Samstag, 04. Mai 2024

Tag 5
Trost für den deutschen Film

In Cannes ist der deutsche Film seit Jahren mehr als rar. Die Gründe für diese wahrhaft schwierige Beziehung sind vielfältig. Kulturstaatsministerin Monika Grütters versuchte am nächtlichen Strand unter weißen Zeltdächern den versammelten Gästen vor allem eines zu machen: Mut.

Von Christoph Schmitz | 17.05.2015
    Vor der Kinokunst ein Blick auf die Filmpolitik. Seit Jahren hat der deutsche Film in Cannes keine Chance. Im Wettbewerbsprogramm taucht er gar nicht mehr auf, in den verschiedenen Sektionen höchst selten. Warum ist das so? Beim deutschen Festivalempfang gestern Abend wurde die Frage hoch und runter diskutiert. Zu wenig Wagemut für künstlerisch ambitionierte Projekte, ein zu kleinteiliges, weil vor allem föderales Fördersystem, in dem sich die Filmemacher verausgaben, bevor sie mit dem Dreh beginnen können, zu viele Leute die mitreden wollen, die störrischen Franzosen, die ihre eigenen Filme und die ehemaliger Palmengewinner bevorzugen – Erklärungsversuche gab es viele.
    Kulturstaatsministerin Monika Grütters versuchte am nächtlichen Strand unter weißen Zeltdächern den versammelten Gästen vor allem Mut zu machen. Sie lobte die Regisseure der beiden deutschen Kurzfilme, die es an die Côte d'Azur geschafft haben: "Alles wird gut" von Patrick Vollrath und "Abwesend" von Eliza Petkova. Letztere ist zwar Bulgarin, lebt und studiert aber immerhin in Berlin.
    Und auch heute am frühen Nachmittag im kleinen Journalisten-Kreis zu Gast auf der Arte-Yacht im Hafen lobte die rührige Ministerin, dass deutsche Filme im vergangenen Jahr weltweit fast 300 Preise abgesahnt haben und die Quote deutscher Filme in deutschen Kinos immerhin 26 Prozent betrage. Dennoch bestehe Handlungsbedarf. "Wir müssen bei der Projektförderung stärker den kulturellen Aspekt berücksichtigen", sagte Monika Grütters unter vier Augen. "Wir müssen auch beim Film einem Grundprinzip der deutschen staatlichen Kulturförderung gerecht werden, nämlich dass Künstler nur dann gut sind, wenn sie nicht zwangsläufig gefallen müssen. Wenn man sie zum Experiment ermutigt, auch wenn das das Risiko des Scheiterns mit einbezieht." Nur so könnten "avantgardistische Positionen erkennbar werden, ohne Sorge vor dem Publikumsgeschmack, vor den Erwartungen eines Geldgebers."
    "Carol" - eine Liebesgeschichte im Stil der 50er
    Bei der anstehenden Novelle des Filmfördergesetzes müsse jetzt nachjustiert werden, so Grütters. Weise Worte. Und ärgerliche Worte. Über Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der der Filmwirtschaft vor einigen Monaten aus dem Stegreif zehn Millionen Euro versprochen und damit ins Ressort der Kulturstaatsministerin hineinregiert hat. Es sei doch "eine Stilfrage, so etwas lieber im Rahmen der Haushaltsberatung gleich gemeinsam zu planen". Mit ein paar deutlichen Grütterschen Worten gegen die stiefmütterliche Behandlung des Spielfilms in den Programmen von ARD und ZDF verabschiedeten wir uns und zogen vom Schiff ab in die kühlen Kinokeller.
    Dort gab es zu sehen: Einen schmeichelnd pastellfarbenen Film wie aus den 50er-Jahren des amerikanischen Farbfilms. In diesen 50ern spielt Todd Hayns "Carol" auch und erzählt die Liebesgeschichte einer reichen Dame aus New York, die mit einem groben Macho verheiratet ist. Von Tisch und Bett sind sie längst getrennt. Titelheldin Carol (Cate Blanchett) zieht die gemeinsame Tochter alleine auf, der Vater versucht krampfhaft den Schein einer intakten Ehe gegenüber den eigenen Eltern aufrecht zu erhalten. Denn Carol drängt es zu anderen Frauen, und kurz vor Weihnachten trifft sie in der Spielwarenabteilung eines Kaufhauses auf die bezaubernde junge Verkäuferin Therese.
    Todd Hayns entwickelt in aller Ruhe die vorsichtige Annäherung der beiden Frauen und zeigt, wie die große Liebe aufblüht und bald zerstört wird. Sorgfältig choreografiert ist das und motivisch bis ins Detail ausgearbeitet. Dennoch fehlt dieser Verfilmung eines frühen Patricia-Highsmith-Romans eine eigene erzählerische Kraft. Etwas zu sauber, brav und letztlich konventionell wirken manche Passagen.
    "Moi Roi" - eine unglaubwürdige Liebesschlacht
    Die französische Filmemacherin Maïwenn dagegen dreht in "Moi Roi" richtig auf: Wackelkamera, Tränenbäche, verrotzte Nasen, zerschlagenes Geschirr und alles, was die manisch-depressive Liebesgeschichte zwischen dem Egomanen Georgio und der sanfteren Tony so braucht. Die Anwältin und der Lebemann lieben und hassen sich über viele Jahre, und die zweistündige Filmzeit kommt einem noch länger vor. Vor allem, weil die Frau viel zu klug ist, um den verlogenen und tricksenden Mann nicht von Anfang an durchschauen zu können. So blöd wie Tony gezeigt wird, kann keiner sein. Ich glaube der Geschichte keine Sekunde. Viel Lärm um Nichts. Auch das kann Cannes sein.