Donnerstag, 09. Mai 2024

Archiv


Talaren-Test

In den USA gehören sie zur Ausstattung jeder Law-School: sogenannte Moot-Courts, Übungsgerichtssäle, in denen Studenten Fälle nachstellen. In Deutschland gibt es erst wenige solcher Säle. Der neueste steht in Bochum.

Von Andrea Groß | 26.01.2010
    Der Fall hat sich in den 90er-Jahren im Ruhrgebiet ereignet: eine alte Frau hat testamentarisch ihr Vermögen ihren beiden jüngeren Kindern vermacht. Das älteste Kind erbt nichts. Doch auf dem Totenbett ändert die alte Dame ihre Meinung. Nun soll das älteste Kind alles erben und die jüngeren bekommen nichts. Die sind damit natürlich nicht einverstanden und fechten die Glaubwürdigkeit des Testaments an. Die Verhandlung wird von einem echten Richter geführt. Obwohl solche Sitzungen nicht öffentlich sein dürfen, gibt es einige Zuhörer: ein Professor, eine Radioreporterin, ein Fachanwalt und einige Fakultätsmitglieder. Philipp Dördelmann, Student im fünften Semester, vertritt die Angelegenheit der ältesten Tochter. Im Sinne seiner Mandantin ist ihm daran gelegen, dass das letzte Testament als das gültige anerkannt wird.

    "Ich habe mir zunächst die Unterlagen angesehen und bin dann auch mal in der Bibliothek durch die Kommentare gegangen. Vor allem wie das gerade mit den Beweislastregelungen aussieht, auf die Testierfähigkeit bezogen. Und dann auch auf die Frage der Nähebeziehung bei der Wechselzügigen Verfügung. Und hatte mich dann vorbereitet, falls es in die Richtung geht, dass ich dann was darlegen müsste, eben versuche, die Beweislast wieder in die andere Richtung zu schieben, also auf die Seite der Antragsgegner."

    Eine gute Strategie, die Philipp Dördelmann aber gar nicht anzuwenden braucht. Der Zeuge ist reichlich unkonkret und der Gutachter legt sich höchstens darauf fest, dass lichte Momente im Leben geistig umnachteter nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden könnten. Der Vertreterin der nun benachteiligen Geschwister missfällt das außerordentlich – sie schafft es aber nicht, die Glaubwürdigkeit des letzten Testaments zu erschüttern. Die Beteiligten einigen sich auf einen Vergleich – was im Sinne des familiären Friedens sicher die beste Lösung ist. Eva Strippel, auch sie Studentin im fünften Semester, erzählt, dass sie unsicher war, wie weit sie ihre Rolle als Vertreterin der jüngeren Geschwister treiben darf.

    "Also ich konnte schwer beurteilen, wie scharf ich fragen darf oder wie provokant ich fragen darf und wie sehr ich mich aber zurückhalten muss und dem Richter das Fragerecht zuerkennen muss."

    Für Eva Strippel war es eine körperlich und psychisch anstrengende Unterrichtsstunde. Dennoch hätte sie nicht darauf verzichten wollen.

    "Es war ganz anders als das Studium. Das ist nicht vergleichbar und ich würde auch behaupten, dass man durch das Studium, jedenfalls durch den universitären Teil der Ausbildung, nicht darauf vorbereitet wird."

    Eine Gerichtsverhandlung könne man allerdings auch in einem normalen Hörsaal simulieren, dafür hätte man nicht 50.000 Euro ausgeben müssen, meint Eva Strippel. Ihre Kommilitonin Katrin Rettig sieht das anders.

    "Es gibt dem eine gewisse Ernsthaftigkeit, die man in einem Hörsaal nicht erreichen kann und es fängt ja schon damit an, dass man lernt, wo sitzt zum Beispiel der Angeklagte oder wie erfolgt die Sitzverteilung. So etwas kann man in einem Hörsaal natürlich nicht nachspielen."

    Peter Windel ist der verantwortliche Professor für das Bochumer Gerichtslabor. Mit dem Überstreifen der Talare, so sagt auch er, nehmen die Studierenden ihre Rolle an. Außerdem verfüge das Gerichtslabor über Videokameras, mit denen man die Simulation aufzeichnen und später im Detail analysieren kann. Auch für Peter Windel war die erste Gerichtssimulation anstrengend: statt zu reden musste er still sein und zuhören.

    "In der Tat ist es ganz ungewohnt, wenn man die Leute, die man selbst ja nun schon einige Jahre ausbildet, in der Rolle sieht als Anwälte und als Prozessbeteiligte. Man möchte natürlich sofort eingreifen, weil man nun glaubt, alles, was man ihnen beigebracht hat, das müsste nun auch von ihnen präsentiert werden. Und bei jedem kleinen Fehler ist man, ähnlich wie ein Fußballtraine,r dann natürlich entsetzt."

    Insgesamt ist Peter Windel mit der Vorstellung seiner Schützlinge ganz zufrieden. In der abschließenden Manöverkritik mahnt allerdings der Profirichter mehr Selbstbewusstsein, Kreativität und Eigeninitiative an. Sie seien schließlich das Salz in der Suppe einer Gerichtsverhandlung. Würden sie in der Rechtsprechung. lediglich Paragrafen miteinander vergleichen, wären Prozesse völlig überflüssig.