Tagebuch - Mittwoch, 15. März 2006

Tamanrasset – eine Garnisonsstadt in Südalgerien. Grenzstadt, obwohl hunderte Kilometer von der Grenze entfernt: Hinter Tamanrasset kommt nichts mehr – nur Leere. Noch 20 Minuten Autofahrt über Straße und Piste, dann komme ich zur , der Herberge von Mokhtar und Claudia.

Von Rüdiger Maack |
    Mokhtar ist Tuareg, von ihm erhoffe ich mir Hilfe. Ich will Schlepper treffen, die die Illegalen auf ihren Geländewagen durch die Wüste transportieren. Es sind fast alle Tuareg– Mokhtar kennt in und um die Stadt alle(s) und jede(n).

    Seine Frau Claudia begrüßt mich. Sie erzählt mir, Mokhtar habe vor zwei Stunden einen Hirnschlag erlitten. Er ist beim Arzt unter ihren Augen gestorben.

    Das Schlimmste für sie sind die Leute, die jetzt alle kommen, sagt Claudia am nächsten Morgen. Das halbe Dorf taucht nach und nach auf. Angefangen bei Mokhtars zahlreicher Verwandtschaft – Tuareg in wallenden weißen und blauen Gewändern und passenden Kopftücher – dem Chech. Er ist bis zu zwölf Meter lang und wird kunstvoll um Kopf, Hals und Mund geschlungen. Die Leute weinen – und Claudia tröstet sie. Die Tuareg in Südalgerien trauern leise, ganz anders als im arabischen Norden, wo jetzt schon die Klageweiber rund ums Haus stünden und den Verlust lauthals schluchzend, weinend und kreischend betrauern würden. Hier geht es stiller, viel gefasster zu.

    Claudia bewahrt die Haltung. Sie muss sich ja auch noch um ihre Gäste in der Herberge kümmern: Sahara-Reisende, die von einer Tour aus der Wüste kommen und sich jetzt auf gutes Essen, ein richtiges Bett und fließend Wasser freuen.

    Die letzten Jahre waren schwierig für Claudia und Mokhtar: Jahrelang verhinderte der Terrorismus im Norden, dass viele Touristen in den Süden kamen, um von hier aus die Sahara zu erobern. Dann kam der 11. September 2001, und die Gäste, die sich gerade wieder zeigten, blieben erneut aus. Und dann wurden vor drei Jahren auch noch deutsche, österreichische und Schweizer Touristen entführt. Seitdem, sagt Claudia, kommen praktisch keine deutschsprachigen oder anglophonen Urlauber mehr. Wenn sie nicht mit französischen Agenturen zusammenarbeiteten, existierte die Gite Saharien heute nicht mehr.

    Am Nachmittag ist Begräbnis. Die Nachricht von seinem Tod hatte sich trotz der miserablen Telefonverbindungen in Windeseile herumgesprochen – in der Stadt und in der Wüste, über Hunderte von Kilometern.

    Claudia ist nicht dabei, Begräbnisse sind Männersache. Der Leichnam wird im Krankenhaus abgeholt. Der Krankenwagen vorneweg, eine Prozession von Fahrzeugen hinterher: klapprige Peugeot 504, neue und alte Geländewagen, Mofas. Weil so viele Trauergäste gekommen sind, wird das Gebet nicht in der Moschee, sondern im ausgetrockneten Flußbett, dem Oued, des Flusses Tamanrasset abgehalten. Die Männer und Jungen strömen von allen Seiten herbei. Längst nicht alle kannten den Verstorbenen. Das Begräbnis ist ein Ereignis, an dem alle teilnehmen wollen.

    Dicht an dicht stehen die Menschen beieinander. Leise murmeln sie ihre Gebete. Nach wenigen Minuten löst sich ein Teil der Menge auf. Dann wird der Leichnam aus dem Krankenwagen geholt und aus dem sandigen Oued hinauf auf die Straße und wenige hundert Meter bergauf zum Friedhof getragen. Der Sarg ist oben offen und besteht aus grob zusammengezimmertem hellen Holz. Der Leichnam Mokhtars ist in ein weiß-rot gemustertes Tuch eingewickelt.

    Beerdigung in AlgierenAm Grab angekommen, wird der Leichnam umständlich von einem guten Dutzend Männern aus dem Sarg gehoben und in die knapp halbmetertiefe Grube gebettet. Einer stimmt einen Gesang an, brummend stimmt der Rest ein.

    Zum Leichenschmaus hinterher wird Claudia nicht gehen. Sie muss sich um die Herberge kümmern. Nicht alle Freunde und Verwandten von Mokhtar verstehen das. Sie trägt auch kein Kopftuch zum Zeichen der Trauer. Sie wird auch keine vier Monate im Haus bleiben, damit kein anderer Mann sie zu Gesicht bekommt, wie es eine arabische Tradition verlangt. Ihre Zukunft und die der Gite sind ungewiß. Frauen, ausländische wie Claudia besonders, sind im algerischen Familienrecht massiv benachteiligt. In ihrem Fall heißt das: Sie braucht viel Glück, um die Gite weiterführen zu können. Denn die Erben Mokhtars sind die Brüder, nicht seine Frau. Das algerische Familienrecht, das an der islamischen Gesetzgebung, der Scharia, ausgerichtet ist, will es so.
    Claudia und Mokhtars Campingplatz in Tamanrasset: vor und nach den Wüstentouren, bei denen die Urlauber in Zelten oder ganz unter freiem Himmel schlafen, kriegen sie hier ein richtiges Bett, Dusche und WC geboten.
    Claudia und Mokhtars Campingplatz in Tamanrasset: vor und nach den Wüstentouren, bei denen die Urlauber in Zelten oder ganz unter freiem Himmel schlafen, kriegen sie hier ein richtiges Bett, Dusche und WC geboten. (Rüdiger Maack)
    Beten vor dem Krankenwagen: die Verwandten des Toten stehen um den Wagen mit dem Leichnam herum, der Rest der Menge bereitet sich aufs Gebet vor.
    Beten vor dem Krankenwagen: Die Verwandten des Toten stehen um den Wagen mit dem Leichnam herum, der Rest der Menge bereitet sich auf das Gebet vor. (Rüdiger Maack)