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Tabubruch

Ein Roman aus Südafrika - geschrieben in Afrikaans, der Sprache der Buren, der Held ein Polizist, sympathisch und weiß. Das Ganze veröffentlicht von einem weißen südafrikanischen Autor, kurz nach Ende der Apartheid. Keine Frage, all das brach gleich mehrere Tabus. Inzwischen ist der 49-jährige Deon Meyer der meistgelesene Krimi-Autor seines Landes. Sein jüngstes Buch, "Der Atem des Jägers", ist jetzt auf Deutsch erschienen.

Von Katrin Raith | 11.02.2008
    Für Thobela ist die Grenze endgültig überschritten. Der Abend hatte angefangen wie hundert andere im "Yellow Rose", einer Kneipe in den Townships von Kapstadt, den lechhüttensiedlungen der Schwarzen. Thobela war früher Freiheitskämpfer des ANC, jetzt ist er den Mördern seines Sohnes auf der Spur. In der Kneipe feiert ein anderer Farbiger mit Freunden. Der Mann hat ein Kind vergewaltigt, wurde gefasst, doch die Polizei verschlampte seine Akte. Nun trinkt er auf seine unverhoffte Freiheit. Thobela, der trauernde Vater, ist entsetzt. In diesem Moment wird ihm klar: Wenn Polizei und Justiz derart versagen, dann muss jemand anders die Peiniger der Kinder zur Rechenschaft ziehen:

    "Er war immer ein Mann der Tat gewesen, er konnte nie daneben stehen und nur zuschauen. So war er, und so würde er bleiben, ein Soldat, der sich gegen die Kinderschänder wandte und der die Kraft des Krieges durch seinen Körper kreisen fühlte."

    Deon Meyer erzählt in seinem neuen Buch eine beklemmende Geschichte über Selbstjustiz. Ihn habe interessiert, wie viel Schmerz der Mensch aushalten kann, hat Meyer, selbst Vater von vier Kindern, einmal gesagt. Wie reagiert einer, dem das Wichtigste genommen wird? Diese Fragen untersucht der südafrikanische Autor nicht nur am Beispiel Thobelas, des schwarzen Jägers.

    Dessen Gegenpart ist der weiße Ermittler Benny Griessel. Auch er hat schon bessere Zeiten gesehen. Früher war Griessel der fähigste Kopf der "Abteilung Gewaltverbrechen" bei der Polizei in Kapstadt, heute ist er ein Wrack. Ein Alkoholiker, gerade dabei, Job und Familie zu verlieren. Wie Thobela ist auch Griessel ein Veteran: ein weißer Fahnder bei der neuen schwarzen Polizei. Die Schicksale beider Männer kreuzen sich mit dem einer Prostituierten, der Weißen Christine, die ihre Tochter schützen will.
    Das Buch ist hoch spannend, brillant erzählt, mit einem raffinierten Plot und glaubwürdigen Portraits gebrochener Helden. Die Geschichte packt den Leser aber vor allem wegen des einzigartigen politischen Hintergrunds. Zehn Jahre nach dem Ende der Apartheid ist Südafrika nicht zur Ruhe gekommen: Die Gewalt ist allgegenwärtig. Armut und Aids haben eine ganze Generation in Hoffnungslosigkeit gestürzt, während eine winzige, zumeist weiße Oberschicht immense Reichtümer anhäuft. Ein mörderisches Land, in dem die Vergangenheit tiefe Spuren hinterlassen hat und die Menschen verzweifelt um eine neue friedliche Identität ihrer Heimat ringen.

    Die Jagd des weißen Ermittlers auf den schwarzen Killer, sie ist Dokument des zähen Nachlebens der Apartheid. Griessel schlägt Misstrauen von den Polizei-Kollegen entge-gen, aber auch er sitzt alten, trügerischen Loyalitäten auf, fällt auf alte Feindbilder herein. Hartnäckig halten sich Vorurteile und Stereotype - die "Apartheid in den Köpfen" behindert die Ermittlungen. Selbst Griessel geht viel zu lange von einem weißen Täter aus. In seiner Gedankenwelt ist einfach kein Platz für Schwarze, die sich einen teuren Geländewagen leisten können, wie ihn der Mörder fährt. Thobela hingegen, der erfahrene ANC-Kämpfer, weiß sich anzupassen.

    "Er konnte den Wagen nicht in der Nähe des Hauses parken. Jemand könnte die Nummer aufschreiben oder sich an den Wagen erinnern. Er musste irgendwo anders par-ken und hinlaufen, aber es war trotzdem riskant. An jedem zweiten Haus klebte ein Schild einer Wachmannschaft. Es würden Patrouillen herumfahren, und die Leute waren mehr als bereit, den Wachdienst zu verständigen: ‚Da läuft ein Schwarzer über unsere Straße.’ Tagsüber standen seine Chancen besser – er könnte ein Gärtner auf dem Weg zur Arbeit sein."

    Am Ende wird der Ermittler den selbst ernannten Rächer stellen. Deon Meyer, der den Konflikt zwischen Recht und Gerechtigkeit in immer neuen Konstellationen geschickt durchspielt, entscheidet sich für ein ambivalentes Finale. Es ist ein blutiger Schluss, bei dem niemand ohne Schuld bleibt. Der aber auch die Möglichkeit anklingen lässt, dass die Protagonisten sich mit ihrer Vergangenheit versöhnen werden.

    Deon Meyer hat vor seiner literarischen Karriere als Rugby-Spieler, Journalist und Marke-ting-Experte gearbeitet und ist in all den Jahren Idealist geblieben. Seine Helden mögen traumatisiert sein, deren Welt hart und dunkel, und doch scheint in seinen Romanen die Utopie eines neuen Südafrika auf. Seit dem Ende der Apartheid habe sein Land so viel erreicht, hat Meyer gesagt. Er hängt an seiner Heimat mit einem schmerzhaften Patrio-tismus, der in seinen Büchern nie deutlicher wird als in seinen Liebeserklärungen an Kap-stadt. Für Meyer ist es, wie für seinen Ermittler Benny Griessel, die schönste Stadt der Welt.

    "Der Tafelberg ragte über ihm auf, der Gipfel irgendwo zwischen orange und gold, Schrunden und Spalten waren pechschwarze Schatten im Licht der aufgehenden Sonne. Unten bildeten die tausend Fenster der Stadt ein Sonnenmosaik. Das Meer hinter Robben Island war tiefblau, bis weit nach Melkbos Strand. Wann hatte er all das zum letzten Mal gesehen? Wie hatte er das verpassen können? Das dürfte er nicht vergessen, diesen unerwarteten Vorteil der Nüchternheit."

    Deon Meyer, Der Atem des Jägers
    rütten&loening
    428 Seiten, 19.95 Euro