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Täuschung und Wahrheit der Bilder

Der Film- und Videokünstler Douglas Gordon ist Träger des Turner Preises und seit einem Jahr Professor an der Frankfurter Städelschule. Das künstlerische Werk des Schotten ist jetzt im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zu sehen.

Christiane Vielhaber im Gespräch Beatrix Novy | 22.11.2011
    Beatrix Novy: Douglas Gordon, geboren in Glasgow 1966. Er wurde in den 80er-Jahren bekannt, vor allem mit Video- und Filmkunst, aber auch mit vielem anderen, ist mit den Jahren ein sehr einflussreicher Künstler geworden, Träger des Turner Preises – höher geht es in Großbritannien ja gar nicht. seit dem vorigen Jahr hat Douglas Gordon eine Professur an der Frankfurter Städelschule, und da, in Frankfurt, im Museum für Moderne Kunst, gibt es jetzt eine große Werkschau mit seinen Werken. Christiane Vielhaber, braucht er sehr viel Platz?

    Christiane Vielhaber: Ja, übers ganze Haus verteilt. Sonst geht das gar nicht. Zwei Beispiele: Die eine Arbeit, Porträt des 21. Jahrhunderts. Es stehen auf dem Boden noch so alte Fernsehapparate, die noch hinten so einen großen Buckel haben, also keine Flachbildschirme, 18 Stück, und das fängt alles ganz harmlos an. Sie hören so Caféhaus-Musik, dann sehen sie ein Stadion und dann füllt sich das langsam, und dann wird es langsam immer lauter, immer lauter. Und 17 dieser Kameras verfolgen ausschließlich Zidane, also Zinédine Zidane, den französischen Fußballspieler, der zu dem Zeitpunkt bei Real Madrid gespielt hat, und das ist ein Liga-Spiel, also kein Länderspiel. Und eine Kamera ist die Fernsehkamera, und auf dieser Fernsehkamera läuft das, was der normale Zuschauer zu Hause gesehen hat. Und jetzt geht es hier um Wahrnehmen und für wahr halten. Diese 17 Kameras, die nur auf Zidane gehen, während die andere Kamera immer nur dahin geht, wo der Ball ist, beide sind ja in Echtzeit. Beide filmen das ab und sie sind mitten drin im Geschehen und fragen sich jetzt auch – ich meine, das andere ist ja auch geschnitten -, was ist jetzt hier wirklich echt und was ist nicht wirklich.
    Dann ein anderer großer Raum: zwei Riesenbildschirme, die im Raum stehen, und das sind eben diese Flachleinwände, die sie von vorne und hinten sehen können. Und auf diesen, ich glaube, vier mal sechs Meter sind die jeweils, die im Raum stehen, sehen sie einen Elefanten, eine Elefantenkuh. Sie sehen den Kopf überhaupt nicht und die eine Kamera umkreist diese Elefantenkuh von rechts und die andere von links. Und durch dieses Kreisen kommt auch schon so ein bisschen Schwindel und dann denken sie, diese arme Elefantenkuh, die dreht sich auch nur noch selber, und man kennt das ja von Tieren im Zoo mit Hospitalismus, dass die so komische Bewegungen machen. Und dann fällt sie hin, fällt auf die Seite, dieser riesige, massige Körper, und sie sehen sie so und denken so, jetzt ist sie tot. Und ganz langsam kommt sie wieder auf die Beine, und dann sehen sie in einer Ecke des Raumes ist ein kleiner Fernsehapparat, der die Elefantenkuh wie auf so einem Fernsehapparat ganz hat. Sie haben den Kopf, dann sehen sie zum Beispiel, während sie da hinfällt, dann macht sie noch einmal das Auge auf und dann kommt da so eine Flüssigkeit. Und diese Empathie, die das bei uns entwickelt. Wir denken dann: so ein Knuddeltierchen. Was ist es denn? Es ist eine Elefantenkuh, die das täglich in so einem Freizeitpark in der Nähe von New York macht, und er hat diese Kuh jetzt in die Galerie geholt.

    Novy: Dressierter Elefant. Das Beispiel Zidane eben hat ja gezeigt, wie er die Wirklichkeit aufsplittert, wie er alles in so viele Elemente aufsplittert, die eine völlig andere Wahrnehmung erzeugen als das, was man normalerweise sieht, wie Sie auch gesagt haben.

    Vielhaber: Ja. Oder sie sehen zwei Arme, die miteinander kämpfen – einer so ganz behaart und der andere glatt rasiert. Und die kämpfen und kämpfen, und sie denken immer, mit wem soll ich halten, mit wem soll ich halten. Und dann gucken sie genauer hin und dann sehen sie, es ist beides seine Arme, die mit sich kämpfen, nur der eine ist rasiert, also die Aufspaltung der Persönlichkeit. Dadurch sind auch bei den Arbeiten ganz häufig Spiegel dabei. Er arbeitet auch mit Bildern, die in unserem Gedächtnis einfach fest drin sind.

    Novy: Filmbilder, Hitchcock zum Beispiel.

    Vielhaber: Zum Beispiel. Oder sie haben nur den großen Kopf von James Dean. Sie müssen ja nicht zu der Zeit geboren sein, wo James Dean noch gelebt hat, und sie erkennen James Dean sofort. Und dann hat er die Bilder so ein bisschen angekokelt, und an den Stellen, wo es weggebrannt ist, da sind jetzt Spiegel. Er nennt das Porträts von dir und mir. So wie wir James Dean im Kopf haben, da läuft ja auch so ein Film, und dann sind wir plötzlich mitten drin.

    Novy: Verfremdung, also Verlangsamung von Vorlagen, bildlose Filme, alles das hat Douglas Gordon gemacht. Auffallend sind auch seine Bilder von verzerrten – ich weiß nicht, ob es Filmbilder sind -, so zombiehaft entstellten Gesichtern, wo man sich allerdings dann schon fragt, was kann er, was ein guter Horrorfilm-Maskenbildner nicht kann.

    Vielhaber: Nein, es ist ganz ruhig. Sie stehen hinter ihm und er schaut in den Spiegel, und dann fängt er an, mit Tesafilm sein Gesicht zuzukleben, ganz so, als würde er sich rasieren oder würde Zähne putzen. Also gar nicht, dass das irgendwas ganz besonderes ist. Und er wird immer mehr zum Monster und immer mehr zum Monster.

    Novy: Man sieht, wie es passiert?

    Vielhaber: Ja, ja! Sie gucken richtig ihm über die Schulter in den Spiegel, er sieht sich auch im Spiegel, und gleichzeitig sehen sie ihn von hinten, sein ganz normaler Kopf, also sein normales Ich, was auch noch da ist, dass sie eigentlich keine Angst haben müssten, aber es ist bedrohlich.

    Novy: Wie wird das denn gemacht, möchte ich wissen, wenn sie so sehen, wie sich das Gesicht verfremdet?

    Vielhaber: Er hat sich dabei filmen lassen.

    Novy: Beim Schminken?

    Vielhaber: Nein. Das ist Tesafilm übers Gesicht geklebt. Und wenn sie sich das mal über den Mund kleben, oder über die Augen, oder über die Nase, das wird ja platt, und dann sehen sie wirklich fürchterlich aus. Aber was man dann auch wieder sieht: seine Lust an der Wissenschaft. Es gibt den 30-Sekunden-Text und er hat gefunden, dass bei einer der letzten Tötungen durch die Guillotine ein Arzt 1905 in Paris dabei war, und der Kopf fiel ab und der hat dann noch mit dem Menschen geredet und der hat dann noch mal die Augen aufgemacht und hat ihn noch mal angeguckt und hat auch noch mal reagiert, und das Ganze dauerte 30 Sekunden. Und jetzt hängt an der Wand dieser Text über dieses Experiment, und immer für 30 Sekunden geht eine Glühbirne an. Dann können sie sich vorstellen, wie lange sie noch nach dem Tod irgendwie was mit ihren Nerven merken oder wahrnehmen können, oder auch nicht wahrnehmen. Das sind schon beeindruckende Experimente und er ist kein Schaumschläger, wie das manchmal bei Turner Preisträgern ja auch schon war.

    Novy: Fürchterlich und faszinierend, könnte man sagen?

    Vielhaber: Ja.

    Novy: Sie sind so animiert, dass ich glaube, es ist eine große Ausstellung. Man sollte hingehen. Vielen Dank! Das war Christiane Vielhaber über Douglas Gordon in Frankfurt im Museum für moderne Kunst.