Montag, 29. April 2024

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Tagung des Deutschen Bühnenvereins
"Wir können in der Kunst sehr wohl auf die Gesellschaft einwirken"

"Moralische Angriffe zeigen uns, dass die Kunst wirksam ist, wenn sie so aufregt, wenn sie offenbar politisch gesehen wird", sagte Christoph Dittrich, Generalintendant des Theater Chemnitz im Dlf. Er bezog sich auf Angriffe dieser Art gegen die Theater hierzulande.

Christoph Dittrich im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 23.10.2018
    Generalintendant der Theater Chemnitz, Christoph Dittrich
    Generalintendant der Theater Chemnitz, Christoph Dittrich (dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt)
    Maja Ellmenreich: Dagegen oder dafür? Die deutschsprachige Opernkonferenz – sie setzt sich zusammen aus den 13 größten Opernhäusern in Deutschland, Österreich und der Schweiz – die Opernkonferenz hat sich eindeutig positioniert. Sie erteilt jeder Form von völkisch-nationalem Gedankengut, Rassismus und Menschenfeindlichkeit eine eindeutige Absage. So geschehen am zurückliegenden Wochenende, bei der Tagung der deutschsprachigen Opernkonferenz in Wien.
    Fast zeitgleich, Anfang dieser Woche, hat auch der Deutsche Bühnenverein diskutiert über den Druck von rechts, über rechtspopulistische Strömungen und über die Frage, wie Theater auf die jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen reagieren können.
    Der Ausschuss für künstlerische Fragen des Deutschen Bühnenvereins hat am Theater Magdeburg getagt – mit dabei war Christoph Dittrich. Er ist Generalintendant der Theater Chemnitz und Vorsitzender des Landesverbands Sachsen des Deutschen Bühnenvereins. Mit ihm habe ich vor der Sendung gesprochen
    Wohlfeile und sehr allgemeine Worte, wie ich sie gerade zitiert habe von der deutschsprachigen Opernkonferenz – das ist das eine. Herr Dittrich, zu welchem Schluss sind Sie in Magdeburg gekommen? Zu mehr als nur zu einer generellen Absage gegenüber rechts?
    Appell an Humanismus
    Christoph Dittrich: Ich glaube schon, dass wir uns wesentlich detaillierter und konkreter über diese Situation austauschen konnten. Sie haben es gesagt: Ich komme ja aus Chemnitz und wir haben Anfang September eine besondere Situation hier gehabt. Auch deswegen war mir die Teilnahme in Magdeburg sehr wichtig, um aus sehr konkreten Erfahrungen zu berichten, wie mit Gräben in der Gesellschaft, wie mit Populismus umzugehen ist.
    Wir haben festgestellt, dass die Theater, dass die Kunst etwas leisten kann. Sicher nicht ganz allein in der Gesellschaft, aber sie kann viel leisten. Das kommt zum einen daher, dass die Kunst immer ein Appell an den Humanismus per se ist, und aus diesem resultiert schon von der ästhetischen Seite sehr viel, und in unserer heutigen Zeit geht es natürlich über das pure und bloße Bühnengeschehen auch weit hinaus, dass man versucht, mit besonderen Veranstaltungen eine Diskursoffenheit in der Gesellschaft herzustellen, sich direkt mit Phänomenen auseinanderzusetzen. Dort ist wiederum nicht nur das Gespräch gefragt, sondern auch, dass die Kunst, indem sie uns aus früheren Zeiten berichtet, einen Nukleus für derartige Formate setzt, dass man sich erinnert, dass es in der Geschichte immer schon solche Erscheinungen gegeben hat, dass man sich dazu ins Verhältnis setzen muss und dass eine Haltung etwas sehr Wichtiges ist. Dort können wir mit unseren erprobten und auch mit neuen Formaten in der Kunst sehr wohl auf die Gesellschaft einwirken.
    Ellmenreich: Welche Erfahrungen mit rechten Übergriffen hat man denn bei Theatern bereits gemacht? Gibt es konkrete Vorfälle, oder handelt es sich bei Ihren Überlegungen im Moment noch um vorbeugende Maßnahmen?
    Geistige und moralische Angriffe
    Dittrich: Ich glaube, wirklich physische Übergriffe – auch da gibt es einige Sachen. Erinnern Sie sich an Altenburg, wo ein farbiger Schauspieler angegriffen wurde und dann auch die Stadt verlassen hat. Vor allen Dingen geht es aber heute eher um die, sagen wir, geistigen Angriffe, die moralischen, die stattfinden, die uns große Sorgen machen, dass Theater dort auch in eine Richtung gedrängt werden soll, in eine völkische, in eine nationale oder irgendetwas. Alles andere wird dann möglicherweise schon auch mit einem Vokabular belegt, was wir aus dem Dritten Reich heraus kennen. Das ist Besorgnis erregend. Es lehrt uns auf der anderen Seite aber auch, dass die Kunst offenbar irgendwie wirksam ist, wenn sie so aufregt, wenn sie so angegriffen wird, wenn sie offenbar politisch gesehen wird, und nicht einfach nur harmlos in unserer Gesellschaft steht.
    Ellmenreich: Das Theater als der Ort, wo auch die Emotionen durchaus hochkochen dürfen. – Heißt das auch, dass alle Stimmen, auch rechte Stimmen gehört werden sollten in einem Theater? Oder wie gehen Sie sonst um mit dem Vorwurf der Zensur, wenn nicht alle gehört werden?
    Extreme und radikale Positionen zurückweisen
    Dittrich: Gehört werden darf und muss, was auf dem festen Boden unseres Grundgesetzes, unserer Demokratie und der damit verbundenen Werte steht. Alles was diesen Boden verlässt – und dazu zählt alles das, was in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken ist -, das ist auch zurückzuweisen. Dort ist ein Stoppschild zu setzen.
    Ich glaube, wir müssen uns sehr bemühen um viele Menschen, die eine Verunsicherung erfahren in unserer heutigen Zeit – ob das Phänomene sind einer vermeintlichen Bedrohung durch Ausländer, oder ob es die Digitalisierung, die Globalisierung ist, die Angst macht. Wir müssen uns damit beschäftigen und versuchen, immer wieder auf Differenzierungen einzugehen, auf das Suchen in sich selbst. Das kann die Kunst. Ein Stoppzeichen ist zu setzen, wo es um Extremismus und Radikalität geht.
    Ellmenreich: Haben Sie da so was wie allgemein gültige Handlungsempfehlungen formulieren können, jetzt bei der Tagung in Magdeburg, ganz konkrete Maßnahmen, die Theater ergreifen sollen, Aktionen oder Veranstaltungen?
    Dittrich: Wir haben in unserem Gespräch rausgefunden, dass es besonders wichtig ist, auf die ganz spezifischen einzelnen Situationen an den Standorten, in den Städten, in den Theatern einzugehen. Dort lässt sich keine Verallgemeinerung treffen. Wir haben gesprochen über Paderborn und Chemnitz. Schon daran erkennt man, wie schon von der Bevölkerungssituation, von der Demographie, von möglicher Abwanderung, die es gegeben hat in Chemnitz, die vielleicht in Paderborn überhaupt keine Rolle spielt, dass dort völlig andere Dinge die Meinung beherrschen, die Gefühlslage der Menschen. Darauf einzugehen - das haben wir eindeutig beschrieben – ist das Zeichen der Zeit. Das ist wichtig. Natürlich auch das Netzwerk, untereinander sich zu verständigen.
    Überwundene Schockstarre
    Ich glaube, hier bei uns in Chemnitz zum Beispiel ist es wirklich sehr wichtig, auch mit Menschen direkt zu sprechen, vielleicht auch Orte gemeinsam von Theater und einem ganz weit gefassten Publikum in der Stadt zu erkunden und nicht nur zu sagen, kommt zu uns, wir erzählen euch etwas über das Leben, sondern gemeinsam Biographien durchzugehen, Erkenntnisse, was wir in der Stadt gemeinsam erlebt haben, an neuem Ort zu erforschen. In Paderborn oder in Bremerhaven oder in München kann das schon ganz anders aussehen.
    Ellmenreich: Umgehend nach den Ereignissen von Chemnitz Anfang September sprachen Sie, Herr Dittrich, in einem Interview von einer Schockstarre. Ist die jetzt überwunden? Ist diese Tagung in Magdeburg jetzt ein Zeichen dafür, dass es jetzt wirklich Zeit zu handeln ist?
    Dittrich: Ja, diese Schockstarre ist überwunden, und zwar nicht erst mit der Tagung in Magdeburg. Dieses Erlebnis war wirklich ein tiefgreifendes. Diese Schockstarre, ich möchte sagen, vielleicht ist die so anderthalb, zwei, drei Tage gewesen, als man plötzlich über die Fernsehbildschirme dieser Welt erklärt bekam, wer man selber ist oder sein soll. Im Nachgang dieser ein, zwei, drei Tage hat das bei den Künstlern, bei vielen Menschen hier in Chemnitz eine große Energie freigesetzt, sich genau darüber zu vergewissern und sich auch zu äußern. Ich glaube, dort kommt dem Theater eine wichtige Rolle zu.
    Die Diskursoffenheit ist mir persönlich sehr wichtig, vielleicht nicht zu sagen, wir sind mehr, wir sind gegen das, sondern immer wieder zu öffnen und ein gemeinsames Gespräch zu ermöglichen. Wenn man das tut, findet man, glaube ich, viele, die man ermutigen kann, dort mitzutun.
    Ellmenreich: Wie sieht es aus mit der gemeinsamen Kraft dagegen, dass ja die Institution Theater, nämlich die staatlich finanzierte Theater- und Musiklandschaft in Deutschland, immer wieder in Frage gestellt wird, zum Beispiel von der AfD? Ist das auch ein Thema gewesen auf höchster Bundesebene bei Ihnen?
    Kunst ist international
    Dittrich: Im Augenblick erleben wir in vielen Orten eine relativ stabile Situation, gerade wenn ich von Sachsen berichten darf, wo es ein zusätzliches Förderprogramm für Theater und Orchester gibt um die tarifliche Bezahlung, die so viele Jahre nicht möglich war, teilweise 15, 20 Jahre, wieder auf bessere Füße zu stellen. Das ist wirklich sehr ermutigend. Wir schauen tatsächlich besorgt auf einige Äußerungen und Wahlprogramme, die uns einschüchtern, die populistisch geformt sind, wenn es denn heißt, dass es doch eine deutsche Identität oder irgendetwas zu stärken gäbe, was wir als Künstler gar nicht erkennen. Die Kunst ist immer international und gerade durch diese Bereicherung des Spiegels einer multioffenen Betrachtungsweise, was ja nicht heißt, dass man nicht ein eigenes Gefühl für seine Herkunft hat, dafür wirbt die Kunst. Wenn sie von außen auf etwas fixiert werden soll, auf den Vorgarten, auf den sie sich beschränken soll, und nur schauend in die Welt, das würde sie nicht ertragen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.