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Tanzen verboten

Mit 240 Millionen Menschen ist Indonesien das größte muslimische Land auf der Erde. Für den Ausbau ihrer Macht greifen Fundamentalisten zu Gewalt und zu Paragrafen: Seit über einem Jahr ist ein so genanntes Anti-Pornografie-Gesetz in Arbeit, Mischehen zwischen Muslimen und Andersgläubigen sind verboten, liberale Religionsvertreter werden eingeschüchtert. Langfristiges Ziel der Radikalen ist die Einführung der Scharia, der islamischen Rechtsordnung, in ganz Indonesien.

Von Kristina Tschenett |
    Fira tanzt für ihr Leben gern. Die 22-jährige Medizinstudentin aus Banda Aceh trifft sich regelmäßig mit ihren Freundinnen im "Funland". Das ist keine Disco, sondern eine hell erleuchtete, dröhnende Spielhalle im Tiefparterre eines Supermarktes. Doch Fira gefällt es:

    "Hier kann man einfach ein bisschen Spaß haben, ausspannen, spielen, Freunde treffen."

    Und hier steht ein Musikautomat, der auf dem Boden durch kleine Leuchtflächen eine Choreografie vorgibt: ein Spiel, kein Tanz! Für Fira und die Mädchen ist das die einzige Möglichkeit, denn öffentliches Tanzen ist in Aceh verboten, seit Anfang des Jahres die neuen Scharia-Gesetze eingeführt wurden.

    "Ich finde das schon streng, denn unter der Scharia dürfen wir keinen Freund haben, wir können nicht einfach mit einem Mann ausgehen, wir müssen Röcke tragen und langärmelige T-shirts, aber die Männer können alles anziehen."

    Fira will eine gute Muslimin sein. Sie trägt zwar keinen Rock, aber trotz der schwülen Hitze immer ein Kopftuch. Das ist Vorschrift. Eigentlich ist die Scharia kein festgeschriebenes Regelwerk, sie wird regional sehr unterschiedlich gehandhabt. Für Muslime in Aceh bedeutet sie neben der Kopftuchpflicht unter anderem: kein Alkohol, kein Glücksspiel, kein außerehelicher Sex.
    Über die Einhaltung dieser Regeln wacht die spezielle Scharia-Polizei, von der Provinzregierung als Sittenwächter eingesetzt. Ihr Chef stellt sich als Commander Fakrit vor. Früher war er Religionsgelehrter an einer Islamischen Universität, jetzt macht er Jagd auf Moralsünder. Und die Vorschriften seien für alle Muslime gleichermaßen gültig, betont Fakrit:

    "Selbst wenn meine eigene Schwester gegen die Regeln verstoßen würde, ich würde sie eigenhändig dafür schlagen."

    Seine Vorstellung von Gleichbehandlung.

    Im großen Saal der neuen Scharia-Behörde in Banda Aceh bespricht Fakrit mit seinen Männern die Strategie für den nächsten Einsatz. Auf roten Samtstühlen sitzen sie um einen spiegelblanken Holztisch. Wie Fakrit waren auch sie religiöse Gelehrte. Bei der letzten Patrouillenfahrt haben sie die Straßencafés kontrolliert, dieses Mal wollen sie sich den Strand vornehmen, sagt Commander Fakrit:

    "Die Männer sind alle religiöse Lehrer. Früher konnten sie nur mit Worten predigen, jetzt haben sie die Autorität und die Macht, die Regeln auch tatsächlich durchzusetzen."

    Mit dem Polizeiwagen kreuz und quer durch Banda Aceh in Richtung Küste: Den Strand gibt es eigentlich gar nicht mehr. Er wurde vom Tsunami weggerissen. Übrig geblieben ist ein künstlicher Damm aus Schutt. Nicht gerade eine romantische Szenerie, doch ein Passant gibt den Sittenwächtern einen Wink.

    Am Wasser stellt die Patrouille tatsächlich ein junges Pärchen. Die beiden sitzen nebeneinander, allein auf weiter Flur. Das ist nicht erlaubt. Sie hat auch noch ihr Kopftuch abgenommen, der Wind zerzaust ihr langes schwarzes Haar. Von den uniformierten Männern umringt müssen beide nun ihre Papiere zeigen.

    Der junge Mann sucht verlegen nach seinem Ausweis, sie hat keinen dabei. Es stellt sich heraus, dass die beiden nicht verheiratet sind. Sie ist gerade mal 18 und geht noch zur Schule. Commander Fakrit hält der zierlichen Frau eine Moralpredigt, bis sie vor Scham anfängt zu weinen. Kurz darauf lässt er die beiden gehen.
    "Heute war es nur ein einziges Pärchen, es war das erste Mal, darum bekommen sie keine Strafe, aber sie dürfen das nicht wieder tun."

    Für die Männer von der Scharia-Polizei ist die Arbeit an diesem Tag erledigt, sie fahren zurück zu ihrer Behörde. Meist rücken sie sowieso nur aus, wenn jemand einen Sittenverstoß anzeigt. Und auch dann dürfen sie eigentlich nur Ermahnungen aussprechen, aber niemanden festnehmen. Es komme aber immer wieder vor, dass die Scharia-Polizei gerade gegenüber Frauen ihre Befugnisse überschreite, sagt Soraya, eine der Mitbegründerinnen der Frauenorganisation Flower Aceh:

    "Zum Beispiel wenn die Scharia-Polizei kontrolliert, ob Frauen ein Kopftuch tragen, dann dürfen sie eigentlich nur eine Empfehlung aussprechen. Aber oft nehmen sie die Frauen einfach mit auf die Dienststelle. Und lauter Typen fahren dann mit ihrem Motorrad hinterher, um die Frauen zu demütigen, die wie Kriminelle behandelt werden."

    Wer mehrfach gegen die Regeln der Scharia verstößt, dem droht in Aceh die Prügelstrafe. Weit über 100 solcher Fälle hat es schon gegeben, heißt es vom Institut für Rechtsmonitoring in Banda Aceh.

    Vollstreckt werden die Urteile öffentlich, meist auf einer kleinen Bühne vor einer Moschee. Dieses Mal soll ein Student bestraft werden, für außerehelichen Sex. Seine Freundin ist schwanger. Es ist brütend heiß, dennoch haben sich zahlreiche Schaulustige versammelt, es sind fast ausschließlich Männer und Jungen. Wer nicht hören will, muss fühlen, meint Anwar Idris, Chef der regionalen Scharia-Behörde:

    "Erst macht die Scharia-Polizei nur allen die Vorschriften bekannt. Aber wenn es dann immer noch Verstöße gibt, dann setzt es Strafen."

    Die Scharia-Polizei schickt die Zuschauermenge hinter die Absperrung aus Flatterband, die Ehrengäste der Gemeinde dürfen in einer improvisierten VIP-Lounge im Schatten Platz nehmen, so auch Anwar Idris:

    "Dies ist eine Lektion für die ganze Gesellschaft: Es gibt Grenzen in unserer Religion. Aber durch diese Strafe wird Gott ihnen hoffentlich verzeihen."

    Es herrscht erwartungsvolle Spannung. Doch zunächst werden Reden gehalten über die Unmoral in der Gesellschaf und Paragrafen zitiert. Dann wird das Urteil verlesen und noch einmal gemeinsam gebetet. Erst dann wird der junge Mann auf die Bühne gebracht. Im weißen Kittel steht er dort, den Kopf gesenkt. Der Vollstrecker im schwarzen Kapuzenmantel wartet schon mit dem Bambusstock.

    Das Publikum zählt die Schläge mit, sieben an der Zahl. Ziel ist die öffentliche Demütigung. Auch die junge Frau soll später noch genau so bestraft werden, aber erst nach der Geburt ihres Kindes.

    Yusny Saby, Rector des staatlichen Institutes für Islamstudien in Banda Aceh, hält die Scharia für eine gute Lösung. Schließlich habe jahrzehntelang Bürgerkrieg geherrscht, Chaos. Die Gemeinde habe endlich Regeln gebraucht, meint er. Außerdem seien die Strafen leichter zu ertragen als Gefängnis:

    "Glauben Sie mir, wenn sie die Schläge hinter sich haben, können sie direkt zurück zu ihren Familien und tun, was sie wollen. Es gibt keine Bestechungen, um einen Anwalt zu bekommen. Nein, es ist ein ganz geradliniger Rechtsvorgang."

    Aceh gilt als die strenggläubigste islamische Provinz in Indonesien. Aber inzwischen haben schon mehr als 20 weitere Städte und Regionen ebenfalls die Scharia eingeführt. Das Land tendiert zu einem immer konservativeren Islam. Fira und ihre Freundinnen haben sich an das Leben mit der Scharia gewöhnt.

    "In einer Großstadt ist das Leben vielleicht freier, die können tanzen gehen oder in einen Club, aber wir hier können das nicht, wir haben die Scharia."