Freitag, 29. März 2024

Archiv

Tacloban auf den Philippinen
Drei Jahre nach Hayan

Der Taifun Hayan war bisher der stärkste Tropensturm, der je gemessen wurde. Vor drei Jahren traf er die Philippinen besonders hart: Tausende verloren ihr Leben, vier Millionen Menschen wurden obdachlos. Die Stadt Tacloban wurde fast vollständig zerstört. Doch davon ist zumindest äußerlich heute kaum noch etwas zu sehen.

Von Gerd Wolff | 05.11.2016
    Zu sehen sind Gräber derjenigen, die beim Taifun Haiyan ums Leben kamen. Es sind weiße Kreuze zu sehen und bunte Blumen.
    Trauer um die Opfer des Taifuns Hayan - auch drei Jahre danah. (ARD - Gerd Wolff)
    Allerheiligen in Tacloban, und die Menschen leben auf dem Friedhof. Sie sind da - für die, die nicht mehr da sind. Es ist eine Mischung aus Spaß und Trauer, irgendetwas zwischen Familientreff, Picknick und strenger Liturgie, wie sie nur der allgegenwärtige Katholizismus auf den Philippinen bieten kann. Die Stadt ist leer. Das öffentliche Leben ruht. Trotzdem hat der Vizebürgermeister das Stadtparlament aufschließen lassen, denn er will Bilder zeigen. Bilder für eine Ausstellung, die lokale Künstler gemalt haben, und große Fotos, die der Hohe Herr selbst gemacht hat. Sie zeigen die philippinische Flagge, wie sie aus den Trümmern ragt, und das Lichtermeer beim letzten großen Kirchenfest. Das ist der Beweis, sagt der Vizebürgermeister:
    "Trotz der Zerstörung, trotz der Verzweiflung, wir haben uns geweigert, zum Opfer zu werden. Wir sind Sieger, und wir sind Überlebende."
    "Wir haben es geschafft, uns zu erholen"
    Jerry Sambo' Yoakasin ist gleichzeitig Chef des lokalen Stadt-Parlamentes, ein wichtiger Mann, der sich wie viele Politiker im Land auf das Selbstvermarkten versteht. Die Fotos in seinem Büro zeigen ihn mitten im Desaster nach dem Sturm, mit Überlebenden, beim Essenverteilen, beim Wiederaufbau, und immer sieht er gut aus. Aber auch Tacloban sehe eben drei Jahre nach der Katastrophe wieder gut aus, versichert Jerry:
    "Wir haben es geschafft, uns zu erholen. Wir sind nicht nur zurückgekommen, wie gehen nach vorne. Es ist, als ob der Taifun vorbeigezogen wäre. Und das ist auch der generelle Eindruck, den Besucher haben, die unsere Stadt besuchen.
    Äußerlich alles neu
    Der Eindruck ist nicht falsch. Der Verkehr quält sich so langsam wie nie durch die engen Straßen. Wer herumfährt und nach Spuren des Supersturmes sucht, muss schon sehr genau hinschauen. Pflanzen überwuchern die Autowracks an den Schrottsammelstellen, und ganz vereinzelt ragen angegammelte graugrüne Beton-Streben aus der Menge der frisch gedeckten Dächer. Das neue Blech spiegelt die Sonne.
    Die Häuser der Mittelschicht sind bunt gestrichen, viele Schulen, öffentliche Gebäude, die Feuerwehr – alles neu. Die Millionen an internationaler Hilfe, die nach Tacloban flossen, sind zumindest zu einem großen Teil angekommen. 500.000 am Tag, 250.000 in der Nacht, antwortet der Vizebürgermeister auf die Frage nach der aktuellen Einwohnerzahl.
    Jerry 'Sambo' Yoakasin ist Vizebürgermeister von Tacloban. Hier sieht man ihn vor Fotos und gemalten Bildern.
    Jerry 'Sambo' Yoakasin ist Vizebürgermeister von Tacloban: ein wichtiger Mann, der sich wie viele Politiker im Land auf das Selbstvermarkten versteht. (ARD - Gerd Wolff)
    Tacloban hat sich zu einem Zentrum gemausert, das auf die gesamte Region wirkt. Es gibt Hotels, neue Geschäfte, die Steuereinnahmen wachsen. Erstmals habe der Jahresetat die Eine-Milliarde-Peso-Grenze überschritten, umgerechnet rund 20 Millionen Euro. Die meisten internationalen Helfer sind längst abgezogen. Ende des Jahres wird auch World Vision, die weltweit größte evangelikale Nichtregierungs-Organisation, das Büro endgültig abschließen.
    "Als ich hier vor drei Jahren ankam, war der Ort nur grau, nass, voll trauriger Gesichter und toter Menschen", sagt Luz Mendoza von World Vision.
    "Aber jetzt ist kaum zu glauben, wie sehr die Stadt wieder lebt. Es ist das so, als wäre der Sturm nicht da gewesen, so schnell haben sich alle erholt."
    Doch mit den Hilfsorganisationen verschwinden auch das schnelle Geld und die internationale Aufmerksamkeit. Tacloban muss allein funktionieren. Zwei Worte fallen jetzt immer wieder: "Hopefully" - "Hoffentlich schaffen wir es aus eigener Kraft, hoffentlich lässt sich diese abgelegene Region am Pazifik wirtschaftlich entwickeln".
    Der Vizebürgermeister plant groß: Er spricht von einer Messehalle direkt am Meer, von Investoren, die die Stadt entwickeln würden, vom auszubauenden Hafen, von moderner Landwirtschaft ringsherum. Schließlich habe der Sturm Tacloban international bekannt gemacht. Ist das Zynismus oder wirklich Zukunft? Erst die nächsten Jahre werden Antworten bringen.
    Das zweite Wort, das immer zu hören ist, lautet: 'Resilience': Widerstand, Überlebenswillen. Wer den schlimmsten Sturm der Menschheitsgeschichte überlebt hat, der werde es immer schaffen, weil er einfach die Kraft zum Weitermachen habe...
    Und wenn der nächste Taifun kommt? Wir haben die Lektion verstanden, sagt Gerry Ruiz, in dessen Restaurant die Flutwelle eineinhalb Meter hoch stand:
    "Direkt nach dem Sturm kam doch gleich der nächste, Ruby, da haben wir gesehen, alle gehen tatsächlich in die Evakuierungszentren, alle haben die Dinge vorbereitet, die man braucht in Katastrophenzeiten, ja, wir haben etwas gelernt. "
    Haben tatsächlich alle etwas gelernt? Längst sind die Hütten direkt am Wasser wieder aufgebaut, dort, wo die Ärmsten vom Fischfang oder Gemüseverkauf leben. Taclobans Slum steht wieder genau dort, wo während des Taifuns Tausende starben. Neu ist das große Warnschild mit der Welle: Warnung, Sturmflutzone, steht darauf. Direkt daneben werde auf dem Fischmarkt wieder Geschäfte gemacht:
    "Diesmal werden wir aufpassen, wenn eine neue Taifun-Warnung, dann verschwinden wir alle in die Berge. Aber damals kam der Sturm so schnell, da konnten wir einfach nichts machen."
    Überlebende, keine Opfer
    Mitten auf Taclobans größter Kreuzung, dem Coca-Cola-Roundabout, direkt neben der Abfüllanlage, wo sie damals in den ersten Stunden mit dem braunen Sprudel die Wunden der Verletzten desinfizierten, weil das Trinkwasser fehlte, stehen 3.000 hölzerne Kreuze. Jeden Abend bis zum Jahrestag am 8. November treffen sich hier die Hinterbliebenen der Opfer, die nie gefunden wurden.
    6.000 Tote soll der Sturm gefordert haben, zumindest nach offizieller Darstellung, in Wahrheit werden es mehr als 10.000 gewesen sein. Hier, an der Cola-Kreuzung, zeigt sich, dass man eine Stadt schnell wieder aufbauen kann. Die wirklichen Narben, die der Sturm geschlagen hat, lassen sich nur erahnen."
    Zwölf Kilometer lang werde auch diesmal wieder die Reihe der Kerzen sein, die er mit seinen Freunden am Jahrestag aufstellen werde, verspricht Jeff, der seine Eltern im Sturm verlor.
    "Ihr seht in uns die Opfer, wir sehen uns als Überlebende. Ihr und wir haben völlig andere Blickwinkel. Ihr seht in uns die Trauernden, für uns ist das Denkmal der Kerzenlichter die Heilung."