in Ostdeutschland so abgedruckt worden seien. Dadurch sei ein pauschaler Eindruck entstanden.

    "Und das ist ja auch das, was ich bedauere. Es ist diese Pauschalierung, wie sie am Ende rausgekommen ist, nicht richtig. Ich habe auch versucht, das differenziert darzustellen. Und habe auch gesagt, dass es so unterschiedliche Gruppen gibt, man beim besten Willen nicht mit einer Erklärung das ganze Thema abräumen kann."

    Da das Interview aber von der Staatskanzlei autorisiert worden ist, müsse er auch die Verantwortung dafür übernehmen, räumt Böhmer ein. Im Landtag hat er sich inzwischen dafür entschuldigt.

    "Da eine solche pauschalierende Aussage nicht gerechtfertigt ist, bin ich nicht nur bereit, sondern würde mich ganz aktiv bei jenen Frauen und Müttern mit DDR-Biografie, für die das alles nicht zutrifft, auch von hier aus entschuldigen, denn das haben sie nicht verdient."
    Focus-Redakteurin Ulrike Plewnia betont, dass die Zusammenhänge in dem Interview allein durch den Ministerpräsidenten hergestellt worden seien.

    "Ich stehe zur Quintessenz des Interviews. Es gibt Verkürzungen, wenn jemand sagt, das will ich nicht total verallgemeinern und wir dann schreiben, eine Ursache ist, dann ist das natürlich einerseits verkürzt, andererseits aber im Sprachgebrauch korrekt, wenn wir uns auf das Wesentliche beschränken in diesem Interview. Ich habe ganz einfach nicht den Platz gehabt, Differenzierungen, die sicherlich in der Wortwahl da gewesen sind, noch zu berücksichtigen. Aber entstellt ist das Interview keineswegs und aus dem Zusammenhang ist es auch nicht gerissen. Denn ich bin zu Herrn Böhmer gefahren nach Magdeburg, um mit ihm über die Ursachen der gehäuften Kindstötung in den neuen Ländern zu reden."

    In seiner Rede vor dem Landtag hat Wolfgang Böhmer noch einmal betont, wie schwierig und komplex die Fälle von Kindstötung seien. Trotzdem müsse die Frage erlaubt sein, warum bei diesen traurigen Ausnahmen die Hemmschwelle so niedrig liege. Seiner Meinung nach hänge das mit der immer geringeren Wertschätzung menschlichen Lebens zusammen, das gerade heranwachse.

    Und in den neuen Ländern, darauf beharrt er, habe dies sehr wohl auch mit der Abtreibungs-Gesetzgebung von 1972 zu tun. Roland Roth, Professor und Politikwissenschaftler an der Fachhochschule Magdeburg, begrüßt die Debatte. Doch er glaubt nicht daran, dass sie tiefgründig genug geführt wird und somit der Komplexität des eigentlichen Problems nicht gerecht wird.

    "Diese Art von vergangenheitsorientierter Politik ist leider in den neuen Bundesländern relativ üblich, indem man gerne mal für aktuelle Missstände Entwicklungen in der DDR verantwortlich macht, ohne zu fragen, was haben wir eigentlich in den 19 Jahren getan, um deren Spuren so wirksam werden zu lassen, beziehungsweise zu erhalten."