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"Tanz im August" in Berlin

Das Theater "Hebbel am Ufer" und die Berliner Tanzwerkstatt nutzen die Theaterferien in jedem Jahr für ein Ereignis, das inzwischen als das größte seiner Art in Deutschland gilt. Drei Wochen lang treffen sich in jedem Sommer Gruppen und Einzelkünstler zum Festival "Tanz im August". 20 Compagnien und Solisten zeigen auch dieses - das 15. Mal - an zehn verschiedenen Spielorten neue und nicht mehr ganz so neue Arbeiten.

Von Georg Friedrich Kühn |
    Heavy Metal zu Beginn. Michael Clark und seine Londoner Truppe machen den Auftakt zum diesjährigen "Tanz im August". Seit einem Vierteljahrhundert entwickelt Clark seine Choreografien als herben Kontrast von Strenge und Anarchie. Fast wie Mobiles, bewegte Skulpturen, wirken seine Stücke.

    Oh My Goddess heißt das, das er diesmal mitgebracht hat. Die Tänzer werden im Prolog wie auf der Bühne umher irrende Fremde gezeigt. Papiertüten sind über ihre Köpfe gestülpt. Dann aber spürt Clark auch filigraneren Lineaturen in der Bauhaus-Tradition nach mit live gespielter, gelegentlich aber auch sich verdoppelnder Klavier-Musik von Satie.

    Der "Tanz im August" unter neuer Leitung. Nele Hertling, die Gründerin und langjährige Programmiererin des Festivals, ist ausgeschieden. Ihre beiden Kompagnons, Ulrike Becker und André Thériault, haben das Heft übernommen zusammen mit Bettina Masuch und Matthias Lilienthal vom neu formierten "Hebbel am Ufer".

    An den Programm-Strukturen hat sich bislang wenig geändert. Man hofft da mehr auf die Zukunft. Durch eine für zunächst drei Jahre garantierte finanzielle Unterstützung vom Hauptstadtkulturfonds sind nun längerfristige Planungen möglich, die auch Auftragsproduktionen erlauben.

    So will man weiterhin Neues und Bewährtes, kleine Formate mit großen Gastspielen mischen.

    Dass das qualitative Niveau dabei stark schwankt, konnte man schon an den ersten Tagen beobachten, wenn etwa die fabelhaft virtuosen Tänzerinnen und Tänzer von Akram Khan aus London mit ihrer im Frühjahr in Düsseldorf schon gezeigten brillianten, am indischen Kathak orientierten Produktion Ma ins Rennen geschickt werden mit einer Newcomerin, Eszter Salamon.

    Reproduction nennt sie ihre Arbeit, die laut einem reichlich hochtrabenden Text den Geschlechter-Beziehungen nachgehen will. Zu sehen sind gleichgeschlechtliche erst männliche, dann weibliche Paare, die eher mechanisch aneinander in allen Posen sich versuchen. Die Zuschauer sitzen dabei um die riesige Spielfläche wie um einen Tisch, der freilich allzu karg gedeckt bleibt.

    Ein Highlight die Rekonstruktion einer zwanzig Jahre alten Choreografie des Kanadiers Jean-Pierre Perreault. Perreault verstarb vor zwei Jahren. Joe, so der Titel, damals ein Kultstück, wurde ursprünglich erarbeitet für einen Universitätskurs mit 22 in Männer-Staubmäntel, Filzhüte und Armeestiefel gekleidete Frauen, dann erweitert für 32 Tänzerinnen und Tänzer.

    Wie Variationen über das Thema der Einzelne und die Masse wirken die vielen kleinen Geschichten, die da erzählt werden, wenn Einzelne auszubrechen versuchen aus der Uniformität, wieder eingefangen werden oder die anderen zum Mitmachen verführen. Aber, sagt Ginette Chagnon, die das Stück jetzt neu einstudiert hat, Perreault, der von der Bildhauerei kam, ging es nie ums Erzählen von Geschichten.

    Wenn er ins Studio kam, hatte er keine bestimmten Intention. Er arbeitete mit dem Körper. Er glaubte, wenn ein Werk stark genug und gut komponiert sei, konnte der Zuschauer sich seine eigenen Geschichten hinzu erfinden.

    Dass die Machart des Stücks, deren "Musik" hauptsächlich aus dem Rhythmus des Trappelns mit den Schuhen entsteht, dann popularisiert wurde im "Riverdance", ließ Perreault das Stück später ganz absetzen.

    1995 haben wir auf einer Australien-Tournee in Perth gesehen, wie River-Dancer in Armee-Boots tanzten. Da war er froh, dass wir das Stück nicht im Gepäck hatten. Und jetzt sind wir hier damit…