Sechs Jahre vor seinem Tod hatte Haring noch geklagt: "Die New Yorker Museen übersehen mich. Und die Kritiker scheinen mich nicht zu mögen." Zu lesen ist dieser Vorwurf in Keith Harings Tagebuch, jener kunstgewordenen Alltagsprosa, die jetzt in deutscher Sprache vorliegt. Auf über 300 Seiten ist hier die Verschränkung von Alltag und Kultur nachzulesen. Angefangen hat Haring als anonymer U-Bahn Sprayer, der nachts Bahnwaggons und Plakatwände zu Kunstwerken erklärt, in dem er sie bemalt, bekritzelt, besprüht. Hundertmal wird er geschnappt, hundertmal zahlt er Strafe, hundertmal läßt man ihn laufen. Andere sterben bei der illegalen Sprüherei, werden von Zügen überrollt oder wie Michael Stewart, dem Haring später Bilder widmet, von Polizisten totgeprügelt. Daß die, die Stewart erschlugen, dann auch noch freigesprochen wurden, darüber empört sich Haring besonders. Subversiv ist die Arbeit der Sprayer, gefährlich. Etwas von dieser Subversivität hatte Haring auch dann noch beibehalten, als seine Bilder längst für 5-stellige Dollarsummen über den Tisch gehen. Er wird Krankenhausmauern und Kindergartenzäune bepinseln und immer wieder mit Stadtkindern Hinterhöfe verschönern. Wie ein Kind, naiv und unbefangen zeichnet er seine Strichmännchen, seine Tänzer, Herzen, Hunde, Babys.
"Eine Definition ist nicht erforderlich", so Haring. "Eine Definition vereitelt sich und ihre Ziele, indem sie sie definiert. Das Publikum hat ein Anrecht auf Kunst. Das Publikum wird von den meisten zeitgenössischen Künstlern ignoriert. Das Publikum braucht Kunst, und der ‘selbsternannte Künstler’ hat die Pflicht, diesem Bedürfnis des Publikums zu entsprechen, statt eine bourgoise Kunst für einige wenige zu machen und die Massen zu ignorieren. Kunst ist für jeden da."
Als Zwanzigjähriger hat er sein Credo niedergeschrieben, an dem er sein Leben lang festhielt.Als habe er geahnt, daß er nur kurze Zeit zu leben hat, arbeitet Haring wie ein Besessener. Sein Leben, das sind Überschallflieger, Treffen in Tokiyo, Paris, New York, das sind Termine in Belgien, Italien, Deutschland, Spanien. In Flugzeugen, in Wartesäalen, auf Hotelbettkanten hat er sein Tagebuch geschrieben. Bisweilen blieb nur Zeit für Stichworte:
"Zum Dinner mit Sammlern und Hans. Zum Interview mit Gabriele Henkel in Hans' Galerie. Zum Hotel - zum Schwulen Buchladen - zum Hotel."
Dann wieder platzt Haring vor Mitteilungsbedürfnis, will den zukünftigen Leser mitnehmen auf Schritt und Tritt zu Vernissagen, zu Freuden, aber auch in die Welt seiner persönlichsten Empfindungen, Gedanken, Hoffnungen. Zunächst muten diese Eintragungen seltsam dünn an. Ein Kind der Pop Art hat gesprochen, kein sich und seine Kunst reflektierender Intellektueller, kein Kunsttheoretiker. Fast banal scheinen seine Gedanken über Leben und Kunst, Kunst,und Leben. Dann aber, je länger und intensiver man liest, beginnt man zu verstehen, daß Harings Denkweise so schlicht nicht ist. Er will sich nicht anbiedern durch jenen so beliebten leicht ironisch süffisanten Lifestyle-Ton, er will nichts Durchstilisiertes liefern wie sein Freund und Vorbild Andy Warhol, er will gar keine tiefen Erkenntnisse in Sachen Kunst bringen, er will etwas ganz anderes. Etwa das rar ist, ungefragt, belächelt, verkannt: er will ehrlich sein. In seinem von Vorneherein für ein öffentliches Publikum bestimmten Tagebuch betont er, daß das Wichtigste in seinem Leben noch nicht einmal das Malen ist, das er so manisch betreibt. Das Wichtigste und eben darum aus seiner Kunst nicht Fortzudenkende sind die Sexualität und die Kinder.
"Ich wäre liebend gern Lehrer, denn ich liebe Kinder und finde, daß zu wenige Menschen vor Kindern Respekt haben oder begreifen, wie wichtig sie sind. Ich habe viele Projekte mit Kindern jeden Alters gemacht. Daran habe ich die schönsten Erinnerungen. Mit 21 habe ich einen Sommer lang ’Kunst’-Unterricht in einer Kindertagesstätte in Brooklyin gegeben. Kein anderer Sommer in meinem Leben hat mich so befriedigt. Nichts freut mich mehr, als wenn ich ein Kind zum Lächeln bringen kann. Das Baby ist deshalb zu meinem Logo oder meiner Signatur geworden, weil es die reinste und positivste Erfahrung im menschlichen Leben darstellt. Kinder sind Träger des Lebens in seiner einfachsten und freudigsten Gestalt. Kinder sind hautfarbenblind und noch frei von allen Komplikationen, von Haß und Habgier, die ihnen dann allmählich fürs Leben eingeimpft werden ... Ich würde gern einmal ein Buch mit Fotos von mir machen, zusammen mit Kindern überall auf der Welt. Es gibt von allen Orten, wo ich gewesen bin, viele solche Bilder. Ich habe bei jeder Ausstellung, und in jedem Land immer in irgend einer Form Kontakt mit Kindern gehabt. Das ist eins von den Dingen an die ich denke, wenn ich sage, daß mein Leben und meine Kunst manche Aspekte haben, die sich bei keinem anderen Künstler, den ich kenne, wiederfinden."
Er liebt die Kinder, weil sie in ihrer ganz alltäglichen Existenz eine Faszination entdecken, die den Erwachsenen verborgen bleibt. Diese Faszination des Alltäglichen hat viel mit Pop Art, mehr noch mit der Kunst zu tun, die Keith Haring schafft. Diese Kunst ist schnell, spontan, oft vergänglich: Kreidezeichnungen auf dem Trottoir, Mauerbilder, Comics. Sie ist leicht und von jedem zu verstehen. Jeder kann sie nachmalen. Und wirklich wundert sich Keith Haring, daß, wo auch immer er hinkommt, sein bellender Hund, sein Breakdancer, sein Baby im Strahlenkranz schon da sind: auf Buttons, Menukarten, T-Shirts, unautorisierte Raubdrucke.In all seiner Rastlosigkeit hat Keith Haring doch stets Zeit gefunden mit Kindern zusammen zu sein:
"Was immer ich sonst sein mag, ich bin wenigstens vielen Kindern ein guter Spielkamerad gewesen und habe ihr Leben vielleicht in einer Weise berührt, die in der Zeit weiterwirken könnte, und ihnen eine Art einfacher Lektion im Teilen und Anteilnehmen vermittelt. Manchmal wünsche ich mir wirklich, ich könnte selbst Kinder haben, aber vielleicht ist dies eine viel wichtigere Rolle, wenn man sie in mehr als einem Leben spielt ... Irgendwie glaube ich, daß das der Grund ist, warum ich noch am Leben bin."
Die Kinder mögen der Sinn seines Lebens sein. Die Wurzel seiner Energie seiner künstlerischen Kraft ist die Sexualität. Ungeniert starrt der schwule Keith Haring auf die Schenkel der jungen Männer, die ihm in der U-Bahn gegenübersitzen, betrachtet wohlgefällig die schönen Körper der Breakdancer, der Knaben in den Diskotheken.
"Es klingt lachhaft, daß etwas wie Sex so eine hohe Bedeutung in jemandes Leben haben sollte, der angeblich ‘die tiefe Gabe zum künstlerischen Schaffen’ besitzt, aber so ist es seit eh und je. Vielleicht ist das der Grund für manche Schuldgefühle meiner Unfähigkeit wegen. Kunst und Leben zu trennen, war mir immer unmöglich, und mein Leben war unvermeidlich von der Sexualität beherrscht. Sie ist vermutlich die treibende Kraft hinter allen meinen Arbeiten."
Sex, das ist eine flüchtige Begegnung auf der Toilette bei den Thurn und Taxis ebenso wie die große Liebe zu Juan, den Haring nah, aber nicht zu nah bei sich haben will, nach dem er sich verzehrt, den er nicht ertragen kann. Erbärmlich eifersüchtig ist er und gleichzeitig erregt von der Vorstellung, andere begehrten den wunderbaren Juan. Sein Begleiter, nicht sein Liebhaber in seinem letzen Lebensjahr ist Gil. Haring weiß, daß er an AIDS sterben wird. Er hat schwarze Flecken am Körper. Er hat die Fähigkeit zu verführen und die Freude an der Lust, an der Kunst der Verführung verloren.
Er schreibt nicht wie es war, als er von der tödlichen Krankheit erfahren hat. Er schreibt nicht, wie es ist, mit dem nahen Tod vor Augen zu leben - als Dreißigjähriger. Wenn er über AIDS schreibt, dann wie über eine Seuche, eine Plage, gleichzusetzen mit Crack, militärischen Eskalationen, der Apartheid, der Atombombe, den Fundamentalisten. In seinen Bildern personifiziert er den Virus als Teufelsfratze, die sich an einen Penis heranschleicht. Er kämpft mit seinen Mitteln, seinen Piktogrammen, seinen Strichmännchen gegen AIDS, so wie er gegen Rassismus, weiße Arroganz und Krieg gekämpft hat. Seine eigene Person stellt er zurück. Seine letzte Tagebucheintragung stammt vom September 1989, ein halbes Jahr vor seinem Tod. Er betrachtet den Turm von Pisa: "Er ist wirklich großartig und hysterisch zugleich. Jedesmal, wenn man ihn anschaut, muß man lächeln."
"Eine Definition ist nicht erforderlich", so Haring. "Eine Definition vereitelt sich und ihre Ziele, indem sie sie definiert. Das Publikum hat ein Anrecht auf Kunst. Das Publikum wird von den meisten zeitgenössischen Künstlern ignoriert. Das Publikum braucht Kunst, und der ‘selbsternannte Künstler’ hat die Pflicht, diesem Bedürfnis des Publikums zu entsprechen, statt eine bourgoise Kunst für einige wenige zu machen und die Massen zu ignorieren. Kunst ist für jeden da."
Als Zwanzigjähriger hat er sein Credo niedergeschrieben, an dem er sein Leben lang festhielt.Als habe er geahnt, daß er nur kurze Zeit zu leben hat, arbeitet Haring wie ein Besessener. Sein Leben, das sind Überschallflieger, Treffen in Tokiyo, Paris, New York, das sind Termine in Belgien, Italien, Deutschland, Spanien. In Flugzeugen, in Wartesäalen, auf Hotelbettkanten hat er sein Tagebuch geschrieben. Bisweilen blieb nur Zeit für Stichworte:
"Zum Dinner mit Sammlern und Hans. Zum Interview mit Gabriele Henkel in Hans' Galerie. Zum Hotel - zum Schwulen Buchladen - zum Hotel."
Dann wieder platzt Haring vor Mitteilungsbedürfnis, will den zukünftigen Leser mitnehmen auf Schritt und Tritt zu Vernissagen, zu Freuden, aber auch in die Welt seiner persönlichsten Empfindungen, Gedanken, Hoffnungen. Zunächst muten diese Eintragungen seltsam dünn an. Ein Kind der Pop Art hat gesprochen, kein sich und seine Kunst reflektierender Intellektueller, kein Kunsttheoretiker. Fast banal scheinen seine Gedanken über Leben und Kunst, Kunst,und Leben. Dann aber, je länger und intensiver man liest, beginnt man zu verstehen, daß Harings Denkweise so schlicht nicht ist. Er will sich nicht anbiedern durch jenen so beliebten leicht ironisch süffisanten Lifestyle-Ton, er will nichts Durchstilisiertes liefern wie sein Freund und Vorbild Andy Warhol, er will gar keine tiefen Erkenntnisse in Sachen Kunst bringen, er will etwas ganz anderes. Etwa das rar ist, ungefragt, belächelt, verkannt: er will ehrlich sein. In seinem von Vorneherein für ein öffentliches Publikum bestimmten Tagebuch betont er, daß das Wichtigste in seinem Leben noch nicht einmal das Malen ist, das er so manisch betreibt. Das Wichtigste und eben darum aus seiner Kunst nicht Fortzudenkende sind die Sexualität und die Kinder.
"Ich wäre liebend gern Lehrer, denn ich liebe Kinder und finde, daß zu wenige Menschen vor Kindern Respekt haben oder begreifen, wie wichtig sie sind. Ich habe viele Projekte mit Kindern jeden Alters gemacht. Daran habe ich die schönsten Erinnerungen. Mit 21 habe ich einen Sommer lang ’Kunst’-Unterricht in einer Kindertagesstätte in Brooklyin gegeben. Kein anderer Sommer in meinem Leben hat mich so befriedigt. Nichts freut mich mehr, als wenn ich ein Kind zum Lächeln bringen kann. Das Baby ist deshalb zu meinem Logo oder meiner Signatur geworden, weil es die reinste und positivste Erfahrung im menschlichen Leben darstellt. Kinder sind Träger des Lebens in seiner einfachsten und freudigsten Gestalt. Kinder sind hautfarbenblind und noch frei von allen Komplikationen, von Haß und Habgier, die ihnen dann allmählich fürs Leben eingeimpft werden ... Ich würde gern einmal ein Buch mit Fotos von mir machen, zusammen mit Kindern überall auf der Welt. Es gibt von allen Orten, wo ich gewesen bin, viele solche Bilder. Ich habe bei jeder Ausstellung, und in jedem Land immer in irgend einer Form Kontakt mit Kindern gehabt. Das ist eins von den Dingen an die ich denke, wenn ich sage, daß mein Leben und meine Kunst manche Aspekte haben, die sich bei keinem anderen Künstler, den ich kenne, wiederfinden."
Er liebt die Kinder, weil sie in ihrer ganz alltäglichen Existenz eine Faszination entdecken, die den Erwachsenen verborgen bleibt. Diese Faszination des Alltäglichen hat viel mit Pop Art, mehr noch mit der Kunst zu tun, die Keith Haring schafft. Diese Kunst ist schnell, spontan, oft vergänglich: Kreidezeichnungen auf dem Trottoir, Mauerbilder, Comics. Sie ist leicht und von jedem zu verstehen. Jeder kann sie nachmalen. Und wirklich wundert sich Keith Haring, daß, wo auch immer er hinkommt, sein bellender Hund, sein Breakdancer, sein Baby im Strahlenkranz schon da sind: auf Buttons, Menukarten, T-Shirts, unautorisierte Raubdrucke.In all seiner Rastlosigkeit hat Keith Haring doch stets Zeit gefunden mit Kindern zusammen zu sein:
"Was immer ich sonst sein mag, ich bin wenigstens vielen Kindern ein guter Spielkamerad gewesen und habe ihr Leben vielleicht in einer Weise berührt, die in der Zeit weiterwirken könnte, und ihnen eine Art einfacher Lektion im Teilen und Anteilnehmen vermittelt. Manchmal wünsche ich mir wirklich, ich könnte selbst Kinder haben, aber vielleicht ist dies eine viel wichtigere Rolle, wenn man sie in mehr als einem Leben spielt ... Irgendwie glaube ich, daß das der Grund ist, warum ich noch am Leben bin."
Die Kinder mögen der Sinn seines Lebens sein. Die Wurzel seiner Energie seiner künstlerischen Kraft ist die Sexualität. Ungeniert starrt der schwule Keith Haring auf die Schenkel der jungen Männer, die ihm in der U-Bahn gegenübersitzen, betrachtet wohlgefällig die schönen Körper der Breakdancer, der Knaben in den Diskotheken.
"Es klingt lachhaft, daß etwas wie Sex so eine hohe Bedeutung in jemandes Leben haben sollte, der angeblich ‘die tiefe Gabe zum künstlerischen Schaffen’ besitzt, aber so ist es seit eh und je. Vielleicht ist das der Grund für manche Schuldgefühle meiner Unfähigkeit wegen. Kunst und Leben zu trennen, war mir immer unmöglich, und mein Leben war unvermeidlich von der Sexualität beherrscht. Sie ist vermutlich die treibende Kraft hinter allen meinen Arbeiten."
Sex, das ist eine flüchtige Begegnung auf der Toilette bei den Thurn und Taxis ebenso wie die große Liebe zu Juan, den Haring nah, aber nicht zu nah bei sich haben will, nach dem er sich verzehrt, den er nicht ertragen kann. Erbärmlich eifersüchtig ist er und gleichzeitig erregt von der Vorstellung, andere begehrten den wunderbaren Juan. Sein Begleiter, nicht sein Liebhaber in seinem letzen Lebensjahr ist Gil. Haring weiß, daß er an AIDS sterben wird. Er hat schwarze Flecken am Körper. Er hat die Fähigkeit zu verführen und die Freude an der Lust, an der Kunst der Verführung verloren.
Er schreibt nicht wie es war, als er von der tödlichen Krankheit erfahren hat. Er schreibt nicht, wie es ist, mit dem nahen Tod vor Augen zu leben - als Dreißigjähriger. Wenn er über AIDS schreibt, dann wie über eine Seuche, eine Plage, gleichzusetzen mit Crack, militärischen Eskalationen, der Apartheid, der Atombombe, den Fundamentalisten. In seinen Bildern personifiziert er den Virus als Teufelsfratze, die sich an einen Penis heranschleicht. Er kämpft mit seinen Mitteln, seinen Piktogrammen, seinen Strichmännchen gegen AIDS, so wie er gegen Rassismus, weiße Arroganz und Krieg gekämpft hat. Seine eigene Person stellt er zurück. Seine letzte Tagebucheintragung stammt vom September 1989, ein halbes Jahr vor seinem Tod. Er betrachtet den Turm von Pisa: "Er ist wirklich großartig und hysterisch zugleich. Jedesmal, wenn man ihn anschaut, muß man lächeln."