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Tame Impala
Barfuss nach Psychedelia

Der australische Songwriter und Multiinstrumentalist Kevin Parker macht mit seinem Projekt Tame Impala Furore. Den psychedelischem Poprock produziert er alleine im Studio und bringt seine Musik gemeinsam mit Freunden aus seiner Heimatstadt Perth erfolgreich auf große Konzertbühnen.

Von Florian Ehrich | 05.06.2016
    Die australische Band Tame Impala bei einem Auftritt in Santiago de Chile am 22. November 2014
    Die australische Band Tame Impala bei einem Auftritt in Santiago de Chile am 22. November 2014 (dpa / picture alliance / Elvis Gonzalez)
    "Musik liegt außerhalb von Kompromissen und es gibt keinen Grund dafür, dass Musik nicht extrem populär und extrem interessant gleichzeitig sein kann."
    "Ich war immer besessen von der Idee einer raumgreifenden Musik, die ein Gefühl von Ausdehnung erzeugt."
    Musik "The Less I Know The Better"
    Als Tame Impala im Februar 2016 in London mit dem Brit Award für die beste internationale Band ausgezeichnet werden und dabei U2 aus dem Rennen werfen, sorgt das bei vielen für Erstaunen: Wer ist Tame Impala? Die australische Band ist keine Gruppe im herkömmlichen Sinn. Vielmehr ist sie die Bühne für die Musik von Kevin Parker, der 1986 in Sydney geboren wurde und im westaustralischen Perth aufwuchs. Als Kind lernt er Schlagzeug, dazu zeigt ihm sein Vater die ersten Akkorde auf der Gitarre. Im Alter von 12 bis 15 Jahren schreibt er nach eigenen Worten "exzessiv melodische" Songs. Diese ersten Versuche nimmt er simpel mit zwei Tonbandmaschinen auf, dann schenkt ihm sein Vater, der selbst Musik macht und seinen Sohn an Bands wie die Beach Boys oder Supertramp heranführt, einen 8-Spur-Rekorder.
    Abtauchen im Heimstudio
    Der Highschoolboy taucht so in sein neuausgestattetes Heimstudio ab, macht nonstop Musik und spielt in fünf oder sechs Bands gleichzeitig. In dieser Zeit lernt Parker, seine Songs mit allen Instrumenten im Alleingang einzuspielen. Kevin Parker ist kein Virtuose, aber er besitzt ein überdurchschnittliches Gespür für starke Melodien, aus denen er mit Effektgeräten ebenso fremdartige, verwaschene wie attraktive Klangwelten zu schafft.
    Musik "Elephant"
    Zu dem Titel 'Lucidity" vom Debutalbum produziert Parker mit seiner fünfköpfigen Band ein spektakuläres Video, in dem eine an einem Wetterballon montierte Kamera die Band aus der Vogelperspektive filmt. Rotierend steigt der Ballon über dem australischen Wüstensand auf, durchbricht die Wolken bis dann 30 Kilometer über der Erde die Finsternis des Alls mit der gleißenden Sonne sichtbar wird. Der Ballon im Musikvideo könnte für den rasanten Aufstieg von Tame Impala stehen.
    "Splitter der Riesenmenge an Krach"
    Das Projekt war nach Parker zunächst nur ein "Splitter der Riesenmenge an Krach", den der Freundeskreis in Perth mit verschiedenen Bands erzeugt. Er stellt seine Songs auf Myspace ins Internet und ist gerade im Begriff, auf die Universität zu gehen, als ein australisches Label das Potenzial der Musik erkennt. 2010 erscheint das erste Album "Innerspeaker", von Parker in einem kleinen Strandhaus direkt am Indischen Ozean aufgenommen. Der gitarrenlastige Psychedelic Rock klettert in den australischen Charts nach oben und sammelt Preise ein. Er wird als zeitgemäße Interpretation eines Genres gelobt, das erstmals in den späten sechziger Jahren mit Bands wie den Beatles, Cream oder Pink Floyd aufblühte. Mit Tame Impala realisiert Kevin Parker seine Vision einer Popmusik mit mäandernden, sich vor und zurück bewegenden Klängen:
    "Ich war immer besessen von der Idee einer raumgreifenden Musik, die ein Gefühl von Ausdehnung erzeugt. Musik, die man irgendwo weit draußen im Nirgendwo hören kann oder mittendrin, zu Hause im Bett mit Kopfhörern mit dem Gefühl, im All zu schweben. Ich weiß nicht, woher das kommt, vielleicht erzeugt diese Musik ein Gefühl von Weltflucht."
    Besessener Tüftler
    Die Coverrückseite des zweiten Albums "Lonerism" zeigt ein Foto von Parkers Heimstudio, das er gerne mit einem Cockpit eines Flugzeugs vergleicht. Der Pilot liegt barfuß auf einem Teppich, seinen Höfner-Bass neben sich, er ist umgeben von Weinflaschen, Kaffeebechern, Effektgeräten, Kabeln und Instrumenten. Während der Aufnahme von Musik versenkt sich der besessene Tüftler über Wochen und Monate in seine Klanglandschaften, ohne von der Außenwelt Notiz zu nehmen. Etwaige Erwartungen der Fans, wie die Musik von Tame Impala klingen sollte, blendet er bewusst aus.
    Musik "Lucidity"
    "Natürlich ist es mir wichtig, was die Fans über meine Musik denken, besonders diejenigen, denen Tame Impala wirklich am Herzen liegt, die sind mir am wichtigsten. Aber wenn ich aufnehme, könnte der Rest der Welt gar nicht weiter weg sein. Ich denke, wenn jemand ein echter Fan von Tame Impala ist und sich für die Botschaft dieses ganzen Projekts interessiert, möchte er, das ich das tue, womit ich mich am besten ausdrücken kann."
    Musik "Feels Like We Only Going Backwards"
    Live arbeiten Tame Impala mit Überwältigungsstrategien: Ein turmhoher Sound, massiver Einsatz von farbigem Licht, Projektionen, Laserstrahlen und mächtige Konfettifontänen: Konzertbesucher erwartet ein multimedialer Trip. Kevin Parker spielt und singt stets barfuß, tippt zielsicher seine Effektpedale an und tänzelt bisweilen ein bisschen zu seiner Musik. Nach mehreren hundert Auftritten in Klubs, großen Hallen und auf Festivals ist die Band eine eingespielte Einheit, welche die introvertierte Klangwelt ihres Schöpfers kraftvoll für die Bühne übersetzt.
    "Ich nehme ja alles alleine auf und dann muss ein Stück nicht unbedingt genauso klingen, wenn wir es zusammen zu viert oder zu fünft spielen. Auf manche Tracks habe ich bis zu hundert Spuren gelegt, aber wir sind nur zu fünft, also kann ein Song nie exakt wie auf dem Album klingen. Wir bemühen uns, den Song wiedererkennbar zu machen, und manchmal benutzen wir dieselben Sounds wie auf dem Album. Die Computertechnologie erlaubt uns ja, Keyboardsounds und so weiter zu reproduzieren. Aber es geht immer darum, was der Song braucht."
    Musik "The Moment"
    Parker ist ebenso Songwriter wie Sounddesigner: Während der Aufnahmen zu seinem zweiten Album produziert er nebenbei das erstaunliche Debut von "Melody's Echo Chamber", der Band seiner Freundin Melody Prochet. Die Frage ist naheliegend, ob er seine Zukunft auch als Produzent für andere Musiker sieht.
    "Hoffentlich, ich würde das sehr gerne tun. Leider habe ich nicht von Anfang an als Produzent mit anderen Leuten gearbeitet, deswegen ist das immer noch eine neue Welt für mich zu helfen, die kreative Vision eines anderen zu lenken. Es ist ganz sicher etwas, das ich gerne tun würde, denn ich habe in gutes Ohr dafür, etwas zu realisieren. Aber es muss auf der persönlichen Ebene stimmen. Es bedeutet mit Leuten zusammenzuarbeiten, die nicht meine Freunde sind und das ist eben noch ganz unbekannt für mich."
    Scheu wirkender Australier
    Als Songwriter, der in der Abgeschiedenheit seines Studios an Liedern feilt, wäre der manchmal etwas scheu wirkende Australier weniger exponiert. Eine Perspektive, die dem Musiker sichtlich behagt, schließlich kann er sich sein hektisches Leben auf Tournee nur im schützenden Kreis seiner engen Freunde in der Band vorstellen kann.
    "Ganz sicher, als Songschreiber wäre ich wahrscheinlich besser geeignet als dazu, die Musik anderer Künstler zu produzieren. Die Welt mit Songideen zu injizieren und zu schauen, was daraus wird - das ist definitiv etwas, was mich reizen könnte - wenn ich gut genug dafür bin."
    Musik "Disciples"
    "Ich denke, alles ist möglich. Ich hasse die Idee, dass man Opfer bringen oder mit seiner Musik Kompromisse eingehen muss. Musik liegt außerhalb von Kompromissen und es gibt keinen Grund dafür, dass Musik nicht extrem populär und extrem interessant gleichzeitig sein kann. Es ist sehr spannend, so etwas zu entdecken, etwa MGMT oder Daft Punk, die Spaß machen, aber an denen man auch was zu beißen hat."
    Inspiriert von Daft Punk, der New Yorker Electronic-Rockband MGMT und Soulmusik erweitert Parker auf dem im Sommer 2015 erschienen Album "Currents" sein musikalisches Spektrum: Er überrascht mit R'n'B-Klängen, futuristischen Disconummern und elegischen Balladen. Damit erreichen Tame Impala neue Hörer. Zuvor hatte die Band bereits Songs von Michael Jackson, Kylie Minogue oder Outcast gecovert. Der stilistische Schwenk wird unter Fans und Kritikern jedoch kontrovers diskutiert.
    "Viel neugieriger auf verschiedene Sounds"
    "Das war nicht unbedingt etwas Neues, einfach etwas anderes. Wir haben mit "Lonerism" viel getourt und ich habe viel Gitarren gespielt und ich denke, ich war einfach bereit dafür, andere Sounds in den Vordergrund zu stellen. Ich war zu dem Zeitpunkt einfach viel neugieriger auf verschiedene Sounds vom Synthesizer als auf Gitarren. Ich nehme wirklich nur das auf, was mich neugierig macht und was ich aufregend finde. Ich denke, es macht im Grunde keinen Unterschied, ob ich die Gitarre nutze oder den Synthesizer - sie haben einen unterschiedlichen Rhythmus und eine unterschiedliche Textur, aber ob ein Song Persönlichkeit hat, liegt abseits der Instrumentierung."
    Einer der Songs überzeugte jedenfalls einen amerikanischen R'n'B - Superstar: Rihanna singt auf ihrer aktuellen Platte eines der neuen Soulstücke von Tame Impala. Für Kevin Parker eine Genugtuung.
    "Ja, "New person, same ol' mistakes" oder "Same ol' mistakes", wie sie es genannt hat. Ja, ich bin glücklich darüber, dass der Song von einer R'n'B-Künstlerin gesungen wurde. Denn ich habe den Song immer als eine Art Soul-Song verstanden, der von einem Gesangstrio gesungen wird oder so. Als er dann zu einem Tame Impala - Song wurde, war das fast ein Kompromiss, denn das war nicht die perfekte Umgebung zur Entfaltung, aber jetzt wo Rihanna ihn aufgenommen hat, ist es stimmig."
    Musik New person, Same ol' mistakes
    Das neue, elektronische Gesicht von Tame Impala mit Drum-Computern, starken Basslinien und Synthesizerflächen ist funky und sehr tanzbar. Parker, ein bekennender Fan von perfekt produzierter Popmusik mit eingängigen Refrains, scheinen die Genrezuschreibungen jedoch eher zu irritieren.
    "Mit am wichtigsten bei allen Tame Impala - Songs ist ein starker Groove, zu dem man tanzen kann. Sogar auf dem ersten Album war das so, auch wenn das mehr ein Sixties-groove war. Meistens werden treibende Gitarren nicht als typisch für Clubmusik gesehen, aber so etwas wie Daft Punk hat eine Menge gesampelter Gitarren. Es ist einfach eine Frage der Einstellung. Es gibt keine Regeln dafür, welche Sounds zu welchem Genre gehören. Und das wollte ich mit diesem Album zeigen, dass Sounds nicht zu bestimmten Genres gehören und dass etwas Psychrock sein kann, ohne dass eine Gitarre drauf ist."
    Musik "Let it happen"
    Mit dem jüngsten Album hat sich der immens begabte Künstler aus Westaustralien Beinfreiheit gewonnen und stilistische Grenzen übersprungen. Es bleibt daher spannend, wohin die Reise führen wird. Bei aller Pracht dieser Musik im 3-D-Format ist es Kevin Parker immer wichtig, seinen Songs ein Gefühl von Ambivalenz zu verleihen. Es steckt so etwas wie ein sehnsuchtsvoller Schmelz in der Musik von Tame Impala.
    "Ich denke, das ist mit am wichtigsten für mich bei Musik. Das sind Qualitäten von Musik, die ich immer geliebt habe: gleichzeitig voller Freude, aber auch düster zu sein. Ich glaube ich habe das immer in meinem Leben gefühlt, das in extrem glücklichen Momenten immer auch ein Hauch von Traurigkeit mitschwingt, vielleicht, weil der Moment endlich ist. Ich weiß nicht, woher das kommt bei mir, aber die Musik ist dann so eine Art Soundtrack zu solchen Momenten. Melancholie ist wohl der passende Ausdruck."
    Musik "Eventually"
    Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlung sieben Tage online nachhören.