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Tanzabend des Balletts am Rhein
Bewegungsideen und puristische Werke

Der junge Choreograf Antoine Jully feierte mit seinem ehrgeizigen Projekt "Hidden Features" beim Tanzabend des Balletts im Düsseldorfer Opernhaus Premiere und überzeugte mit viel Tempo, Witz und Musikalität. Außerdem im Programm: Merce Cunninghams "Scenario" und Hans van Manens "Große Fuge".

Von Wiebke Hüster | 29.03.2014
    "Hidden Features" - das sind die verborgenen Vorgänge im Inneren von Maschinen im digitalen Zeitalter. Antoine Jullys verspieltes Ballett, teils auf Spitze, teils auf Ballettschläppchen getanzt, ist inspiriert von den für Laien schwer durchschaubaren Vorgängen zwischen Motherboards und Grafikkarten. Es lässt Computerviren in tänzerischer Gestalt durch eine von Pixel und Platinen angeregte Techniklandschaft springen. Die Tänzer tragen weiße, eiförmige Hauben, die plastikhart im Bühnenlicht erglänzen und wirken sehr eilig. Die Choreografie hat viel Tempo, Witz und Musikalität. Es sind eher zu viel Bewegungsideen, die Jully hier unterbringt.
    Mit Erwin Schulhoffs 1923 entstandenen "Fünf Stücken für Streichquartett" wird er ebenso elegant fertig wie mit daran anschließenden Konzert für Cembalo und Streichorchester op. 40 von Henryk Gorecki. Matthias Oostrik hat dem Ballett virtuelle Schaumkronen aufgesetzt - auf die Rückwand projiziert er die bewegten Bilder seiner "Real Time Video Interaction" - also einer digital produzierten Filmeinspielung, die ein Computerprogramm aus den Bewegungsabläufen der Choreografie in Echtzeit generiert. Wüsste man's nicht, man sähe Schaumkronen. Das passt - "Hidden Features" ist das ehrgeizige Projekt eines jungen Choreografen, der vor Talent sprüht und weiß, dass sein Werk sich am Premierenabend neben Meisterwerken des zwanzigsten Jahrhunderts behaupten muss. Auf "Hidden Features" folgte Merce Cunninghams 1997 entstandenes "Scenario" mit Takehisa Kosugis elektronischer Komposition "Wave Code A-Z" und schließlich Hans van Manens Beethoven-Stück "Große Fuge" für vier Paare.
    "Scenario" spielt im White Cube, wie ihn der Kunsthistoriker Brian O'Doherty als idealen Präsentationsraum der Kunst der Moderne definierte, in einem weißen Kubus, von sechs horizontal verlaufenden Reihen von Neonröhren unter der Decke beleuchtet. Und sowie die 15 Tänzer der Besetzung von "Scenario" hereinspringen wissen wir auch, warum: Die Kostüme der japanischen Modedesignerin Rei Kawakubo verwandeln mit wulstartigen Auspolsterungen unter den elastischen gestreiften und karierten Kleidungsstücken die Körper der Tänzer in witzige Skulpturen. Dieser Scherz, der die Darsteller ins bloß Humanoide verformt - so als wäre beim Klonen von Menschen was schiefgegangen, dieser Scherz wird von der strengen Museumsatmosphäre abgepolstert, um im Bild zu bleiben, assoziativ in der Schwebe gehalten.
    Großer ästhetischer Kontrast
    Kosugis ätherische, aus elektronischen Wellen und ihren unterschiedlichen Frequenzen gestaltete Musik klingt manchmal wie in der Ferne kreisende Hubschrauber oder sanft angeworfene Flugzeugpropeller, geheimnisvoll und kosmisch. Darüber legen sich kontemplative asiatisch anmutende Klangfragmente. Cunninghams Tänze verweben Duette und Trios zu Momenten einer sprechenden Stille, wenn Blicke und Berührungen zwischen den Tänzer hin- und herfliegen wie Worte, Gesten und Gelächter in einer belebten Kommunikation. Man wird wie immer bei Cunningham von dieser Atmosphäre innigen Austausches vollkommen eingesogen.
    Einen großen ästhetischen Kontrast dazu bildete Hans van Manens "Große Fuge" zum Abschluss.
    Für den entsubjektivierten Weg in die Postmoderne, den Merce Cunningham und John Cage in wechselseitiger Unabhängigkeit von Musik und Tanz und Bühnenbild wählten, fehlt dem holländischen Meisterchoreografen van Manen jeder Sinn. Seine am musikalischen Geschehen minutiös entlangentwickelten puristischen Werke sind bezwingend schön und sprechen vom konsequenten gestalterischen Willen ihres Schöpfers. Seine Kreaturen, die Figuren seiner Stücke, sind stolze, empfindsame, kluge und leidenschaftliche Personen von reichem Innenleben. Man möchte soviel in der Wirklichkeit so viel erlebt haben, wie van Manen in die Beethoven-Minuten dieser Fuge hineingelegt hat. Dann hätte man sein Leben ausgekostet.