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Tanz um "Hartz IV"

Lange kam die Arbeitswelt, bei Autoren wie Falk Richter und René Pollesch, Gesine Danckwarth und Martin Heckmanns, vor allem mit den Problemen ihrer Leitungsetagen auf die Bühne. Man wandte sich in Nachfolge von Urs Widmers "Top Dogs" den der Überhitzung der New Economy zum Opfer gefallenen Topmanagern zu oder beschäftigte sich wie Rolf Hochhuth in "McKinsey kommt" mit dem Bewusstsein von Unternehmensberatern.

Von Hartmut Krug | 14.01.2006
    Mittlerweile ist das gesamte Spektrum der Arbeitswelt mit allen Schichten der Gesellschaft ins Rampenlicht gerückt: Arbeitslosigkeit, Arbeitsamt und Hartz IV wurden zu Theaterthemen. Das begann Anfang 2005 mit einem Paukenschlag, als im Staatsschauspiel Dresden in Volker Löschs Inszenierung von Gerhart Hauptmanns "Die Weber" ein aus Arbeitslosen gebildeter Laienchor seine politisch durchaus nicht korrekten Vorwürfe und Wünsche von der Bühne brüllte.

    Dann ging es Schlag auf Schlag: Moritz Rinkes "Café Umberto" zeigte den Andalusier Umberto, der sich in der Cafeteria eines Arbeitsamtes seine Ich-AG aufbaut und für die hier gestrandeten Arbeitslosen eine Art Heimat schafft. Ob in Essen das Stück "Die Vollbeschäftigten" als "musikalischer Arbeitsvermittlungsversuch" auf die Bühne kam oder sich in Bochum in Roland Schimmelpfennigs "Angebot und Nachfrage" zwei Menschen an sehr individuellen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen versuchten, oder ob, wieder in Dresden, Andreas Neu in seinem "Es tut uns leid, sie sind gefeuert" einen Familienvater Job, Frau und Haus verlieren lässt: nie geht es bei diesen neuen Stücken darum, einen Arbeitsplatz für alle einzuklagen. Sondern darum, persönliche Schicksale darzustellen und die Phantasie der Menschen als Produktivkraft auszustellen.

    Für Erik Gedeon ist die Musik eine Gemeinsamkeit stiftende Produktivkraft. Weshalb er als Regisseur seiner Musical-Nummernrevue "Hartz IV – Das Musical" die Verzweiflung von Arbeitslosen mit absurdem, schwarzem Humor ausstellt und die traurige Komik der stummen Szenen mit dem Hoffnungspotential von Kitsch- und Kunstliedern als Illusion entlarvt. Zugleich aber lässt er die Menschen in den Musiknummern immer wieder zur Gemeinsamkeit finden.

    Sieben Personen warten in einem heruntergekommenen Arbeitsamt. Der Anmeldeschalter ist mit Brettern vernagelt, die Uhr an der Wand hat ihre Zeiger verloren, und die Nummernanzeige, die die Arbeitslosen von Zeit zu Zeit zum Schlangestehen verleitet, rast leer. Kein Sinn, keine Hoffnung, keine Zukunft nirgends. Nur Trübsal, Hoffnungslosigkeit, Ticks und Eigentümlichkeiten.

    Da gibt es ein bürgerliches Paar, dass sich gegenseitig an die Kehle geht, einen jungen Mann in Schwarz mit Springerstiefeln und Hitler-Bärtchen, der immer wieder sein Klappmesser anhaucht, einen graumeliert Langhaarigen im Parka, der seine Bibel ableckt, eine Muslimin und eine Schwangere, die ihren Achselschweiß genießerisch vorweist. Über allen thront eine liebenswerte Toilettenfrau. Menschen als sozialer Sprengstoff, die entweder wegschauen oder sich eifrig beteiligen, wenn einer von ihnen von einem Ausrastenden zusammengeschlagen wird.

    Dieser skurrile Abend muss sich wegen seiner thematischen und formalen Anklänge natürlich an Franz Wittenbrinks thematischen Liederabenden und Christoph Marthalers traumklaren Singspielen messen lassen. Doch wo Wittenbrink seine Fundstücke immer auch musikalisch befragt, da benutzt Gedeon sie nur als Kontrast oder Illustration. Wenn zum Beispiel das Paar handgreiflich wird, erklingt "Du bist mir ganz nah" aus dem "Phantom der Oper", und wenn die Muslimin sich als Ich-AG begreift und einen Eimer als Billig-Toilette anbietet, singt sie "Ich gehör nur mir."

    "Wenn ich einmal reich wär' passt gleich mehrmals, und Sehnsüchte sind beim "Memory"-Song aus Cats gut aufgehoben.

    Die Schauspieler singen erstaunlich gut, und doch bekommt die Aufführung keinen Schwung. Weder als Nummernrevue noch als böses Satyrspiel, - das ganze bleibt zwischen schwarzer Betroffenheitsposse und Best-of-Musical-Abend stecken. Gedeon setzt gegen Marthalers doppelbödige Poesie die kräftige Groteske. Es gibt einen Pianisten auf der Bühne, der wie ein Clochard aus dem Opernbühnenfundus daherstolpert, und Mülleimer, aus denen die Menschen ihre Zukunft als Ich-AG's hervorkramen.

    Wenn die Hochschwangere daraus Ratten hervorholt und auf einem tragbaren Grill als Speisen anbietet, oder wenn die gutbürgerliche Ehefrau gefundene Essensreste als "Halbpreis-Ware" anpreist, sind das allerdings allzu plakative Ich-AG-Versuche. Der Schluss misslingt auf merkwürdige Weise: erst begehen alle in einem großen Musical-Potpourri Selbstmord, dann erkennen sie mit ABBAS "Danke für die Lieder", dass die Welt ohne Musik nichts wäre. Also findet man sich und die Hoffnung in der Musik und ein zuvor abwehrender deutscher Bürger reicht der Muslimin einen wärmenden Handschuh.