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Talent fördern
Von der Matheniete zur Einser-Kandidatin

In der Schule galt Jackie Wagner eine Zeit lang als Matheniete. Eine Lehrerin vermutete sogar eine Rechenschwäche. Danach sackten ihre Noten in dem Fach ab. Doch heute studiert sie erfolgreich Mathe.

Von Nail Al Saidi | 02.04.2016
    Matheunterricht in einem Oberstufen-Kurs am Gymnasium.
    Schulunterricht kann auch Talente ausbremsen. (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    In der Studentenwohnung von Jackie Wagner steckt überall Mathematik: Neben der Spüle hängt eine große weiße Tafel. Darauf viele Zahlen und Gleichungen und auf dem Bücherregal stapeln sich Zauberwürfel.
    Jackie Wagner hat eine ganze Kollektion davon. Andere verzweifeln an solchen Würfeln. Jackie löst sie in 30 Sekunden. Alles nur eine Frage des Algorithmus’, sagt sie.
    Kaum zu glauben, dass hier eine junge Frau wohnt, die vor drei Jahren noch eine Matheniete war, mit Fünfen und Sechsen auf dem Zeugnis und mit noch viel mehr Kummer. Dabei war Mathematik für Jackie Wagner nicht von Anfang ein rotes Tuch.
    "Mathematik in der Grundschule war eigentlich richtig super. Ich hatte einen tollen Lehrer, der hat viel Spaß gemacht sein Unterricht. Wir haben getanzt, gesungen und durften von den Tischen runterspringen am Ende des Unterrichts. Er hat den Stoff richtig super rübergebracht."
    Talent und Freude
    Und in der Freizeit gab's sogar noch Extra-Aufgaben vom Vater, einem studierten Ingenieur - für jede Aufgabe bekam Jackie einen Sticker fürs Sammelalbum. Talent und Freude für Mathe waren da – doch mit einem Lehrerwechsel in der neunten Klasse ging es für Jackie Wagner plötzlich bergab.
    "Und meine neue Lehrerin hat irgendwie ein persönliches Problem mit mir und ein paar anderen Schülern gehabt in der Klasse, denke ich. Die erste Matheklausur war dann eine Fünf, was mich schon überrascht hatte, von einer Zwei auf eine Fünf. In ein paar Wochen ist das ja keine normale Veränderung."
    Nach wenigen Wochen Unterricht hatte die Mathelehrerin schon eine Diagnose parat: Jackie Wagner solle angeblich an einer Rechenschwäche leiden. Jackie war verunsichert und versemmelte auch die nächste Klassenarbeit.
    "Die nächste Klausur war dann eine Fünf bis Sechs. Also noch schlechter. So ging das dann immer weiter. Ich bin dann nicht mehr von einer Vier bis Fünf weggekommen. Egal was ich gemacht habe."
    Von da an verlor sie jede Lust am Lernen und die Hoffnung, dass es noch mal besser werden könnte. Nur die Jungs in der Klasse waren gut in Mathe. Mathematik und Mädchen scheinen wohl nicht zusammen zupassen, glaubte die damals 15-Jährige. Außerdem bekam sie fast jeden Schultag eingetrichtert, dass sie im Rechnen eine Null sei.
    "Sie war meine Klassenlehrerin und ich hab sie jeden Tag gesehen. Da war ständig die Erinnerung und sie hat es mir ständig deutlich gemacht: Du bist schlecht, du kannst es nicht. Du bist schlecht, du kannst es nicht. Das war im Unterricht so ne laufende Schallplatte."
    Schüleraustausch und Schulwechsel
    Dauerunglücklich war sie zu dieser Zeit, sagt Jackie heute. Nur durch einen Schüleraustausch nach Frankreich und einen Schulwechsel kam sie langsam Raus aus diesem Teufelskreis.
    Aber richtig losging es mit dem Neustart in Mathe erst, als 2013 ein sexistisches T-Shirt im Internet die Runde machte: Darauf stand: "In Mathe bin ich nur Deko."
    "Das gab’s nur in Pink mit Glitzer und auf Frauengröße zugeschnitten. Und für Männer war das T-Shirt gar nicht zu kaufen."
    Den Anbieter Otto-Versand traf darauf ein Shitstorm und die "Frankfurter Sonntagszeit" rief in einer Kolumne alle Mädchen auf, eine knifflige Textaufgabe zu lösen.
    Und dann war’s wieder wie in Jackies Kindheit: Der Vater legte ihr diese Matheaufgabe vor, Jackie löste sie und hat der Vater schickte ihren Rechenweg heimlich zur Zeitung!
    "Am nächsten Sonntag war ich ganz groß in der Zeitung abgedruckt – sehr zu meiner Überraschung."
    Jackie Wagner schöpfte wieder neuen Mut, bekam wieder Lust auf Mathe und das gemeinsame Lernen mit dem Vater zahlte sich aus:
    "Und als ich die nächste Klausur zurückbekommen hatte und dann eine Eins-Plus hatte, bin ich aus allen Wolken gefallen. Das hat mich total glücklich gemacht."
    Mathestudium in Heidelberg
    Vergangenes Jahr hat Jackie Abitur gemacht. Unter den Mädchen war sie die Jahrgangsbeste. Für ihre Mathenoten bekam sie sogar eine Auszeichnung und vor wenigen Wochen hat sie das erste Semester Mathematik in Heidelberg bestanden. Vielleicht wird doch noch wahr, was Jackie Wagner als Kind in ihr Poesiealbum geschrieben hat.
    "Und da stand bei Berufswunsch bei allen drin: Tierärztin und Arzt und Feuerwehrmann. Und bei mir stand: Doktor der Mathematik. Also hatte ich das in der ersten Klasse schon vorgehabt. Das hatte ich zwischendrin nur vergessen."