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Tagesschau zu Kaisers Zeiten

Einen Tag ohne Nachrichten mit bewegten Bildern kann man sich heute kaum noch vorstellen. Die Idee einer tagesaktuellen Filmberichterstattung wurde bereits 1911 im Breisgau geboren. Via Kino berichtete "Der Tag im Film", der Urgroßvater der Tagesschau.

Von Klaus Amann |
    Der "Tag im Film" zum Jahreswechsel 1911: In Bombay Vorbereitungen zum Empfang des englischen Königspaares, ein verheerender Brand im bayerischen Buchloe, ein weiterer Großbrand in New York, der schwedische Panzerkreuzer Oskar zu Besuch in Stettin, ein Banküberfall in Paris, die Krönung von Königs Georg V. zum Kaiser von Indien, in Wien hatte Übeltäter aus der Gruft des Fürsten Alexander den Schädel gestohlen und zum Abschluss der
    Aktualitäten wurde ein Besuch beim badischen Großherzog in Karlsruhe gezeigt.

    Kapitalkräftige Geschäftsleute, vorneweg der Freiburger Bernhard Gotthard, wollten die aktuelle Filmberichterstattung nicht mehr "den? Franzosen" überlassen, die den europäischen Kinomarkt mit mehr oder minder zufällig abgelichteten Ereignissen exklusiv belieferten. Der Freiburger Filmhistoriker Wolfgang Dittrich, Mitarbeiter des Kommunalen Kinos hat sich mit dem "Tag im Film" und der dahinter stehenden Firma "Express-Film" beschäftigt.

    "Die Idee stammt eigentlich aus Frankreich, "Pathe" hatte es zuerst versucht, einen täglichen Programmwechsel hinzu bekommen, aber die Freiburger haben immer wieder solche Ideen als erste in Deutschland eingebracht. Freiburg hat auch mit dem "Weltkinematographen" die erste deutsche Kinokette gegründet und das schon 1906, die Zentrale war in Freiburg. Diese Idee zum Importieren war immer der Wegbereiter, denn bis 1914 hat Freiburg was die Innovationskraft angeht, immer eine ganz entscheidende Rolle gespielt."

    Was jede Tageszeitung nur mit trockenen Worten beschreiben könne, so die Werbung der Express-Filmer, das wolle man in wahrheitsgetreuen lebenden Bildern bringen. Ein Netz von Kino-Operateuren - unter ihnen der legendäre Sepp Allgaier - , das Expressgut-System der Bahnlinien und die ersten Flugverbindungen sollten diese aktuelle Filmberichterstattung ermöglichen: "Gestern geschehen! Heute im Kino!" Die Kinobesitzer bekamen die neuen, zwei bis drei Minuten langen Film-Streifen angeliefert. Die Vorführer klebte die neue Aktualität an den Anfang der Filmrolle und schnitten einen alten Bericht am Rollenende weg.

    Der Freiburger Filmhistoriker Wolfgang Dittrich:

    "Das waren ja auch keine Riesenpakete, das waren Filme bis zu 120 Meter, die waren in kleinen Dosen, die wurden dann vor Ort zu einem Programm zusammen gestückelt. Und ein Gesamtprogramm bestand auch nicht aus zwei, drei Stunden, sondern 60 Minuten, sagen wir mal. Das waren sehr verschiedene Filme, darunter auch solche, die schon länger im Programm waren. Deshalb war es wichtig, immer wieder kleinere Abschnitte zu haben, die aktuell waren, um dann das ganze Programm als "neu" zu verkaufen."

    Der Freiburger Versuch einer zumindest der Idee nach täglichen Filmberichterstattung erregte in der Fachwelt großes Aufsehen. So fragte das Fachblatt "Kinematograph" in einem Artikel 1911: "Wird die kinematographische Zeitung die Zeitungspresse ernsthaft schädigen?"

    Bei Ausbruch des 1.Weltkrieg 1914 widmete sich der Freiburger "Tag im Film" vor allem den militärischen Aufmärschen und dann dem Kriegsgeschehen. Die Werbung hierfür: "Ergreifend! Sensationell! Fesselnd! Prachtvolle, im Kugelhagel unter Todesgefahr aufgenommene, lebende Bilder von der Front! Seine Majestät der Kaiser hat das Allerhöchste Lob über die schönen Aufnahmen ausgesprochen."

    Zum Kriegsende 1918 wurde der Freiburger "Tag im Film" eingestellt. Das deutsche Aktualitätenkino hatte mit der Wochenschau den Siebentage-Rhythmus gefunden und ihre Produzenten waren in Berlin Zuhause und nicht in Freiburg. Die Kino-Wochenschau wurde 1952 zum Geburtshelfer der Fernsehtagesschau in Hamburg und zwei Jahrzehnte später wurde die
    Tagesschau zum Totengräber der Kino-Wochenschau. Der in Freiburg beheimatete "Urgroßvater" der Tagesschau war da schon längst in Vergessenheit geraten.