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Tag des Umbruchs

Es war ein Schock für die gesamte Bundesrepublik. Am 2. Juni 1967 erschoss die Westberliner Polizei den Studenten Benno Ohnesorg. Er hatte friedlich an einer Demonstration teilgenommen und wurde regelrecht hingerichtet. Ein Ereignis, das zu den Auslösern der 68er-Bewegung zählt und bis heute im Bewusstsein der Deutschen fest verankert ist.

Von Jens P. Rosbach | 01.06.2007
    " Ich stand dabei, ich weiß nicht, warum die Polizisten auf einmal rüber gekommen sind, auf einmal sind sie zu zwölft oder fünfzehnt rübergestürzt und haben hemmungslos, hemmungslos auf die Demonstranten eingeschlagen. Das einzige, was die Leute im Kopf hatten, war knüppeln, knüppeln und knüppeln. "

    " Ich habe Polizisten gesehen mit Wut verzerrten Gesichtern, die einen Meter vor ihnen liegende Mädchen mit dem Knüppel zerschlugen. Die Mädchen haben gebeten aufzuhören, haben gewimmert, aber sie haben mit verzerrtem Gesicht drauf geschlagen. "

    Westberlin, am 2. Juni 1967. Vor der Deutschen Oper demonstrieren 2000 Menschen gegen den Staatsbesuch des autoritären Schahs von Persien. Die Polizei geht brutal gegen die Protestierenden vor, nimmt sie in die Zange, jagt sie durch die Strassen. Am nächsten Tag bilanziert der Allgemeine Studentenausschuss der Freien Universität Berlin, dass die Einsatzkräfte dabei einen Kommilitonen getötet haben. AStA-Chef Hartmut Häusermann ist fassungslos:

    " Es ist gestern bei den Demonstrationen in der Stadt ein Student erschlagen worden, ein 26 Jahre alter Student der Germanistik und Romanistik, der seit einem Monat verheiratet ist und zum ersten Mal an einer Demonstration teilgenommen hat. "

    Der Name des Opfers: Benno Ohnesorg. Die Polizei versucht die Sache zu vertuschen, von Schädelbruch ist anfangs die Rede, dann von einem Querschläger - bis schließlich Zeugen bekunden: Ohnesorg hat wehrlos am Boden gelegen, als ihn ein Polizist aus nächster Nähe erschoss. Doch die Bild-Zeitung gibt den Demonstranten die Schuld am Tod, die Justiz spricht den Schützen später sogar frei.

    " Es war irgendwie irreal. Da ist ein Student jetzt, einer von uns, ist da erschossen worden. Es war eine Situation, wo man in erster Linie sagte: Wir müssen die Wahrheit ans Licht bringen, wir müssen der Bevölkerung auch zeigen, dass sie von Springer manipuliert wird, indem sie nicht erfährt, was eigentlich passiert ist und indem also auch noch gegen uns aufgehetzt wird. "

    Siegward Lönnendonker war "live" dabei, der 68-Jährige studierte damals in Westberlin Soziologie. Später gründete er - als wissenschaftlicher Mitarbeiter - das APO-Archiv der Freien Universität. Hier werden bis heute Dokumente der Außerparlamentarischen Opposition aufbewahrt - darunter einzigartige Fotos, die Studierende von den Polizeieinsätzen gemacht haben. Lönnendonker erklärt, seine Generation sei nachhaltig geprägt worden von Ohnesorgs Tod und dem folgenden Proteststurm.

    " Ich denke, dass dieser Funke dann auch bewirkt hat, dass die ganze Bundesrepublik aufgehorcht hat das erste Mal und gesagt hat: Da tut sich doch etwas! Und die Studentenschaft war sozusagen auch Motor einer außerparlamentarischen Bewegung, die dann auch auf andere Kreise und Schichten der Gesellschaft übergesprungen ist. "

    Der Altlinke klagt, heutzutage interessiere sich dagegen niemand mehr für den erschossenen Studenten.

    " Es ist natürlich immer ein Thema, dass in Zehn-Jahres-Abständen so ein regelmäßiger Rülpser durch die Bundesrepublik geht: Ach richtig, da war noch was. Benno Ohnesorg ist völlig egal. "

    Tatsächlich wissen heute viele nichts mehr mit dem Namen Ohnesorg anzufangen - auch viele Studierende der FU Berlin.

    " Von Benno Ohnesorg habe ich noch nie was gehört. "

    Für andere, Informierte, ist Ohnesorg dagegen ein Symbol des Widerstands; eine Mahnung, sich auch heute gegen das politische Establishment zu engagieren.

    " Na ja, die Jugend hat ja immer den Auftrag zu rebellieren und die bestehenden Institutionen, Werte und so zu verändern, ja - so ein bisschen zumindest. "

    Viele Studierende ziehen auch Parallelen zu den aktuellen Protesten gegen den G8-Gipfel. Studentenvertreter Ralf Hofrogge bedauert allerdings, die Globalisierungsgegner morgen bei ihrer Haupt-Demonstration in Rostock nicht unterstützen zu dürfen. Dies sei ihm verboten, beschwert sich der Asta-Sprecher der FU Berlin.

    " Das Problem ist heute, dass wir ja unter Zensur stehen faktisch an der Universität. Das heißt, ich dürfte jetzt als Asta-Sprecher jetzt nicht einmal dazu aufrufen, an den G8-Protesten teilzunehmen, obwohl mir das als Privatmensch sehr am Herzen liegt. Die Demo ist ja auch am 2. Juni, also 40 Jahre danach. Das ist ja kein Zufall. Nur in Deutschland gibt es Gerichtsurteile als Reaktion auf die Studierendenbewegung, dass Asten sich nur hochschulpolitisch äußern dürfen. Das zeigt ja, dass der Staat mindestens genau so viel Angst hat vor nonkonformistischen Leuten mit anderen Meinungen wie Anfang der 60er. "

    Der Asta ist überzeugt, dass man die alte Protest-Tradition der Freien Universität an der Ostsee dennoch wieder aufleben lassen kann. Viele demonstrierten auch ohne Hilfe der Studentenvertretung, weiß Hofrogge.

    " Der Protest findet zwar ohne die Asten, aber sicher nicht ohne die Studierenden statt. "