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Tansanias verfehlte Wirtschaftsreformen

Sansibar ist nur ein kleiner Teil der touristischen Attraktionen Tansanias. Die Regierung hat große Naturreservate ausgewiesen und die Wirtschaft damit erfolgreich voran gebracht. Der Tourismus gilt als einer der wichtigsten Wachstumsmärkte der Zukunft, für ein Land, das sonst im globalen Konkurrenzkampf nur schlecht mithalten kann.

Von Jutta Schwengsbier |
    Tarabu kommt vom Arabischen, "bezaubern". Die Klänge der Tarabu-Musik waren in den kosmopolitisch orientierten islamisch-arabisch Fürstenhäusern auf Sansibar hochgeschätzte Unterhaltung. Als in der Hauptstadt von Sansibar, in Stone Town, noch Sultane aus Oman regierten, waren Musiker hoch angesehen - und gut bezahlt. Während die wie aus 1001 Nacht wirkenden Paläste des Sultans heute Museen sind, hat die Tarabu-Musik in Sansibar überlebt. Iddi Abdalla Faran ist einer der berühmtesten Tarabu-Künstler auf Sansibar. Regelmäßig spielt er mit seinem Orchester für Gäste des Serena Hotels. Begleitmusik für romantische Diners am weißen Sandstrand des Indischen Ozeans, in dem gerade die Sonne versinkt.

    "Ich spiele eine zwölfsaitige Laute. Sie kommt aus Ägypten. Inzwischen ist es Tradition, diese Laute auch hier auf Sansibar zu spielen. Sie kam im 19. Jahrhundert mit dem Sultan Said Barghash hierher. Er hat die Tarabu-Musik eingeführt."

    Gelegen an der Handelsstraße zwischen Indien, arabischer Halbinsel und Europa, prägten europäische Eroberer und indische Händler das Gesicht Stone Towns ebenso wie eine aus Oman eingewanderte arabische Elite, britische und deutsche Kolonialherren. Amin Bapu, der Geschäftsführer der Aga Khan Kulturstiftung von Sansibar, leitet ein Projekt zur Konservierung und Restauration der Hauptstadt:

    "Stone Town ist auf seine Art einzigartig. Die Häuser sind aus Korallenstein erbaut und in ihrer architektonischen Mischung einzigartig. Nehmen sie nur die indischen Balkone mit all den omanischen Mustern. Noch wichtiger aber ist, dass Stone Town kein Freilichtmuseum ist, sondern eine lebendige Stadt, in der Menschen leben. Deshalb fühlen wir in Sansibar, dass Stone Town die Ehre verdient, Weltkulturerbe zu sein."

    Hier sind auch heute noch die Sklavenkammern und Marktplätze für den Menschenhandel zu besichtigen. Denn über Jahrhunderte war die Insel eines der größten Verkaufszentren für afrikanische Sklaven. Erst 1964 rebellierten die Sansibaris gegen eine arabische Oberschicht aus Oman und vertrieben sie. Doch damit begannen auch die prachtvollen Villen zu bröckeln, die korallensteinernen Grundfesten der Stadt zu kollabieren. Mit den omanischen Adelsfamilien fehlte das Geld, um die Gebäude der Märchenstadt instand zu halten. Nun versuchen Amin Bapu und die Aga Khan Kulturstiftung den Verfall von Stone Town aufzuhalten und die längst vergessenen Bautechniken wieder zum Leben zu erwecken.

    "Alles wurde aus einem Stein gebaut. Das ist das Entscheidende. Wenn sie den Korallenstein mahlen, erhalten sie nämlich auch den Mörtel, der alles zusammenhält. Gleichzeitig lassen Stein und Mörtel die Gebäude auch atmen.

    Wenn die Steine so klingen wie hier, nämlich hohl, dann haben wir ein Problem. Hier wurde mit Zement verputzt. Das bedeutet aber, dass der Raum dahinter nicht atmen und das Salz der Korallensteine sich nicht draußen ablagern kann. Wenn sie aber das Salz mit Zement blockieren, zerstören sie ihr eigenes Haus, weil es die Steine von innen zerfrisst. Unser Programm besteht nun darin, für Konservierungstechniken zu werben, die auf lokalen Techniken beruhen. Es heißt zu verstehen, wie es ursprünglich gebaut wurde."

    Bei dem groß angelegten Sanierungsprogramm von Stone Town geht es um mehr als nur die Erhaltung der alten Bausubstanz. Vor allem geht es um eine neue Perspektive für Sansibar und für ganz Tansania, zu dessen Staatsgebiet die Insel gehört. Mit dem Erhalt des kulturellen Erbes und der Erschließung der Naturschönheiten, der Strände und grandiosen Landschaften, sollen finanzkräftige Touristen in das ostafrikanische Land gebracht werden. Der Tourismus ist heute eine wichtige Einnahmequelle, die nicht nur Luxus-Unterkünfte und den Staatshaushalt finanziert. Es profitieren auch kleine Straßenhändlerinnen oder Dorfbewohner, die neue Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte finden.

    Viele Straßen auf Sansibar sind noch unbefestigt. In den kleinen Lehmhütten am Straßenrand steht meist nicht mehr als eine Holzpritsche zum Schlafen. Gekocht wird auf offenem Feuer. Im Hof laufen Hühner frei herum. 80 Prozent der Bevölkerung Tansanias leben noch vom Eigenanbau und vom Fischfang. Eine marktgerechte Produktion ist kaum möglich,
    solange die Infrastruktur - Wegenetz, Strom, Telekommunikation, Wasserversorgung - nur schlecht ausgebaut ist. Doch Not macht erfinderisch. "Wir geben nicht auf". So nennt sich eine Frauengruppe im Norden Sansibars, die einen Verkaufsschlager eigens für Touristen entwickelt hat.

    Tatu Njuma Fumu rührt aus Zimt, Eukalyptus und Kokosöl Seife an. Mit industriell gefertigter Seife kann die lokale Frauengruppe in Kidoti preislich zwar nicht konkurrieren. Deshalb hat sie sich etwas Besonderes überlegt. Die Frauen produzieren Gewürzseife für die zahlreichen Touristen.

    "Wir kalkulieren, was die Rohmaterialien kosten, und dann verlangen wir für jedes Stück Seife umgerechnet 20 Cents zusätzlich. Der Wettbewerb ist groß. Einen höheren Preis bekommen wir nicht. "

    Unterstützt von der Aga Khan Entwicklungsorganisation haben die Frauen von Kidoti ein gutes Vermarktungskonzept entwickelt. Sie flechten kleine Bastkörbchen, in denen fünf Stück Seife als ganzes Geschenkpaket verkauft werden. Für umgerechnet fünf Euro pro Körbchen. Ein Preis, den sich nur Touristen leisten können. Fünf bis 10 Euro, das entspricht einem durchschnittlichen Monatslohn in Tansania.

    Neue Perspektiven für Sansibar bietet auch das Serena-Hotel. Die Hotelkette gehört zum Imperium des geistlichen Oberhauptes von weltweit 20 Millionen Ismaeliten, dem Aga Khan, einem der reichsten Menschen der Welt. Er lässt Gewinnanteile seiner Hotel-Kette auch in Sansibars Kultur- und Entwicklungsprojekte fließen. Ziel ist es, aus dem einstigen Zentrum des Waren- und Menschenhandels in Ostafrika ein Zentrum für Kulturtourismus zu machen. Künftig sollen zahlungskräftige Fernreisende die Rolle der alten Sultane übernehmen - als Finanzquelle zur Erhaltung von Stone Town und Liebhaber der Tarabu-Musik.

    Sansibar ist nur ein kleiner Teil der touristischen Attraktionen Tansanias. Die Regierung hat große Naturreservate ausgewiesen und die Wirtschaft damit erfolgreich voran gebracht. Der Tourismus gilt als einer der wichtigsten Wachstumsmärkte der Zukunft, für ein Land, das sonst im globalen Konkurrenzkampf nur schlecht mithalten kann. Als wichtigsten Vorzug nennt Staatspräsident Jakaya Kikwete immer wieder die Stabilität Tansanias, verglichen mit Bürgerkriegsländern wie Ruanda, Burundi oder Kongo in der direkten Nachbarschaft.

    "Eine stabile Demokratie schafft Möglichkeiten für eine stabile Wirtschaftsentwicklung. Das sehen wir, seit wir unsere Wirtschaftsreformen 1986 begonnen haben. Unsere Wirtschaft zeigt hohe Wachstumsraten. Im letzten Jahr 6,9 Prozent."

    In Tansania sind schon viele Entwicklungsmodelle ausprobiert worden. Von der sozialistischen Planwirtschaft bis zur freien Marktwirtschaft. Weder dem einen noch dem anderen Staatsmodell gelang es bislang, das Leben der armen Bevölkerungsmehrheit grundlegend zu verbessern. Julius Nyerere, der Tansania nach der Kolonialzeit in die Unabhängigkeit führte, wird heute noch fast wie ein nationaler Heiliger verehrt. Mit Swahili als eigener, nicht-europäischer Nationalsprache, schaffte es Nyerere, mehr als 130 ethnisch und religiös unterschiedliche Volksgruppen zu vereinen. Sein mit großem Charisma verfolgter Weg von Sozialismus, Einparteienherrschaft, Blockfreiheit und Eigenständigkeit ist inzwischen Geschichte, - auch wenn seine Revolutionspartei CCM mit deutlicher demokratischer Mehrheit immer noch an der Macht ist.

    "Die größte Herausforderung war und ist immer noch der Kampf gegen Armut und Unterentwicklung. Natürlich haben wir versucht, soziale und wirtschaftliche Dienste bereitzustellen, wie Gesundheitsdienste und Schulen. Ein anderes großes Problem ist es, auf dem Land und in den Städten die Wasserversorgung zu sichern. Wir versuchen die Industrialisierung zu fördern, Produktion und Produktivität zu steigern und Jobs zu schaffen."

    Staatspräsident Jakaja Kikwete nennt noch die gleichen Ziele, die schon bei der Unabhängigkeit verkündet, aber bislang weder mit dem sozialistischen noch mit dem marktwirtschaftlichen Modell erreicht wurden. Bei der Staatsgründung Tansanias 1964 siedelte die Bevölkerungsmehrheit weit verstreut. Nur etwa 10 Prozent lebten in Dörfern oder Städten. Um eine Grundversorgung mit Gesundheitsdiensten, Schulen oder Verkehrswegen bereitstellen zu können, ließ Staatsgründer Nyerere die Bevölkerung in so genannten Entwicklungsdörfern zwangsansiedeln. Er nationalisierte ausländische Banken, Plantagen und Fabriken, obwohl er kein ausreichend ausgebildetes Personal hatte. Sein bis 1986 verfolgtes Modell eines "Afrikanischen Sozialismus" trieb das Land an den Rand des wirtschaftlichen Ruins.

    Dann verordneten der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und andere internationale Gebergemeinschaften 1986 ein Wirtschaftsreformprogramm und die Marktwirtschaft. Eines der ersten Staatsunternehmen, das 1992 privatisiert wurde, war das New Africa Hotel in Dar Es Salam. Heute gilt es als eines der besten Hotels der Stadt mit exzellentem Service. Der neue Direktor Shabir Abji leitet eine Firmengruppe, zu der Hotels, Chemieunternehmen, Medien- und Immobilienkonzerne in ganz Ostafrika gehören. Ihm ermöglichten die Wirtschaftsreformen verstärkt in Tansania zu investieren.

    "Früher war der Außenhandel stark reglementiert. Wenn sie etwas im Ausland kaufen wollten, mussten sie einen Antrag bei der Zentralbank stellen. Diese Importerlaubnis zu bekommen dauerte sehr, sehr lange, vielleicht zwei oder drei Jahre. Die Handelsliberalisierung war ein enormer Schritt nach vorne. "

    Zu den Wirtschaftsreformen gehörte es, Staatsbetriebe zu privatisieren, alle Preiskontrollen aufzuheben, den Handel und die Agrarproduktion zu liberalisieren und die Wechselkurse freizugeben. Neben positiven Effekten wie der Senkung von Haushaltsdefizit, Schulden und Inflationsrate brachten die Reformen aber auch hohe soziale Kosten mit sich. Die Arbeitslosigkeit steigt beständig, die Sozialsysteme werden abgebaut und Arbeitnehmerrechte ausgehöhlt. Das Wirtschaftswachstum reicht bei weitem nicht aus, um wirkliche Verbesserungen für die Mehrheit der Bevölkerung zu bringen, befürchtet Shabir Abji.

    "Es dauert lange, bis die Bevölkerung die Fortschritte in der Makroökonomie wirklich spürt. Wir können zwar nicht noch ärmer werden als wir sowieso schon sind. Die Mehrheit lebt von Subsistenzwirtschaft. Unsere eigentliche Frage lautet aber: Wie können wir mehr Jobs schaffen? Bislang hat es noch nicht funktioniert."

    Ganz im Gegenteil. Einer völligen Marktöffnung sind die wenigsten Unternehmen in Tansania bislang gewachsen. Shabir Abji fordert deshalb, den Wettbewerb deutlich zu reglementieren, sonst würde Tansania auf Dauer nur Warenabsatzmarkt, Rohstofflieferant und Touristenparadies bleiben - ohne eigene Industrieproduktion.

    "Die Textilindustrie in Tansania lief hervorragend. Eines der glänzendsten Beispiele unserer Staatsökonomie. Die Idee war, wenn wir gute Baumwolle anbauen, warum dann nicht unsere eigenen Stoffe produzieren? Warum T-Shirts im Ausland kaufen? In den 1970er und 1980er Jahren waren wir extrem stark im Textilbereich. Dann kam die Ära, in der wir unsere Türen für den ausländischen Wettbewerb öffneten. Wir wurden aus Europa, den USA und Kanada mit Second-Hand Kleidung überflutet. Diese Billigware hat unsere ganze Textilindustrie ruiniert. Die Globalisierung ist eine schöne Theorie, ein Ideal. Aber die Wirtschaft der Dritten Welt muss zuerst noch geschützt werden. "

    Sonst werden einige Länder zugrundegerichtet, ganz bestimmt.

    Tansania wird heute von zahlreichen staatlichen Gebern und Nicht-Regierungsorganisationen unterstützt. 41 Prozent des tansanischen Staatshaushalts sind geberfinanziert. 85 Prozent der staatlichen Investitionen werden im Budget als "Fremdmittel" ausgewiesen. Die scharfe Kehrtwende im Wirtschaftssystem bedeutete den Verlust der staatlichen Eigenständigkeit, urteilt Andreas Späth. Er ist Afrika-Experte der internationalen Nichtregierungsorganisation World Vision.

    "In Afrika, insbesondere nach Strukturanpassungsmaßnahmen der Weltbank in den 80er Jahren, sind staatliche Dienste in vielen Bereichen derart dezimiert, dass sie eigentlich funktionslos geworden sind. Ein eindrucksvolles Beispiel: In den 70er Jahren gab es in allen ostafrikanischen Ländern staatlich geleitete Impfkampagnen, die die traditionellen Rinder- und Ziegenseuchen unter Kontrolle gehabt haben. In den 90er Jahren gab es in ganz Ostafrika wieder Krankheiten im Viehbestand, die es eigentlich als es die staatlichen Hilfskampagnen gab, schon gar nicht mehr gegeben hat. Man muss es einfach so bewerten, dass NGO's und auch bilaterale Hilfsorganisationen Lücken, die sich aufgetan haben, gefüllt haben."

    Gäste werden in Bwenbwera immer mit einem Fest begrüßt: mit Gesängen, Reden und Essen. Das hat Tradition in Afrika, egal wie arm das Dorf ist. Dann stellen verschiedene Gruppen ihre Projekte vor. In Bwenbwera, im Norden Tansanias, hat World Vision 2003 ein Regionalentwicklungsprogramm begonnen. Gefördert wird fast alles, die Schulausbildung, die Gesundheitsversorgung auch von Aids-Patienten, eine Baumschule, der Bau von energiesparenden Kochöfen. Gemeinsam mit staatlichen Stellen versucht World Vision in Bwenbwera die kommunale Selbstverwaltung zu stärken.

    Früher wurde sogar die Getreidemühle in Bwenbwera vom Staat finanziert und betrieben. Damals interessierte sich niemand dafür, ob die Mühle Gewinn machte oder gewartet wurde, erzählt Valid Debura, die lokale Regionalmanagerin von World Vision. Sie versucht heute vor allem die Eigenverantwortung zu stärken.

    "Bei unserem regionalen Entwicklungsprogramm organisieren wir die Bevölkerung zwar in Gruppen, um sie besser erreichen zu können. Wir zeigen ihnen neue Anbaumethoden, welchen Dünger, welche Samen sie verwenden müssen, um höhere Erträge zu bekommen. Entscheidend ist aber, dass jeder sein eigenes Geschäft führt. Wenn es einer Gruppe gehört, dann gehört es niemandem. Niemand ist verantwortlich. "

    Unweit der Getreidemühle bauen Agnes James und Imelda Steven in einer kleinen Hütte Pilze an. Außerdem haben sie bei einem Trainingsprogramm gelernt, wie sie aus Lehm energiesparende Öfen, Blumenvasen oder Wasserbehälter machen können. Jetzt brauchen Sie einen Kredit, um ihre Produktion erweitern zu können, erzählt Imelda Steven.

    "Wir haben schon bei einer Bank angefragt. Aber die Bankmanager sagten, sie vergeben bislang nur Kredite in Städten und nicht in Dörfern. Deshalb haben wir unseren Geschäftsplan bei World Vision eingereicht und um eine Million Shilling Kredit gebeten. Das sind umgerechnet 600 Euro. Damit wollen wir eine größere Hütte für die Pilzproduktion bauen und den Ofenbau erweitern."

    Wie Imelda Steven haben viele in Tansania Probleme damit, einen Kredit zu bekommen. Die Bankenbranche ist noch vergleichsweise jung. Private Banken dürfen hier erst seit rund 15 Jahren arbeiten. Doch für die meisten sind Kredite immer noch unerreichbar, weil sie keine ausreichenden Sicherheiten haben. Der fehlende Zugang der armen Bevölkerungsmehrheit zu Sparkonten und Krediten war lange weltweit eines der größten Entwicklungshindernisse, das erst mit der inzwischen stark expandierenden Mikrofinanzbewegung langsam abgebaut wird.