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Tanz der Planeten mit Quadern, Würfeln und Rechtecken

Er habe das erste Mal versucht, Stein als Material aufzunehmen, sagt Wiebke Hüster über Sidi Larbi Cherkaouis Choreografie "Puz/zle". Anlehnend an den Titel setze er die Bühnenbildelemente aus unterschiedlich geformten Steinen wieder zu einem Puzzle zusammen.

Wiebke Hüster im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 11.07.2012
    Stefan Koldehoff: Wie findet man in einer Gruppe seine Rolle? Wie organisieren sich viele Einzelne zu einem sinnvollen Gesamten? Das sind die Fragen, die den Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui seit Langem interessieren und auf die er in seinen Stücken auch schon verschiedene Antworten zu geben versucht hat. So auch jetzt wieder: beim Festival d'Avignon. Aber nicht in der Stadt, Wiebke Hüster, sondern ungefähr 15 Kilometer südwestlich vor der grandiosen Kulisse eines Steinbruchs. Mit dem, was man von Cherkaoui erwartet?

    Wiebke Hüster: Was so interessant und faszinierend war an verschiedenen vergangenen Produktionen von Sidi Larbi Cherkaoui, war das Zusammenspiel einer wirklich beeindruckend konsequenten visuellen Gestaltung des Bühnenraums mit dem tatsächlichen tänzerischen choreografischen Geschehen. Hier hat er jetzt zum ersten Mal versucht, das Material Stein aufzunehmen - eigentlich ja was ganz Unmögliches, denn wären das wirkliche Steine, dann würde ja die Bühne vollgestellt sein und der Tanz müsste sich irgendwie so dazwischenfügen, und das ginge nur sehr schwer. Also hat Cherkaoui große steinerne Wände, steinerne Säulen, Quader, Würfel, Rechtecke nachbauen lassen, täuschend echt aus einem Kunststoffschaum, der mit einer Stoffplane überzogen wird und tatsächlich aussieht, als könnte ein Bildhauer ihn gleich bearbeiten. Diese verschiedenen Bühnenbildelemente aus unterschiedlich geformten Steinen, die setzt er auch in Puzzle wiederum zusammen. Plötzlich wird es ein steinernes Grab - es gibt nämlich auch Beworfene - und am Schluss gibt es eine Szene, wo vor einer Mauer, die zusammengefügt wird aus verschiedenen Wänden, Tänzer wie Erschossene zusammensinken. Natürlich spielt das auch darauf an, dass der Versuch, die Welt zu ordnen, zu befrieden, sehr furchtbar schief gehen kann und scheitern kann.

    Koldehoff: Woher kommt die Musik?

    Hüster: Die Musik ist der Versuch, traditionelle wunderschöne A Capella Musik, die hier von einem korsischen Ensemble, mit dem Cherkaoui schon öfter gearbeitet hat, "A Filetta", vorgetragen wird, zusammenzufügen mit anderen traditionellen Gesängen und diese aber auch zu kontrastieren mit einer elektronischen Musik und das Ganze sozusagen so in die Gegenwart zu überführen. Und in der Musik ist vielleicht am ehesten noch die göttliche Ordnung zu finden, nach der dieses Stück strebt.

    Koldehoff: Im Pressematerial steht, das Spiel, das Spielen stünde diesmal im Vordergrund. Nun gibt es beim Spielen ja in der Regel relativ feste Regeln. Haben Sie das wiedergefunden?

    Hüster: Das Ganze bewegt sich natürlich auch auf einer choreografisch sehr abstrakten Ebene und lässt sich auch da sehr faszinierend lesen. Zum Beispiel beobachtet man die Tänzer dabei, wie sie versuchen, solide oder auch weniger stabile Konstellationen miteinander einzugehen, denn das ist ja Choreografie, wenn zwei Menschen oder mehr sich mit Bewegung zueinander verhalten. Also sehen wir hier Duos und Trios, wir sehen auch das Solo eines Mannes, der sich erkennbar darüber grämt und darüber verzweifelt, dass er offensichtlich seinen Platz in der Ordnung der Dinge und der Menschen nirgends findet. Wir sehen große Schlangenanordnungen, Wellenbewegungen, die sich fortsetzen, und da findet man auch Sidi Larbi Cherkaouis Interesse an der Natur wieder und daran, dass die kleinsten mikrokosmischen Strukturen in der Natur sich sozusagen auch wiederfinden in größeren Makroanordnungen, die die Menschen in ihren Kunstwerken reproduzieren. Das ist also auch eine Ebene dieses Stücks. Was man auch sieht, finde ich eine der wunderschönsten Szenen dieses Stücks: Die Tänzer nehmen alle je einen Art Pflasterstein in jede Hand und ordnen sich dann zu Kreisen, zu Schlangen, zu Diagonalen und lassen ihre Arme kreisen, sodass man wirklich das Gefühl hat, man schaut einem Tanz der Planeten zu.

    Koldehoff: Und das alles in Sidi Larbi Cherkaouis neuem Stück beim Festival d'Avignon - Wiebke Hüster war das.