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Tagung in Frankfurt
Sind Männer das Problem?

Gibt es eine neue Sehnsucht nach einer starken Männlichkeit? Sind Männer möglicherweise verwundbarer als Frauen? Und sind psychische Verwundungen bei Männern womöglich das verbindende Muster von Salafismus oder Pegida? Das fragte eine Tagung der Katholischen Erwachsenenbildung Frankfurt am Main und der Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung. Sind also Männer das Problem?

Von Ludger Fittkau | 20.11.2015
    Der salafistische Prediger Pierre Vogel kniet auf dem Boden, hinter ihm beugen sich Dutzende junge Männer betend zu Boden.
    Der salafistische Prediger Pierre Vogel betet im Juli 2014 in Hamburg auf einer Kundgebung mit Anhängern. (dpa / Markus Scholz)
    Männer sind tatsächlich vielfach verwundbar. Sie sind es bereits als Kinder, wenn sie zu früh in der Familie in die Rolle der "starken kleinen Männer" gedrängt werden, die alles können und nicht mehr weich sein sollen:
    "Viele Jungs geben sich selbstständig, sind motorisch aktiv, zeigen keine Angst. Agieren kontra-phobisch, wie wir sagen, mit ausgeprägtem Größenselbst. Und scheitern doch zunehmend an den Erfordernissen der modernen, multioptionalen modernen Leistungsgesellschaft. Was sich schon in der Schule bemerkbar macht. Zudem werden sie in häufig in weiblich dominierten Institutionen häufig als aggressive Störer wahrgenommen. Außerdem weigern sie sich mehrheitlich, unseren Vorstellungen einer reiferen, gendersensiblen, bi-sexuellen Geschlechtsidentität zu entsprechen."
    So formulierte es etwas polemisch zugespitzt bei der Tagung in Frankfurt Professor Frank Dammasch, Kinder- und Jugendlichen-Therapeut in der Mainmetropole.
    Fehlende Vaterfiguren
    Gerade wenn es gravierende Beziehungsprobleme zwischen den Eltern oder eine Scheidung gäbe, kompensieren Jungen schon in der Kita ihre Ängste gerne mit aggressivem Macho- Gehabe nach außen, stellt der Psychoanalytiker fest:
    "Es gibt zum Beispiel Bindungsstudien, die zeigen, dass die Jungen im Kindergarten, die extrem geschlechtsstereotypisches Verhalten haben, also sich sehr an Männlichkeit orientieren, meistens unsichere Bindungstypen sind. Während wir bei sicher gebundenen meist eine höhere Gender-Sensibilität haben, finden wir das bei unsicher gebundenen selten, die beharren sehr auf ihrer Männlichkeit."
    Wenn dann auch noch der Vater fehlt und stattdessen religiöse Ersatz-Vaterfiguren ins Spiel kommen, kann es politisch gefährlich werden, so Frank Dammasch:
    "Das sehen wir jetzt auch bei den Terroristen - da gibt es ja Untersuchungen im Libanon, die zeigen: Die Bedeutung des Vaters bzw. des nicht-vorhandenen Vaters ist da extrem."
    Dass männliche Jugendliche und junge Erwachsene aus vaterlosen Familien für Dschihadisten ein besonders lohnendes Ziel der Indoktrination sind, bestätigte bei der Tagung in Frankfurt am Main auch ein Islamwissenschaftler, der anonym bleiben will. Er arbeitet beim sogenannten "Violence Prevention Network", einer staatlich geförderten Beratungsstelle in Hessen, die Jugendliche daran hindern will, in den Dschihad zu ziehen. Der Experte beschreibt anhand eines konkreten Falles aus der Beratungspraxis, wie ein radikaler Islamist für einen Jugendlichen, der ohne Vater aufwächst, zur Ersatz-Vaterfigur wird:
    Extremistische Männer als Ersatz-Papas
    "Wir hatten ein konkreten Fall, wo es dann durch jemanden ersetzt worden ist, den man als Vorbildfunktion genommen hat. Diese Person war eben hochgradig radikal. Und hat dieses Gedankengut indoktriniert in diese junge Person. Was dann dazu geführt hat, dass diese Person, weil sie dieser Vaterfigur gerecht werden wollte und sie ehren wollte, versucht hat, sie in ihr Leben zu integrieren und zu etablieren. Und weil diese Vorbildfunktion dann irgendwann nach Syrien ausgereist ist, hat er dann versucht, es ihm gleich zu tun. Man konnte ihn Gott sei Dank davon abhalten. Aber trotzdem hat er dann hier, in dem Kontext, in dem er sozialisiert wurde, keinen Anknüpfungspunkt mehr für sich gesehen. Er hat sich nicht zugehörig gesehen in der Gesellschaft, in der er aufgewachsen ist."
    Aus Verletzlichkeit wird gefährliche Gewalt. Der Historiker Olaf Stieglitz von der Universität Köln zeigte in seinem Vortrag auf, dass die Rede von der "Krise der Männlichkeit" in der Geschichte allerdings auch oft dazu gedient hat, schwindende Machtpositionen für das Patriarchat zurückzugewinnen:
    "Parameter ist nach wie vor die hegemoniale Stärke dieser konventionellen Männerbilder und Männerrollen. Trotz vierzig, fünfzig Jahre Gender Studies, Geschlechtergeschichte, gesellschaftliche Genderarbeit: In den Köpfen ist alles so träge, die psychischen Muster sind so stabil, dass die Debatte darüber genau diesen Reflex meiner Meinung nach fordert, sich wieder auf diese konservativen und traditionellen Muster zu verlassen, darauf zurückzufallen und sich in Gewalt auch äußern zu können."
    Was aber tun, um die Rückkehr aggressiver männlicher Verhaltensweisen im öffentlichen Raum zurückzudrängen? Der Frankfurter Psychoanalytiker Frank Dammasch setzt Hoffnungen auf die Rückgewinnung stabiler Familienverhältnisse. "Jeder braucht einen Dritten" – lautet seine Beobachtung in der therapeutischen Praxis. Das grundlegende "soziale Dreieck" müsse vielleicht nicht immer "Vater-Mutter-Kind" sein. Aber aus seiner Sicht, so Dammasch, wäre es entwicklungspsychologisch für die Jungen gut, wenn dabei auch Männer eine gewisse Rolle spielen könnten. Wenn schon nicht in der Familie, dann etwa als Erzieher in der Kita.