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Tagung an der TU-München
Den wissenschaftlichen Irrtum im Fokus

Irren ist nicht nur menschlich, sondern auch wissenschaftlich, davon ist die Forschergruppe MICE an der TU-München überzeugt. Sie beschäftigt sich mit Fehlern und Irrtümern im Elfenbeinturm. Einen anderen Umgang mit ihnen forderte sie jetzt auf einer Tagung.

Von Thomas Wagner | 06.10.2014
    Zusehen ist eine bläulich beleuchtete Labor-Apparatur mit einem Rundkolben in der Mitte, in dem sich ein weißes Pulver befindet.
    Auch Wissenschaftler sind vor Fehlern und Irrtümern nicht gefeit. (Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung)
    Der große Irrtum der Wirtschaftswissenschaftler:
    "Für die Mehrzahl der Ökonomen kam die Finanzkrise ziemlich überraschend. Die Krise, als sie dann ausbrach, mit dem Kollaps der Lehmann-Bank und den ganzen Kollateral-Effekte undsoweiter. Das hat eigentlich keiner vorausgesehen. Und dann, als die Krise da war, haben sie es also doch alle vorher gewusst."
    Der große Irrtum der Informatiker:
    "Es gibt Fehler in Softwaresystemen, wo man in den 60er-Jahren den Fall hatte, dass durch einen Softwarefehler die Amerikaner dachten: Die Russen würden gerade mit einer Rakete angreifen und standen dann kurz vor dem Atomkrieg."
    Zwei Beispiele von vielen für Irrtümer in der Wissenschaft: Roman Köster ist Wirtschaftshistoriker an der Universität der Bundeswehr in München, Ulf Hashagen leitet das Forschungszentrum für Technik- und Wissenschaftsgeschichte am Deutschen Museum. Beide beschäftigten sich am Wochenende auf einer Tagung mit demselben Thema: "Mice".
    "Mice ist eine Abkürzung für 'M' für 'Mistake', 'I' für 'Ignorance', 'C' für 'Contingency' und 'E' for 'Error'", erklärt Karin Zachmann, Professorin für Technikgeschichte an der Technischen Universität München. "Mice" nennt sich jene neue Forschergruppe, die sich mit Fehlern und Irrtümern in der Wissenschaft beschäftigt. Die allerdings seien häufig dem Umstand geschuldet, "dass die Öffentlichkeit Gewissheit erwartet, klare Aussagen erwartet und von daher im Kontakt mit der Öffentlichkeit dann aus Ungewissheit sichere Aussagen werden."
    Auch in der Medizin über Fehler reden
    Hinzu kommt: Bis vor Kurzem haftete so mancher Disziplin der Nimbus "päpstlicher Unfehlbarkeit" an. Professor Mariacarla Gadebusch-Bondi ist Medizinhistorikerin an der TU München und fragt sich:
    "Warum kann man in der Medizin nicht über Fehler reden? Der Punkt dafür war immer wieder der Glauben an Autoritäten, also die Vorstellung, dass eine Autorität, also eine wichtige Persönlichkeit in der Medizin, eigentlich keine Fehler machen darf."
    Hinzu kommt die die Art und Weise, wie Jungforscher in der Wissenschaft Karriere machen: Sie müssen auf "Teufel-komm-raus" in Fachzeitschriften publizieren. Möglicherweise der falsche Weg, findet Karin Zachmann:
    "Es wäre durchaus möglich, dass die Institutionalisierung, die Form, wie wissenschaftliche Karrieren erfolgreich sind, hier dann dazu führt, dass Fehler ausgeblendet werden".
    Manchmal führt dieses Schema sogar direkt in den Wissenschaftsbetrug: Die Uni Konstanz hat einem Jung-Physiker nachträglich den Doktortitel entzogen. Der Nachwuchswissenschaftler hatte Unmengen an wissenschaftlichen Aufsätzen publiziert, um Karriere zu machen, dabei aber die Ergebnisse vieler Versuchsreihen frei erfunden. Hier gilt es, zukünftig vorzubeugen, und zwar in allen Fächern. Wirtschaftshistoriker Roman Köster:
    "Es gibt ja ganz viele breite Bewegung, die letztendlich fordern, dass man das Studium reformieren muss, dass man Krisen stärker behandeln muss, dass man methodische Grundlagen ökonomischen Wissens stärker behandeln muss. Insofern tut sich da gerade einiges."
    Irren ist nicht nur menschlich, sondern auch wissenschaftlich
    Und zwar nicht nur bei den Ökonomen. Medizinhistorikerin Mariacarla Gadebusch-Bondi:
    "Zunehmend haben wir auch in der Medizindidaktik viele, die sich Gedanken machen, wie man, sagen wir, nicht fehlerfreundliche, aber eine Mentalität im Studium etablieren kann, in der man eben junge Mediziner da hinführt, da keine Hemmungen oder eine ganz offene Haltung dazu zu pflegen. Das machen wir zum Beispiel auch in der Medizinethik."
    In manchen anderen Ländern ist die Beschäftigung mit dem wissenschaftlichen Irrtum allerdings längst fest im Studium verankert. Klimaforscher Professor Matthias Heymann von der dänischen Aarhus-University:
    "Es ist in manchen Ländern so, dass Naturwissenschafts- oder Ingenieurstudenten auch einen relativ großen Anteil an geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern machen müssen. Ich selber unterrichte in Dänemark. Da ist es verpflichtend, für alle Studenten ein Fach 'Philosophie' zu belegen. Das ist nicht viel. Aber es ist wenigstens etwas."
    Und zwar auch der Anstoß für angehende Wissenschaftler, sich schon während des Studiums klar zu werden: Irren ist nicht nur menschlich, sondern eben durchaus auch wissenschaftlich.