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Tanzlegende und Botschafter des Flamenco

Nicht aus Berufung, auch nicht aus "brennender Liebe zum Tanz" sei er Tänzer geworden, sondern "aus Hunger" - der Spanier Antonio Gades. Gestern Abend ist er im Alter von 67 Jahren gestorben. Aus bitterarmen Verhältnissen stammte er, in den dunklen Jahren des Franco-Regimes ist er aufgewachsen. Der internationale Druchbruch als Tänzer und Flamenco-Revolutionär gelang ihm durch Carlos Sauras Filmen "Bluthochzeit", "Carmen" und "Der Liebeszauber".

Kersten Knipp im Gespräch |
    Schmitz: Kersten Knipp im Studio, Antonio Gades ist der Tanz nicht in die Wiege gelegt worden. Wie ist er denn zum Tänzer geworden, wie war seine Laufbahn?

    Knipp: Wenn man einmal überlegt, dass die große Tageszeitung "El País" ihm heute vier ganze Seiten gewidmet hat, dann ist es eigentlich schon fast kurios, dass er selbst sagt, er sei fast durch Zufall Tänzer geworden, es sei also keine Berufung gewesen, wie viele andere Flamencokünstler es gerne immer wieder erzählen. Er sagt ja, er hätte Boxer werden wollen, Radsportler, sogar Torero – ein gefährlicher Beruf. Er hat sein Leben vielleicht der berühmten Flamencotänzerin Pilar López zu verdanken, die ihn unter ihre Fittiche nahm und ihn warnte, pass auf, wenn du Torero wirst, muss du um deine Gesundheit fürchten, vielleicht kannst du nichts anderes mehr machen. Das ist ihm offenbar sofort bewusst geworden. Er hat sich dieses Rates angenommen und hat dann getanzt in der Kompanie von Pilar López.

    Schmitz: Klassisches Ballett, aber?

    Knipp: Klassisches Ballett, genau. Er hat nicht mit Flamenco angefangen, sondern mit klassischem Tanz, und ist dann in dieser Kompanie allerdings sehr schnell zum ersten Tänzer dieses nun wirklich berühmten Ensembles in den frühen fünfziger Jahren geworden. Dann ging der Aufstieg sehr schnell und sehr konsequent. Er war in Mailand in der Scala eine Zeit lang erster Tänzer. Dann kamen die berühmten Kinofilme, nicht nur die der achtziger Jahre, sondern auch in den frühen sechziger Jahren hat er seine ersten Filme gedreht und war dann jahrelang auf Auslandstourneen in der gesamten Welt. Es war eine sehr steile Karriere.

    Schmitz: Am Anfang aber Tanzen aus Hunger. Mit dieser Erfahrung hat sich auch der politische Gades entwickelt?

    Knipp: Ja, das könnte man so sagen. Vielleicht muss man etwas vorsichtig sein. Tanzen aus Hunger, das ist so ein Topos im Flamenco, das wird immer ganz gerne gesagt, weil der Flamenco als die Kunst der armen Leute gilt. Es ist die Kunst der verfolgten Zigeuner, so ist der alte Mythos. Insofern vielleicht ein klein wenig Koketterie, aber man muss auch sagen, er stammt aus ganz armen Verhältnissen. Er wurde in Valencia geboren, kam dann sehr früh nach Madrid, und sein Vater war einer der Verteidiger der Zweiten Republik, also im Kampf gegen Franco, und das mag ihn geprägt haben. So ist er in die Kommunistische Partei Spaniens eingetreten und vertritt diesen linken Standpunkt.

    Schmitz: Bis zum Schluss sogar - bei Castro ist er zu Besuch gewesen. Welchen Flamenco hat Antonio Gades aufgegriffen? Was hat er aus dem Flamenco gemacht? Was ist die Ästhetik?

    Knipp: Die Ästhetik ist eine sehr strikte, strenge und karge. Antonio Gades ist ja kein Zigeuner, sondern ein Nichtzigeuner muss man in Spanien sagen, wo diese Unterscheidung gemacht wird. Er pflegt also nicht diesen üppigen Flamenco, nicht das Ausschweifende, sondern eher das Minimalistische, Strenge.

    Schmitz: Hat er noch andere beeinflusst?

    Knipp: Ja, er hat eine ganze Riege von anderen beeinflusst, insbesondere natürlich die jüngeren Nichtzigeunertänzer, die sich auch ein bisschen Mut daran genommen haben, dass sie nun auch etwas integrierter in den Flamenco sind, denn es ist in Spanien immer noch eine große Imagefrage, ist man Zigeuner oder ist man nicht Zigeuner. Das Feld wird immer noch vornehmlich von den Zigeunern bedient, geführt, aber jetzt mehr und mehr von den Nichtzigeunern, und das ist auch eine der ganz großen Leistungen Antiono Gades, das eingeführt zu haben.

    Schmitz: Vielen Dank für das Gespräch.