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Tagung in Berlin
Kleine Fächer als Kleinode der Wissenschaft

119 Orchideenfächer findet man bundesweit, von Eisenbahnwesen bis Altamerikanistik - über 80 Prozent von ihnen in den Geisteswissenschaften. Bund und Länder tun seit geraumer Zeit einiges, um diese Kleinen Fächer zu fördern. Denn: Sie prägen das Bild von Universität und sind international hoch vernetzt.

Von Christiane Habermalz |
    Studentin nimmt Buch aus Regal.
    Alte Kulturen und Sprachen sind von den Streichungen im Bereich der Kleine Fächer besonders betroffen. (imago - Westend61)
    Kleine Fächer haben es in Zeiten von Sparzwängen nicht leicht. Wer den Studiengang Mittellatein wählt, sich also mit der lateinischen Literatur und Sprache des Mittelalters beschäftigen möchte, konnte dies noch vor 20 Jahren bei deutschlandweit insgesamt 13 Professoren tun, heute sind es nur noch elf. Indische Kunstgeschichte lässt sich bundesweit nur bei einem einzigen Professor an der FU Berlin studieren. Und Friesistik? Dafür geht man nach Kiel, zu Jarich Hoekstra. Zwei Dozenten und 25 bis 30 Studierende hat sein Fachbereich an der Christian-Albrechts-Universität.
    "Friesisch wird in den Niederlanden gesprochen, in der niederländischen Provinz Friesland, und dann wird es in Deutschland gesprochen, in Nordfriesland von etwa 8000 Sprechern. Und dann gibt es noch das Ostfriesische, nicht zu verwirren mit dem ostfriesischen Plattdeutsch, das auch ostfriesisch heißt, aber kein Friesisch ist."
    Friesistik-Studenten lernen mindestens zwei Mundarten, sie studieren die nord-, ost- und westfriesische Literatur und Sprachwissenschaft. Was man damit denn mal anfangen könne? Gar nicht so wenig, sagt Hoekstra. Man landet in der Wissenschaft, an den Sprachinstituten, in der Minderheitenpolitik oder –verwaltung, oder beim friesischen Programm des NDR.
    "Also der Nachteil eines kleinen Faches ist natürlich, dass es wenig Jobs gibt, aber die wenigen die es gibt, dafür gibt es natürlich sehr wenig Leute, die das können. Und wenn man sich dann wirklich anstrengt, dann ist es doch relativ leicht, in so eine Nische reinzukommen."
    Kleine Fächer sind Kleinode, in denen Wissen gesammelt und gehortet wird, für das sich sonst oft niemand interessiert. Sie werden deswegen selbst von der Hochschulpolitik wie seltene Insekten behandelt, die man schützen muss. 2005 wurde eine eigene Arbeitsstelle eingerichtet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Situation Kleiner Fächer an den Hochschulen zu untersuchen. Begonnen wurde mit einer Kartierung. 119 Fächer fand man bundesweit, von Eisenbahnwesen bis Altamerikanistik, über 80 Prozent von ihnen in den Geisteswissenschaften.
    Insgesamt ist seit 1997 die Zahl der Professuren, die in Kleinen Fächern arbeiten, konstant geblieben, erläutert Mechthild Dreyer. Die Vizepräsidentin der Universität Mainz leitet die Arbeitsstelle Kleine Fächer. Verluste in einem Bereich seien durch Zuwächse in anderen Fächern ausgeglichen worden. Das Plus-Minus-Spiel gehe allerdings klar zulasten der alten Kulturen und Sprachen aus, so Dreyer.
    "Im Bereich der alten Kulturen und Sprachen haben wir 42 Professuren verloren, im Bereich der Geschichtswissenschaft 31. Im Bereich der europäischen Sprach- und Literaturwissenschaft sind 15 Professuren gegenüber 1997 verloren gegangen."
    Kleine Fächer schärfen das Profil
    Bund und Länder tun seit geraumer Zeit einiges, um die Kleinen Fächer zu fördern. Denn, so betont Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium, Kleine Fächer gehören zum Kernbereich der Wissenschaft. Sie prägen das Bild von Universität, sie sind oft, gerade weil sie klein sind, international hoch vernetzt. Es sei daher falsch verstandene Profilschärfung, wenn von Universitäten im aktuellen Exzellenzwettbewerb wertvolle Spezialgebiete geopfert würden, mahnte Quenett-Thielen.
    "Studiengänge und Fächer abzuwickeln, geht sehr schnell. Die verlorene Kompetenz und die entsprechenden Strukturen wieder aufzubauen, ist ungleich mühsamer."
    "Auf Diskussionen der Ausbildungseffizienz können und sollten sich die kleinen Fächer nicht einlassen", sagt auch Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Allerdings: Auch Kleine Fächer müssen und sollen in den Dialog mit der Gesellschaft treten – und sich fragen lassen, was sie eigentlich tun und wofür das gut ist.
    "Es geht uns nicht um Artenschutz. Kleine Fächer müssen und wollen sich bewähren und im Wettbewerb stehen."
    Anett Martini stellt sich die Frage nach dem Sinn ihres Faches nicht. Sie ist Judaistin und eine von 14 Nachwuchswissenschaftlern deren Forschungsprojekt vom BMBF im Rahmen der Initiative Kleine Fächer gefördert wird. Drei Jahre lang darf sie jetzt die Erfurter Handschriften erforschen, einzigartige mittelalterliche hebräische Schriften, die aus einer der ältesten jüdischen Gemeinden Deutschlands stammen.
    "Spektakulär ist, es gibt eine Tusefta, das ist auch etwas Besonderes. Das ist ein rabbinisches Regelwerk, wo bestimmte religiöse Gesetze besprochen werden - ganz ähnlich dem Talmud - und davon sind uns weltweit nur drei Exemplare überhaupt überliefert."
    Viele Menschen gibt es nicht in Deutschland, die in der Lage sind, die kostbaren Schriften zu entziffern. Anett Martini ist eine von ihnen.