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Taler, Taler, du musst wandern

Während der Buchmarkt für Erwachsene Umsatzeinbußen verzeichnen musste, erlebt der Kinder- und Jugendbuchmarkt in den letzten Jahren einen Boom. Das sorgt für Feierlaune in der Branche - sollte man meinen. Doch trotz steigender Verkaufszahlen ist der Markt für unsere Jüngsten ein schwieriges Feld und bedarf hoher Flexibilität und einer großen Portion Idealismus.

Von Florian Felix Weyh |
    "Es gibt in jedem Fall zu viele Bücher in zu vielen Genres, und es gibt in jedem Fall auch zu viele Bücher, die man nicht braucht. Oder die der Markt nicht braucht und die die Kinder und Jugendlichen auch nicht brauchen. Das ist sicherlich der Fall, ohne jetzt Kollegenschelte betreiben zu wollen, das steht mir völlig fern. Aber der Markt ist als solches einfach schon unglaublich zu."

    Das Überflussphänomen, das Anne Schieckel hier beschreibt und das jedermann beim Gang in die Buchhandlungen nachvollziehen kann, ist ein Nebeneffekt des Kinder- und Jugendliteraturbooms der letzten Jahre. Als Programmleiterin von "dtv junior" im Deutschen Taschenbuch Verlag hat Schieckel unmittelbar miterlebt, wie aus einer eher beschaulichen Nische des großen Buchmarkts eine ökonomisch attraktive Branche wurde, in der mittlerweile ebenso rau um Marktanteile gerungen wird wie in jedem anderen Wirtschaftszweig auch. Allerdings geht es dabei nicht um Waschpulver, Batterien oder Schubkarren, sondern cum grano salis um die Weitergabe zivilisatorischer Grundlagen an die nächste Generation. Anlass genug für die Frage, wer die Gewinner und Verlierer des Geschehens sind?

    Da nach volkswirtschaftlicher Lehre Märkte auf lange Sicht stets einem Gleichgewichtszustand aller Beteiligten zustreben - der Buchmarkt macht da keine Ausnahme -, dürfte es in diesem System eigentlich keine prinzipiellen Verlierer geben. Das sehen die Kreativen seit jeher anders, doch Wolfgang Bittner, der sich seit 40 Jahren mit Abenteuerbüchern einen Namen gemacht hat und viele Jahre lang im Schriftstellerverband die Interessen von Kinder- und Jugendbuchautoren vertrat, widerspricht zunächst im Hinblick auf seine persönliche Lage dem erwarteten Klischee:

    "Ich kann eigentlich nicht klagen. Ich hab es nie bedauert, dass ich nicht Jurist geblieben bin, obwohl ich, wenn ich eine juristische Karriere gemacht hätte, wahrscheinlich heute finanziell besser dastehen würde. Aber ich hab nie ein eigenes Schwimmbad benötigt oder ein eigenes Reitpferd. Oder wenn ich in Kanada unterwegs war, wo einige meiner Romane spielen, dann hab ich mir halt ein Flugzeug gechartert, und da brauchte ich kein eigenes Flugzeug. Insofern hab ich eigentlich nie etwas vermisst. Ich kann seit Jahrzehnten menschenwürdig leben von meiner Arbeit, und das hat auch den Vorteil, dass ich mir die Themen aussuchen kann."

    Andere Perspektive, klassische Situation: Der Erwachsenenbuchautor Gregor Eisenhauer, der normalerweise von einer renommierten Literaturagentur vertreten wird, schreibt aus Lust und Überzeugung sein erstes Kinderbuch ... und sieht sich unversehens an die Anfänge seines Autorendaseins erinnert:

    "Man hat's geschrieben und geht vertrauensvoll zum Verlag, wenn's der Hausverlag ist, und sagt: 'Wollt ihr nicht auch mal ein Kinderbuch machen?' Und dann sagen die: 'Ne, von unserem Programm her passt das gar nicht!' Die Agenturen sagen: 'Na gut, wir machen nur Erwachsenenliteratur.' Dann ist man gezwungen, die Verlage selber anzuschreiben. Dann sagen die natürlich: 'Wir haben Hausautoren, und Sie sind jetzt per se mal kein Hausautor.' Das heißt, man macht eine Ochsentour, als wäre man Debütant. Mit dem Manuskript, das vor acht Jahren eigentlich schon mal so weit war, dass es fast druckreif gewesen wäre, mit dem Manuskript sind wir bestimmt bei zehn, zwölf Verlagen hausieren gegangen. Die Verlage haben ihre Programme fest, was klar ist, aber sie vertrösten einen dann. Und diese Vertröstungspolitik ist ja das Schlimmste. Die sagen: 'Ja, wir überlegen mal für das Programm überübernächstes Jahr' ... und das nervt ja einfach!"

    Gregor Eisenhauer und seine Co-Autorin Tina Kemnitz haben dabei noch Glück gehabt. Ihr Roman "Kaspar Dreidoppel" ist nach enervierender Verlagssuche und anschließender Warteschleife in diesem Frühjahr bei Carlsen erschienen. Schon allein die erwähnte Zeitspanne von acht Jahren deutet darauf hin, dass es für Genreneulinge auf einem Markt, der sich üppiger Zuwachsraten erfreut, kaum besser aussieht als noch vor Jahrzehnten. Vielleicht sogar schlechter:

    "Es gab sehr viele Fusionen und zum Teil auch Konkurse. Die Verlagslandschaft hat sich gravierend verändert. Früher - so vor 20, 30 Jahren - gab es auch sehr viele kleinere Verlage oder mittelgroße Verlage, die Verlagslandschaft ist enger geworden."

    ... konstatiert Wolfgang Bittner, doch die Verlagskonzentration ist nur ein Signum der aktuellen Lage auf dem Kinder- und Jugendbuchmarkt. Zunächst einmal muss man sagen, dass es der Branche derzeit prächtig geht.

    Um sage und schreibe 23,9 Prozent ist 2007 der Umsatz bei den Kinder- und Jugendbüchern im Vergleich zu 2006 gestiegen ... und das in einem Jahr, in dem der Buchmarkt insgesamt an Käufern verlor. Unter normalen Umständen hätte man sich vermutlich schon über einen unterdurchschnittlichen Rückgang gefreut, doch es herrschten keine normalen Umstände. Das Phänomen trägt einen bekannten Namen: Harry Potter.

    Auch wenn Branchenkenner darauf verweisen, dass mittlerweile etliche verkaufsstarke Titel wie die von Cornelia Funke existieren, räumen sie ein, der außerordentlich große Umsatzsprung 2007 gehe auf den letzten Band der Harry-Potter-Heptalogie zurück. Dessen ungeachtet wuchs der Kinder- und Jugendbuchmarkt jedoch auch in jenen Jahren, in denen es keine Joanne-K.-Rowling-Neuerscheinung gab - zumindest im Vergleich zum Normalniveau vor der Potter'schen Epochenwende Ende der 90er-Jahre.

    Noch geht es dem Kinder- und Jugendbuchmarkt also sehr gut, und auch die jüngsten Zahlen vom Frühjahr 2008 künden von passablen Geschäften. Dass erste dunkle Wolken am Horizont auftauchen, kann allerdings kaum verwundern. Harry Potter wird zwar noch einmal die Kassen klingeln lassen, wenn die letzten Verfilmungen ins Kino kommen, dann flaut diese Sonderkonjunktur jedoch unweigerlich ab. Weitaus beunruhigender erscheint den meisten Beteiligten eine ebenso absehbare wie unabänderliche Entwicklung:

    "Es sind ja nicht mehr Kinder geworden! Wir werden irgendwann an die Stelle kommen, wo es immer weniger Kinder gibt. Und dann werden wir noch ein größeres Problem haben. Es ist nicht so, dass weniger gelesen wird. Nur es verteilt sich einfach auf viel, viel mehr Bücher, als das vor 20, 30 Jahren der Fall war. Also, heute einen wirklichen Bestseller zu machen, das klappt immer wieder. Aber es sind ganz, ganz wenige Bücher, die diesen Umsatzanteil erwirtschaften, während die anderen eben wirklich alle ganz, ganz unten liegen."

    ... meint Uwe-Michael Gutzschhahn. Als ehemaliger Lektor, als Übersetzer, Herausgeber und Literaturagent, der sich auf Jugendsachbücher spezialisiert hat, kennt er alle Seiten des Geschäfts und sieht, dass sich die Gewinne des Gesamtmarkts sehr ungleich verteilen. Einzelne Verlagshäuser wie Carlsen als deutscher Harry-Potter-Lizenznehmer stehen prächtig da, andere erleben ein eher normales Geschäft - allerdings mit dem Zwang, in Boomzeiten mithalten zu müssen. Sprich: ihre Titelzahl zu erhöhen und viel rascher mit Novitäten zu reagieren, als sie früher gezwungen waren.

    "Wir mussten feststellen, dass der Markt sehr, sehr schnelllebig ist. Das heißt, wir mussten einfach in Originalproduktionen einsteigen, weil wir sonst nicht mehr ein aktuelles Programm hätten anbieten können."

    ... sagt Anne Schieckel von "dtv junior" und verweist damit auf die besondere Lage eines Taschenbuchverlags, der traditionell stets ein Buchlebensverlängerer gewesen ist, indem er vielen Titeln einen zweiten Verkaufszyklus bescherte. Das scheint jedoch immer häufiger der Vergangenheit anzugehören.

    "Wenn wir erst zwei, drei Jahre warten, bis wir einen Hardcovertitel dann im Taschenbuch machen können, dann will den keiner mehr haben. Und es ist auch so, was ich sehr schade finde, wenn ein Titel im Hardcover nicht gut lief, dann braucht man ihn im Taschenbuch eigentlich gar nicht mehr zu machen. Das hat sich sehr verändert."

    "Ich bin mal gespannt, wie das wird, wenn jetzt diese ganz schwachen Jahrgänge kommen, und das steht uns ja bevor. Wie dann der Markt aussieht? Also so ganz rosig gucke ich nicht in die Zukunft."

    Andere sahen sowieso nie einen Anlass zu rosigen Zukunftsaussichten. Wenn der Boom auch nicht auf den Rücken der Kreativen ausgetragen wurde, so ging er doch zu einem erheblichen Teil an ihnen vorüber.

    Der Taler wandert aus dem Portemonnaie des Lesers in die Kasse des Buchhändlers. Von dort geht er, reichlich halbiert, an den Verlag, der dem Autor seinen Anteil abgibt. Ein Zehntel des Talers wäre das Mindeste für seine Arbeit - oft bekommt er aber im Kinder- und Jugendbuch auch nur ein Zwanzigstel.

    "Die Honorarbedingungen liegen ja von den%en her ziemlich fest. Bei Taschenbüchern wird im Allgemeinen fünf Prozent vom Ladenpreis gezahlt. Warum das nur fünf Prozent sind, weiß niemand! Das hat sich so eingebürgert. Bei Hardcovern ist das oft mehr, das liegt zwischen sieben und zehn Prozent, bei Erwachsenenliteratur zumeist zehn Prozent."

    "Sie kriegen heute in aller Regel, wenn Sie nicht einer der ganz großen Namen sind, die wirklich verhandeln können, kriegen Sie keine Grundhonorare über acht Prozent. Es gibt Verlage, die bei sieben Prozent anfangen, und wenn Sie ein Kinderbuch schreiben, das noch illustriert ist, dann muss der Illustrator ja aus diesen acht Prozent auch noch bezahlt werden. Das heißt, dann kriegen Sie je nach Art, wenn es ein illustriertes Kinderbuch ist, vielleicht sechs Prozent, wenn's ein Bilderbuch ist, kriegen Sie drei oder vier Prozent. Dann muss man sehen: Die Bücher sind einfach deutlich preiswerter als Erwachsenenbücher. Wenn Sie ein Jugendbuch haben von 250 Seiten und daneben ein Erwachsenenbuch von 250 Seiten stellen, dann ist das ein Unterschied von fünf, sechs Euro. Das müssen Sie jetzt auf das Prozenthonorar runterrechnen. Wenn Sie da dann noch mal zwei Prozent weniger kriegen, ist der Kinder- oder Jugendbuchautor deutlich schlechter honoriert."

    Rasch eine Beispielrechnung aufgemacht: Ein illustriertes Kinderbuch, das im Laden zehn Euro kostet, wirft brutto - ohne Umsatzsteuer und andere Abzüge - bei sechs Prozent Autorenhonorar 60 Cent ab. Um auch nur auf den deutschen Durchschnittsmonatsverdienst von derzeit 2.260 Euro zu kommen, muss der Autor also rund 3.700 Bücher verkaufen. Da man aber ein Buch, das dick genug ist, um für zehn Euro gehandelt zu werden, kaum in nur einem Monat herunterschreibt, liegt der individuelle Finanzierungsbedarf bei einem Vielfachen: Braucht der Autor also drei Monate, muss er schon 11.100 Bücher verkaufen, braucht er ein halbes Jahr, über 22.000 Stück. Verständlich, dass da Unmut bei den Autoren aufkommt:

    "Obwohl alle Kinderbuchverlage dem Augenschein nach gut verdienen, behandeln sie die Autoren immer noch so, als würden sie Ware zweiter Klasse abliefern."

    "Die Honorarsituation ist meines Erachtens sehr irrational. Das wird ja auch von den Verlagen - wie auch von anderen Medien - diktiert, was man bekommt. Und wenn bei Taschenbüchern seit Langem feststeht fünf Prozent, dann nützt es ja nichts, wenn man mehr haben will, man bekommt nicht mehr, dann macht der Verlag halt das Buch nicht."

    "Irrational" ist das richtige Stichwort, "skandalös" wäre präziser. Doch wenn sich ein Skandal über Generationen hinweg gehalten hat, empfindet man ihn allenfalls als ärgerliche Normalität: Für Kinder und Jugendliche zu arbeiten wird mit einem deutlichen Abschlag bestraft! Die gleiche Tätigkeit, die schon bei Büchern für Erwachsene im Regelfall zu Stundenerträgen führt, bei denen jeder engagierte Gewerkschaftler in Tränen ausbrechen müsste, die gleiche Arbeit also wird 30 bis 50 Prozent schlechter honoriert.

    Selbst bei angrenzenden Dienstleistungen stößt man auf diese Minderung, was offenkundig absurd ist. Die Diskussionsleitung eines Podiums über Kinderbücher nimmt exakt dieselbe Zeit in Anspruch wie ein Podium zu Erwachsenenliteratur, dennoch ist es Veranstaltern bisweilen nicht peinlich, dafür die Honorare zu halbieren. Ähnliche Muster finden sich in elektronischen Medien, bei Kinderfilmen etwa. Als Begründung kursieren Argumentationsfiguren, die ob ihrer Fadenscheinigkeit meist nur hinter vorgehaltener Hand geäußert werden. Schauen wir sie uns etwas näher an.

    Argument Nummer eins: Es ist nicht die gleiche Arbeit! Kinderbücher schrieben sich schneller und leichter, sodass trotz niedrigerer Honorare bisweilen sogar bessere Stundensätze herauskämen.

    "Nein, es ist ja ein erhöhter Arbeitsaufwand! Also gerade für einen Autor, der davor gerade keine Kinderbücher geschrieben hat, der ist ja ständig in der Reflexion: Ist das jetzt kindgerecht? Oder bin ich da zu erwachsen? Hab ich da die richtige Perspektive? Oder kann ich mich gar nicht mehr in die Kindheitsperspektive zurückversetzen und entsprechend schreiben? Das heißt, Sie denken über jeden Satz dreimal nach. Sonst denken Sie über einen Satz zweimal nach. Das heißt, Sie haben viel mehr Aufwand eigentlich beim Schreiben."

    Argumentationsfigur Nummer zwei: Arbeit für Kinder und mit Kindern gilt als Frauensache. Die Folgewirkung bleibt wohlweislich unausgesprochen: Frauen verdienen auch anderswo immer noch weniger als Männer, im deutschen Durchschnitt 25 Prozent. Doch selbst wenn man die Geschlechterdiskriminierung nicht offen zugeben will, bleibt der Prestigemangel deutlich erkennbar. Gregor Eisenhauer:

    "Was ich nicht verstehe, dass der Ruf der Kinderbuchautoren nicht durchweg noch besser ist und die Notwendigkeit einer guten Kinderbuchliteratur nicht so in den Medien auch herausgestellt wird. Diese fantasiebildende Kraft, diese Kraft bei den Kindern zu schulen, ihre eigene Welt schaffen zu können, die ja dann auch irgendwo ein Zuhause ist, wo sie sich wohlfühlen können ... dass das nicht entsprechend honoriert wird und dass da auch nicht die Zeitungen dem Kinderbuch noch mehr Raum widmen oder die Medien dem noch mehr Raum widmen ... warum keine Lektüresendung im Fernsehen für Kinderbücher zum Beispiel?"

    Argument Nummer drei: Wir können nicht mehr zahlen, weil Kinder- und Jugendbücher preiswert bleiben müssen.

    "Da hat der Verlag recht. Ich kann die Verlagsseite auch gewissermaßen verstehen, weil wahrscheinlich sind die Eltern in der Regel nicht bereit, gutes Geld für ein Kinderbuch zu bezahlen. Weil die Kinderbücher sind ja relativ preisgünstig."

    "Die Masse der Bücher verkauft sich vielleicht 3.000, 4.000 Mal, und wenn Sie auf dieser Auflage die ganze Belastung der Honorare haben, dann ist das ein Problem. Dann wird das Buch einfach teuer, und das Buch darf nicht teuer werden, weil der Buchhandel, und vor allen Dingen die Käufer, einfach ganz bestimmte Grenzen haben, und diese Grenzen liegen im Kinderbuch eben oder auch im Jugendbuch niedriger. Im Jugendbuch dann, zum Beispiel im Taschenbuch speziell noch niedriger, weil sie die Jugendlichen selbst erreichen müssen. Also, man versucht ja immer, einen Preis hinzukriegen, dass entweder die Schule die Bücher kaufen kann, dass Jugendliche die Bücher selber kaufen können et cetera et cetera. Und diese ganze Spanne ist schwierig zu lösen."

    Hier nun wird es rational. Der Kinder- und Jugendbuchmarkt weist eine Besonderheit auf, die in der Volkswirtschaftslehre "Marktanomalie" heißt: Er ist an einem entscheidenden Punkt weitgehend unbeweglich. Dieser archimedische Punkt besteht aus dem engen Rahmen der Verkaufspreise, gesetzt von der jungen Käuferschaft. Da dem so ist, kann ein nüchtern kalkulierender Verlag nur schwer am Preis drehen, ohne seinen Verkaufserfolg zu gefährden, sondern sucht im Zweifelsfall nach anderen Stellschrauben.
    "Wenn ein Verlag bei einem Projekt, das teuer wird, sparen muss, dann spart er als Erstes an den Kosten des Illustrators. Dann versucht er, an den Kosten des Autors noch ein bisschen zu drücken, und dann kommen so diese Materialkosten: Was kann ich beim Papier machen? Und so weiter."

    "Was auch ein neuer Trend ist, ist die Ausstattung der Umschläge - also da müssen wir wie alle anderen auch umdenken. Also, es gibt Umschlagveredelungstechniken, die man einfach heutzutage braucht, um als attraktiv wahrgenommen zu werden."

    ... sekundiert Anne Schieckel von "dtv junior". Wenn die Konkurrenz mit aufwendigen Umschlägen punktet, kann man daran nicht sparen, selbst wenn man wollte. Auch an einem dritten Pfeiler der Buchkalkulation lässt sich von den Kreativen seit jeher nicht rütteln: der Gewinnspanne des Buchhandels. Durch die Marktmacht großer Ketten wird sie in Zukunft eher noch größer als kleiner ausfallen. Wo die Urheber also insgesamt von allen Seiten her eingemauert scheinen, aber nicht davon ablassen wollen, weiterhin zu publizieren - und damit ungewollt die Lage zu verschärfen -, bleibt ihnen nur die Auseinandersetzung untereinander übrig.

    "Gerade Illustratoren sind ja oft der Meinung, dass sie künstlerisch tätig sind. Obwohl sie sekundär arbeiten und die Illustration eines Buches ja eher Kunstgewerbe ist - in seltenen Fällen natürlich auch Kunst -, werden sehr hohe Ansprüche gestellt."


    "Es ist ja im Markt so: Wenn Sie in eine Buchhandlung gehen und Ihnen gefallen die Illustrationen nicht, dann kann der Text noch so gut sein, beim ersten Hingucken sagen Sie: "Iih!" So! Und insofern ist als Verkaufsmovens für ein Buch der Illustrator ungemein wichtig."

    "Und dann wird so argumentiert, der Autor schreibt eine Geschichte in einer halben Stunde - was ja natürlich nicht stimmt -, und die Illustratorin sitzt ein halbes Jahr an den Illustrationen, um die zu malen für ein Buch. Und dann beansprucht sie eben erheblich höhere Honorare, die von dem Gesamthonorar abgehen, sodass der Autor der Geschichte weniger kriegt."

    "Faktisch ist es so, dass in letzter Zeit die Verleger die Illustratoren ein bisschen aufgewertet haben. Beim Bilderbuch hat man heute häufig eine hälftige Aufteilung, das war früher überhaupt nicht der Fall. Oft wurden früher sogar die Illustratoren - also vor vielen Jahre - pauschal bezahlt und hatten überhaupt keinen Anteil, das hat sich alles doch schon deutlich geändert und ist wesentlich besser geworden."

    Halten wir fest: Auch wenn es im Binnenverhältnis zu leichten Verschiebungen zugunsten des Illustrators gekommen ist, sammelt sich der Taler heute genauso wenig wie früher in den Taschen der Kreativen, Boom hin, Boom her. Was sich allerdings verbessert hat, ist ihre Auftragslage - so man zu jenen Menschen zählt, die Aufträge erledigen können und wollen. Wenn Uwe-Michael Gutzschhahn als Literaturagent sagt ...

    "Es ist ein unglaublicher Wirtschaftsmarkt, und die Verlage sehen das auch als Wirtschaftsobjekt."

    ... dann weiß er sehr wohl, dass dieser Wirtschaftsmarkt nicht allen Beteiligten offensteht. Man muss sich schon dem Denken der - nennen wir sie ruhig altmodisch "Kulturindustrie" - Kinder- und Jugendbuch annähern, um darin sein Auskommen zu finden. Der originelle Eremit, der alle paar Jahre mal mit einem selbst ausgedachten Roman darnieder kommt, hat eher schlechte Karten. Ein journalistisch vorgebildeter und routinierter Alltagsschreiber hingegen, der sich in fremde Serien- und Reihenkonzepte einzufühlen vermag und vorgegebene Themenfelder fantasievoll füllt, gehört zum Autorentypus der Zukunft. Er hat auch keine Probleme, wenn mal wieder ein neues Segment am Horizont auftaucht, etwa der Nachmittagsmarkt. Nie gehört?

    "Der Nachmittagsmarkt ist ja der Markt für Kinder und Jugendliche nach der Schule. Wenn die sozusagen nach Hause gehen und Bücher lesen wollen, die auch einen Wissensgehalt vermitteln. Das ist ein branchenüblicher Begriff, den sich die Kinder- und Jugendbuchverlage auf die Fahnen geschrieben haben, auch insofern, als dass jetzt gerade die Sachbuchverlage sehr viele neue Themen aufgreifen."

    "Eines hat dem Sachbuch geholfen, das ist einfach diese ganze PISA-Studie. Seitdem sind Eltern da hinterher, etwas zu einem bestimmten Thema zu kriegen und so weiter. Das hat so bisschen so einen kleinen Kick gegeben, und seitdem gibt's ja einfach auch mehr Verlage, die sich ums Sachbuch im Kinder-/Jugendbuchbereich kümmern."

    Reich wird man indes als Auftragsarbeiter in der Regel auch nicht. Zwar ist die Zahl der Publikationen gestiegen, doch sanken zugleich die am Markt verkauften Auflagen. Gerade jene in der Branche besonders gefragten Allroundautoren, könnte man überspitzt sagen, geraten damit in die Falle ihres Erfolgs: Sie sollen mehr Bücher schreiben, verdienen aber durch den Verdrängungswettbewerb der Titel untereinander pro Buch weniger als früher.

    Mehr Arbeit, geringerer Erlös - kein besonders befriedigendes Ergebnis eines Wirtschaftsbooms. Bleiben als Ausweg feste Vorschüsse, die nicht von späteren Verkaufszahlen abhängen, weil sie zwar mit dem Honorar verrechnet, aber im Misserfolgsfall - also bei nicht vollständig abgesetzter Auflage - nicht zurückgezahlt werden müssen.

    "Es gibt Vorschüsse, aber die sind die Hälfte dessen, was man für ein Buch bekommt, das vermeintlich für Erwachsene geschrieben ist."

    ... erzählt Gregor Eisenhauer, der gewissermaßen bei der Deutschen Bank des Kinderbuchgewerbes untergekommen ist, dem Hamburger Carlsen Verlag. Dank der Harry-Potter-Erlöse könnte es dort durchaus generös zugehen.

    "Ja, und deswegen hätte ich mir meinen Vorschuss auch zehnmal höher gewünscht. (lacht) Er ist immer noch ordentlich und okay, aber es ist nicht so, dass man da das Eldorado betritt!"

    Obwohl der Roman "Kaspar Dreidoppel" als abgeschlossenes Werk vorlag, mussten Eisenhauer und seine Co-Autorin Tina Kemnitz in den sauren Apfel der Umarbeitung beißen. Ein Manuskript wird nicht einfach gedruckt, ein Manuskript muss auf einen weitgehend schematisierten Markt zugeschnitten werden.

    "Das Buch wird in ein Format gepresst, das dann wieder verkaufsgängig ist. Das hat in dem konkreten Fall zur Folge gehabt, dass das Buch, das 200 Seiten hatte, auf 110 Seiten runtergekürzt werden musste."

    Doch Eisenhauer ist schon ein marktgestählter Autor der neuen Generation, er trägt den Verlagsleuten die Eingriffe nicht nach:

    "In dem Fall muss man zugeben, dass sie natürlich auch recht haben! Das Leseverhalten hat sich verändert. Das heißt, man kann nicht ohne Weiteres einen 200-Seiten-Text zumuten, der relativ dicht gearbeitet ist. Wenn die Lektorin aus ihrer Erfahrung sagt: 'Wir kürzen's, bringen es runter auf 110 Seiten, garantieren damit aber eine gewisse Leselust bei den Kindern und auch eine Kauflust bei den Eltern', dann finde ich das in Ordnung! Da profitiere ich einfach von der Verlagserfahrung."

    Ein Resümee? Eigenwilliges, Verschrobenes oder Sperriges hat auf dem Kinderbuchmarkt der Zukunft immer weniger Chancen. Entweder weil es schon an den Lektoraten scheitert - sei's auch nur wegen des Autorenhochmuts, sich jeglicher "Passendmachung" zu verweigern -; oder dann später, wenn es von mutigen Verlagen doch noch publiziert wird, weil es auf eine Leserschaft trifft, die misstrauisch gegen jedes nicht normierte Produkt geworden ist.

    Ob die Umsatzzuwächse der letzten Jahre der Branche inhaltlich gutgetan haben, lässt sich somit bezweifeln. In der Beschleunigung, der Überproduktion und der kannibalistischen Konkurrenz untereinander überleben Handwerker und Zyniker leichter als Sensible und Exzentriker. Überhaupt ein Buch auf den Markt zu bringen, erweist sich als kräftezehrender Akt - geschweige denn, ein zweites Buch hinterherzuschieben. Das kann nur jemand, der einigermaßen abgebrüht mit den eigenen Erfahrungen umgeht:

    "Ich werd das zweite Buch wohl deshalb schon nicht schreiben, weil dieses acht Jahre Warten auf die Fertigstellung und die Herstellung des ersten hat schon so genervt, dass man sich wirklich überlegen muss, ob man da ein zweites schreibt. Weil bei einer begrenzten Lebenszeit, die uns gegeben ist, könnte ich da ja höchstens vier Bücher schreiben!"