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Taiwans flügellahme Luftwaffe

Bereits vor fünf Jahren hat Taipeh bei den Vereinigten Staaten neue Kampfflugzeuge bestellt. Doch Waffenlieferungen an Taiwan verurteilt China als Einmischung in innere Angelegenheiten. Als Kompromiss soll die USA nun die alten Flieger modernisieren.

Von Klaus Bardenhagen | 24.09.2011
    Wirklich überrascht hat es niemanden: Zwei Wochen ist es her, da meldeten Taiwans Nachrichtensender den Absturz von zwei Kampfflugzeugen über den Bergen im Norden der Insel. "Fliegende Särge" nennen die Taiwaner ihre 30 Jahre alten F5-Jets, mit denen es in den vergangenen sieben Jahren insgesamt sechs Unfälle gab. Sie taugen kaum noch für Übungsflüge; im Fall eines chinesischen Angriffs aber wären sie nutzlos. Dasselbe Schicksal drohe bald der ganzen Luftwaffe Taiwans, sagt Wendell Minnick. Für das Fachmagazin Defense News, Pflichtlektüre im Pentagon, beobachtet er von Taipeh aus die militärische Lage in Asien. Weil China ständig aufrüste, brauche Taiwan neue Kampfflugzeuge, um den Anschluss nicht komplett zu verlieren – und die müssten von den Amerikanern kommen.

    "Außer den USA liefert überhaupt kein Land mehr Waffen an Taiwan. Die Europäer haben in den Neunzigern damit aufgehört, nach einem Abkommen mit China. Um seine alten Modelle zu ersetzen, hat Taiwan in den USA 66 hochmoderne Maschinen vom Typ F16 C/D bestellt. Die bräuchte Taiwan wirklich, um seine Luftwaffe auf dem aktuellen Stand zu halten."

    Seit fünf Jahren liegt Taiwans Bestellung nun schon im Weißen Haus. Doch obwohl die Flugzeuge den USA fast acht Milliarden Dollar einbringen würden, konnten sich weder George W. Bush noch Barack Obama zur Unterschrift durchringen – aus Rücksicht auf China, das für den Fall einer Lieferung mit massiven Verstimmungen droht.

    In Taiwan steckt Präsident Ma Ying-jeou derweil in der Zwickmühle. Einerseits setzt er auf ein, zumindest oberflächlich betrachtet, gutes Verhältnis zum übermächtigen Nachbarn China, schließt gegenseitige Wirtschaftsabkommen und vermeidet nach Möglichkeit alles, was Peking als Provokation auffassen könnte. Andererseits muss er auf den Waffenlieferungen bestehen, um vor China und im eigenen Land nicht zu schwach zu erscheinen. Im Januar will er wiedergewählt werden.

    "Mit einem Riesen wie Festlandchina zu verhandeln, ist nicht ohne Risiko. Ohne die richtigen Einflussmöglichkeiten wäre Taiwan bei Verhandlungen nicht glaubwürdig. Deswegen werde ich die USA weiter darauf drängen, uns mit den notwendigen Verteidigungswaffen zu versorgen. Das militärische Kräftegewicht über der Taiwanstraße ist entscheidend für Frieden und Stabilität."

    Obama hat sich nun für einen Kompromiss entschieden. Keine neuen F16-Flugzeuge für Taiwan, lediglich eine Generalüberholung der bereits vorhandenen, die aus den frühen neunziger Jahren stammen. Die Zeiten, in denen Washington Taiwan nach Belieben aufrüstete, sind lange vorbei. Im Kalten Krieg war die Republik China, wie das Land sich offiziell nennt, für den Westen ein wichtiger Verbündeter – und in den Propagandafilme dieser Zeit hieß Taiwan einfach "das Freie China".

    "Es war von größter Bedeutung, das freie chinesische Volk in seinem Kampf zu unterstützen. Die nationalchinesische Luftwaffe erhielt die neuesten Kampfflugzeuge. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist beeindruckend. Mit 600.000 Mann ist Taiwans Armee die fünftgrößte der Welt. Und eine der am besten ausgebildeten."

    Die Gründe dafür, dass US-Waffenlieferungen an Taiwan heute überhaupt noch ein Thema sind, liegen im Jahr 1979. US-Präsident Jimmy Carter nahm damals über Nacht diplomatische Beziehungen mit Peking auf und kappte im Gegenzug die Verbindungen nach Taipeh. Taiwans Diktatur war mehr und mehr in die Kritik geraten, und Carter hätte kein Problem gehabt, die Insel der Volksrepublik auszuliefern. Doch er hatte die Rechnung ohne den US-Kongress gemacht. Die Abgeordneten fühlten sich überrumpelt und beschlossen gegen Carters Willen ein Gesetz zur weiteren Unterstützung Taiwans. An eben diesen Taiwan Relations Act ist Washington auch heute noch gebunden: Er verpflichtet die USA, Taiwan mit "notwendigen Verteidigungswaffen" zu beliefern und dafür Sorge zu tragen, dass der Status Taiwans nur auf friedlichem Wege geändert werden kann.

    China jedenfalls verurteilte damals wie heute das Gesetz als amerikanische Einmischung in innere Angelegenheiten. Erklärtes Ziel ist es, das strategisch wichtig gelegene Taiwan früher oder später zu kontrollieren. Sollte das allerdings auf einen gewaltsamen Konflikt herauslaufen, meint Verteidigungsexperte Wendell Minnick, würden die 66 neuen F16-Flugzeuge auch keinen großen Unterschied machen.

    "In einem echten Krieg würden sie nicht lange bestehen. China hält 1300 Kurzstreckenraketen auf Taiwan gerichtet, die würden als Erstes alle Flughäfen und Landebahnen zerstören. So könnten die F16 gar nicht erst abheben. Eigentlich haben die US-Waffenlieferungen an Taiwan nur symbolischen Wert."

    Jetzt, wo Taiwan sich zu einer echten Demokratie entwickelt hat, sollte deren Existenz dem Westen eigentlich ein echtes Anliegen sein. Die oppositionellen Republikaner in den USA jedenfalls haben das Dilemma des Präsidenten als symbolträchtiges Wahlkampfthema für sich entdeckt. Konservative Abgeordnete profilieren sich mit harten Worten gegen China und wollen Obama mit eigenen Gesetzentwürfen zu weiteren Waffenlieferungen zwingen. Mit dem aktuellen Kompromiss ist das letzte Wort in Sachen Waffen für Taiwan noch lange nicht gesprochen.