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Talentscouts an der Schule
"Schüler sind offener und trauen sich mehr Sachen zu"

In Nordrhein-Westfalen schicken die Universitäten Talentscouts an die Schulen, um begabte Jugendliche aus Nicht-Akademikerfamilien zu fördern. "Es geht darum, Bildungsaufsteiger zu unterstützen", sagte Veronika Mroz, die seit gut einem Jahr an fünf Dortmunder Schulen Jugendliche berät, im DLF. Das Thema Bildungsgerechtigkeit sei ganz wichtig.

Veronika Mroz im Gespräch mit Mike Herbstreuth |
    Siebtklässler strecken am 23.11.2016 während des Deutschunterrichts in einem Gymnasium in Friedrichshafen (Baden-Württemberg) ihre Hände nach oben.
    Talentscouts suchen in Schulen in NRW nach begabten Kindern (dpa/ picture alliance / Felix Kästle)
    Mike Herbstreuth: Beim Wort Talentscout denke ich immer sofort an Leute, die an Sportplätzen stehen und in Notizblöcke kritzeln, wer denn da auf dem Spielfeld später mal das Zeug zum Profisportler haben könnte. Talentscouts gibt es aber nicht nur im Sport, sondern auch an Schulen, und dort sind sie dafür da, um Jugendliche aus Nicht-Akademikerfamilien zu fördern.
    Die sind immer noch in der krassen Unterzahl an deutschen Hochschulen, und die Talentscouts in Nordrhein-Westfalen wollen die Jugendlichen ohne akademisches Elternhaus beraten, motivieren und ihnen helfen, ihre individuellen Karrierewege zu gehen.
    Angestellt sind die Talentscouts an verschiedenen Hochschulen in NRW, gefördert werden sie von der Landesregierung, und einer dieser Scouts ist Veronika Mroz, die seit gut einem Jahr an fünf Dortmunder Schulen Jugendliche berät. Frau Mroz, wie sieht so eine Beratung denn aus?
    Veronika Mroz: Es sieht so aus, dass ich morgens an so eine Schule komme, und ich hab dann meistens schon die Sprechstundenliste von dem jeweiligen Lehrer, der dafür zuständig ist, und dann sind da so Pi mal Daumen acht bis zehn Schüler, die bekommen dann jeweils so eine halbe Stunde Zeit, um mit mir zu sprechen. Die Themen sind dann ganz unterschiedlich.
    Also ich hab dann auch Schüler, die sind das erste Mal da, dann erkläre ich denen so ein bisschen, was das Talentscouting ist und lerne die Schüler erst mal so ein bisschen kennen. Und diejenigen, die dann schon das zweite, dritte oder vierte, fünfte Mal da sind, da haben wir dann meistens bestimmte Themen, die den Schüler gerade beschäftigen.
    Ob das jetzt was ist zur Studienfinanzierung oder weil er gerade ein Praktikum sucht, also das können ganz, ganz viele Themen sein. Deswegen ist so ein Tag auch relativ spannend, was die Themen angeht, aber sieht dann meistens so aus, dass ich dann von morgens bis nachmittags an so einer Schule bin.
    Sorge um Finanzierung des Studiums
    Herbstreuth: Können Sie uns mal so ein Beispiel von so einer Beratung geben, so eine Geschichte von einem Schüler oder einer Schülerin?
    Mroz: Ja, vielleicht von einer Schülerin, die schon paar Male da gewesen ist. Ich hab sie kennengelernt, da hatte sie mir schon im ersten Gespräch erzählt, dass sie sechs, sieben Geschwister hat und alle haben irgendwie den Hauptschulabschluss gemacht und sind in die Ausbildung weitergegangen, aber sie ist jetzt die Erste in der Familie, die das Abitur aktuell macht, und sie würde gerne studieren, beziehungsweise schwankte zwischen Studium und Ausbildung, weil das da schon sehr weit weg war für sie.
    Dieses Thema Studium hat ihr so ein bisschen Angst gemacht, und dann haben wir da drüber halt in der Beratung gesprochen, was ihr so Sorgen bereitet. Da war meistens das Thema Studienfinanzierung die Frage, was ist BAföG, was ist das mit den Schulden hinterher, weil viele Schüler gerade hier aus dem Ruhrgebiet haben dann auch die Sorge, dass sie das Studium nicht finanzieren können.
    Das wäre so ein Beispiel, oder eine andere Schülerin hat beispielsweise bei uns so eine Art Stipendien-Workshop besucht und ist jetzt gerade fertig mit dem Abi und schreibt jetzt gerade quasi in Begleitung mit mir so ein bisschen an ihrer Stipendienbewerbung für das Studium. Also das kann ganz vielfältig sein, was so Schüler quasi beschäftigt.
    "Viele denken, dass nur Einserkandidaten gefördert werden"
    Herbstreuth: Also Sie helfen den Schülern auch dabei, Stipendien zu bekommen?
    Mroz: Genau, also das wird viel zu wenig abgerufen, und viele denken, dass sie das gar nicht bekommen, weil sie davon gehört haben, dass irgendwie nur Einserkandidaten gefördert werden. Es gibt aber so, so viele Stiftungen und unterschiedliche Zielgruppen, die unterstützt werden, wo es nicht immer auf die Noten ankommt, sondern manchmal auch auf das Engagement oder auf den Kontext, woher der Schüler kommt.
    Und dann haben wir darüber gesprochen, welche Stiftungen es so gibt, welche Stiftung passen könnte. Und nachdem die Schülerin sich für eine Stiftung entschieden hat, sind wir jetzt gerade auch dabei, dass sie jetzt die Stipendienbewerbung quasi abgeschickt hat. Jetzt bleibt zu hoffen, dass sie halt eingeladen wird ins Gespräch.
    Herbstreuth: Wie sind Sie selbst denn damals dazu gekommen, Talentscout zu werden?
    Mroz: Ich hatte davon so ein bisschen in den Medien auch gehört. Es gibt immer noch den Suat Yilmaz von der Westfälischen Hochschule, der hat das vier, fünf Jahre lang gemacht, dieses Talentscouting, und hatte dann gehört, in den Medien gelesen, dass das Talentscouting ausgeweitet werden soll im Ruhrgebiet auf sieben Hochschulen und dass die Hochschulen jetzt Stellen ausschreiben.
    Und dann hab ich mal geguckt und mich dann sofort beworben, weil ich aus mehreren Gründen diesen Hintergedanken spannend fand, des Projektes, weil es geht darum, Bildungsaufsteiger zu unterstützen, das Thema Bildungsgerechtigkeit ist ganz wichtig. Häufig wird ja auch darüber geredet, dass die Bildungschancen von der sozialen Herkunft abhängen.
    Und hier im Ruhrgebiet zum Beispiel ist das ja auch so, dass viele Schüler aus - ich bin zum Beispiel im Dortmunder Norden und in Lüden-Süd auch noch unterwegs - ich hab da auch viele Schüler, die kommen aus Familien, die keine großen finanziellen Ressourcen haben oder die nicht so viel Unterstützung bekommen, und die dann zu unterstützen, das fand ich ganz toll, die Sache. Also es ist auch so ein bisschen persönliche Motivation dahinter, weil ich selbst auch gedacht habe, Mensch, so was hätte ich vor zehn Jahren auch gerne gebraucht.
    "Schüler sind offener und trauen sich mehr Sachen zu"
    Herbstreuth: Sie machen das jetzt seit gut einem Jahr, erkennen Sie denn schon erste Erfolge?
    Mroz: Tatsächlich finde ich das ganz spannend, dass Schüler, die am Anfang gesagt hatten, ich weiß gar nicht, was ich machen will nach dem Abi, jetzt doch einen Plan haben, dass wir das jetzt zusammen erarbeitet haben, welche Schritte sie als Nächstes angehen. Ganz toll finde ich auch die Schüler, die dann noch beispielsweise freiwillige Praktika gemacht haben in den Sommerferien oder jetzt auch tatsächlich sich für ein Studium bewerben, obwohl sie am Anfang, in der allerersten Beratung noch gesagt haben, ich trau mich nicht oder ich hab Sorgen wegen dem Geld.
    Und jetzt haben sie all diese Fragen quasi geklärt und jetzt werden sich die Schüler halt für die Studiengänge bewerben, für die sie sich interessieren. Und das finde ich schon klasse und auch zu sehen, was das mit ihrem Selbstbewusstsein tut. Sie sind teilweise viel, viel offener und trauen sich auch jetzt viel mehr Sachen zu, also es hat auch ganz viel mit ihrem eigenen Selbstbewusstsein - da ist auch noch ganz viel damit passiert.
    Herbstreuth: Sagt Veronika Mroz, einer der Talentscouts der TU Dortmund, die Schülerinnen und Schüler beim Weg ins Studium oder in die Ausbildung berät.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.