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"Tanz im August"

Zum 18. Mal findet das Berliner Tanzfestival, das größte Tanzfest Deutschlands, statt. Künstler aus Asien, Afrika und Nordamerika reisen an, um mit ihren neuesten Tanzproduktionen dabei zu sein. Gleich 13 Deutschlandpremieren stehen auf dem Programm. Eine erste Bilanz der Stücke fällt gemischt aus: Harmloses Vergnügen, miefig oder frisch und unbekümmert - alles vertreten.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Der Raum sieht aus wie eine Mischung aus Beauty-Studio und Kinderzimmer. Drei Figuren mit Reiterkappen stehen darin im gleißenden Licht. Die beiden Frauen streicheln und dehnen schwarze Gummis, Luftballons, wie sich später zeigt. Der Mann am Mischpult schleckt ein Eis.

    Was folgt ist eine Explosion von Schreigesängen, Nackttanz auf Stühlen, immer wieder Aufblasen und Zerplatzen-Lassen von Luftballons; es ist Body Klecksen mit Schokoladencreme aus der Tube, eine – im doppelten Sinn – "Rock"-Orgie und das schließliche Zertrümmern des Plastik-Kinderzimmers.

    Ann Liv Youngs "Solo" ist eine Performance der besonderen Art. Sie zeigt ein kraftvolles Bekenntnis zum eigenen weiblichen Ich, unbekümmert um ästhetische Feinfühligkeiten und Grenzüberschreitungen, erwachsen aus genauer Beobachtung der Menschen, mit denen die aus North Carolina stammende Künstlerin lebt.

    Ann Liv Youngs "Solo" ist die bisher eindrucksvollste Performance des diesmal auf 17 Tage angesetzten Berliner Festivals "Tanz im August". Erstmals trat Young in Deutschland auf.
    Dumpfe Finsternis ausstrahlend: eine ebenfalls erstmals in Deutschland gezeigte Performance von Mark Tompkins mit vier jungen Männern: "Animal". Tompkins agiert darin selbst als eine Art Dompteur, Verführer aber auch Schiedsrichter.

    Die Männer müssen sich mal wälzen wie ein Rudel schlafender Hunde oder hüpfender Affen, werden animiert zu einer Art Transvestiten Show oder mimen Sumo-Ringer. Rezitiert werden dazu Texte von Emerson, Hitler und aus dem Katholischen Gesangbuch.

    Streckenweise ist das ganz amüsant, zumal in den akrobatisch-athletischen Teilen, ansonsten aber miefig dozierender Kitsch über die Dressierbarkeit von Menschen als Tiere in einem pseudo-weiheartigen, Weihrauch-geschwängerten Bühnenambiente.

    Noch extremer: Brice Leroux mit seinem magischen Arm-Ballett "Quantum". Der durch die Keersmaeker-Schule sozialisierte belgische Choreograf lässt seine fünf Darsteller hinter einer riesigen transparenten Spiegelwand agieren.
    Der Raum ist total abgedunkelt, nur die weißen Arme reflektieren mattes Licht. Höchst präzise simulieren diese Arme geometrische Figuren wie Buchstaben: W, X, L, V, oder Winkel, Parallelen, Linien oder geschaltete Kontakte. Im Raum hört man dazu ein dunkles Grummeln, lediglich bei den Übergängen sirrt eine Art weißes Rauschen. Das Augen- und Ohrenflimmern in diesem durch die Dunkelheit zur Zelle geschrumpften Raum hat etwas Beängstigendes. Aber wie so viele gerade jüngere Choreografen lässt Leroux es an Timing vermissen. Der Effekt verbraucht sich und verpufft. Dennoch sehr eindrücklich.

    Um das Amalgamieren fremder Identitäten ging es in einem Soloabend der Montrealer Tänzerin Louise Lecavalier. In unendlicher Langsamkeit zeigt sie einen Tänzer, der in eine fremde Haut schlüpfen will. Oder sie parodiert einen Dirigenten, der sich à la E.T.A. Hoffmann vor gespensterhaften Notenständern fürchtet. Mit großem tänzerischen Können ist das gemacht, wenn auch etwas langatmig.

    Begonnen hatte das zum 18. Mal veranstaltete Berliner Tanzfest halbklassisch mit einem Remake von Michèle Anne de Meys "Sinfonia Eroica". 1990 hatte diese Arbeit viel beachtete Premiere. Die aus der Schule von Maurice Béjart stammende Choreografin hat im Sommer das Stück neu herausgebracht mit ganz jungen Tänzern.

    Was frappiert an der Arbeit, ist die Unbekümmertheit und Frische, mit der die neuen Tänzer, vier Männer und fünf Frauen, die Beethovensche Musik der Dritten Symphonie umsetzen, sich immer neu paaren, auf einem quer gespannten Zirkusseil rollen, balancieren und am Ende durch Wasserpfützen über die Bühne schliddern.

    Insgesamt freilich ist das ein eher harmloses Vergnügen, Probenatmosphäre suggerierend mit den ständigen Brüchen der auch mit einem Contre Dance oder einem Zirkusmarsch geschnittenen Beethovenschen Musik.