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Tanzmasken im Leipziger Grassi-Museum
Fragile Doppel-Gesichtigkeit

Angelica Hoffmeister-zur-Nedden im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig | 02.01.2015
    Rainer Berthold Schossig: Im Grassi-Museum für Völkerkunde in Leipzig befindet sich eine kleine, aber feine Sammlung an Tanzmasken aus Neu-Britannien; das ist eine Insel des melanesischen Bismarck-Archipels, der zu den einstigen deutschen Übersee-Besitzungen zählte. Die Masken sind seit 100 Jahren in Leipzig, Zeugnisse eines außergewöhnlichen kunsthandwerklichen Schaffens. Einige wurden noch nie ausgestellt. Jetzt werden sechs von ihnen mithilfe der Kulturstiftung der Länder im Rahmen des Restaurierungsbündnisses "Kunst auf Lager" aufwendig restauriert. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg kamen die Stücke dann aus der damals deutschen Südsee-Kolonie und wenig später nach Leipzig.
    - Frage an Angelica Hoffmeister, leitende Restauratorin am Grassi-Museum: Diese Masken, die stammen von einer Ethnie namens Zentral-Baining. Was sind das für Leute gewesen, und wie muss man sie sich gesellschaftlich und sozial vorstellen?
    Angelica Hoffmeister-zur-Nedden: Die Bainings gibt es heute noch. Sie leben auf Neu-Britannien im Bismarck-Archipel von Papua-Neuguinea an der nordöstlichen Spitze. Sie leben in bewaldeten Regionen, wo es feucht ist und es viele Regenfälle gibt, sehr zurückgezogen und sehr einfach. Sie leben also von ihrem täglichen Tun für die Nahrungsbeschaffung und haben strikte Regeln, wie ihre Kinder erzogen werden. Und leben völlig in Einklang mit der Natur.
    Schossig: Kommen wir zu den Masken selber, Frau Hoffmeister. Was war die ursprüngliche Funktion solcher Masken, religiös, rituell, bei Tot/Geburt und so weiter, für Männer und Frauen? Wie war das aufgeteilt, oder was wissen Sie darüber, über diesen Einsatz der Masken?
    Hoffmeister-zur-Nedden: Wir wissen, dass es sowohl Tagmasken als auch Nachtmasken gab und die Tagmasken anders aussehen als die Nachtmasken. Wir haben jetzt ja im Rahmen von "Kunst auf Lager" sechs Masken restaurieren können. Eine davon ist eine Tagmaske. Das muss man sich so vorstellen: Das ist ein riesengroßes, 1,50 Meter hohes Ei, eine eiförmige Maske mit Löchern, die die Augen sind, eine Nase und einen großen Mund, in dem ein paar Zahnstümpfe stecken.
    Schossig: Und die wurde nur Tags benutzt?
    Hoffmeister-zur Nedden: Die wurde nur Tags benutzt, von Männern getragen, aber auch für Frauen, Kinder und für alle sozusagen sichtbar zu Trommelklängen und Gesang aufgeführt und getanzt damit. Diese Tagmaske wurde nicht auf dem Kopf getragen, sondern an einer langen Stange hoch oben getragen und damit wurde getanzt.
    Schossig: Und nachts?
    Hoffmeister-zur-Nedden: Nachts muss man sich vorstellen: Da haben wir eben die übrigen fünf Masken, die im Feuerschein im Wald, also im Dunkeln über das Feuer und um das Feuer herum zu dunklen Gesängen und Klängen getragen wurden.
    Schossig: Klingt nach Wilder-Mann-Ritus?
    Hoffmeister-zur-Nedden: Ja, ist ein Wilder-Mann-Ritus. Es durften keine Frauen und Kinder daran teilnehmen zum Beispiel.
    Schossig: Diese Masken wurden ja auch angeblich - ein Freund von mir hat das auch so gefunden, eine Maske in Afrika, einfach auf dem Müll des Dorfes - nur einmal getragen und dann dem Verfall überlassen. Heißt das, dass man jetzt diese Masken eventuell auch auf dem Müllhaufen dieses Stammes gefunden hat?
    Hoffmeister-zur-Nedden: Wo nun die Parkinsons die Masken gefunden haben, das wissen wir natürlich jetzt nicht. Aber sie sind, soweit wir das bisher wissen, im Grunde verderbliche Objekte. Sie sind tatsächlich für den einmaligen Gebrauch und für diesen einmaligen Tanz geschaffen worden und wurden dann vernichtet, oder im Wald einfach liegen gelassen, weil sie ihre Funktion und ihre Wirkung vollkommen verloren hatten.
    Schossig: Dieses fragile Material müssten Sie noch ein bisschen beschreiben, was ja jetzt diese Restaurierung auch wahrscheinlich schwierig macht.
    Hoffmeister-zur-Nedden: Ja. Man muss sich vorstellen, das ist ein Art korbartiges Gerüst aus Rattan-Streifen und Strängen. Rattan kennen wir aus Stuhlbespannungen und das gibt es aber auch in dickeren Stängeln und Stämmen und das kann man unter Einweichen in Wasser eben biegen und zu ganz runden Formen verbiegen und festbinden. Und über dieses Gestell sozusagen wurde dann ein Rindenbaststoff, Tapa genannt, gespannt. Dieser Tapastoff stammt in den meisten Fällen vom Maulbeerbaum. Das ist das Material, was zwischen Rinde und Baumstamm sitzt. Das ist so ein langes, faseriges, struppiges Zeug, was eingeweicht wird in Wasser und lange geklopft wird, sodass sowohl die Farbstoffe als auch die ganzen übrigen Stoffe eigentlich rausgeklopft werden und sich dieses Fasermaterial verfilzt zu einem Flies.
    Schossig: Und darauf ist dann ja immer noch mal eine weitere, ganz feine lineare, geometrische Mustermalerei. Das ist ja sicherlich auch eine Herausforderung an die Restauratoren.
    Hoffmeister-zur-Nedden: Ja, wobei wir bei der Restaurierung eigentlich wenig von dieser Bemalung überhaupt ergänzen mussten. Die Hauptherausforderung war eigentlich die Reinigung der Objekte und die Festigung sozusagen. Dazu mussten wir eben auch von diesem Rindenbastmaterial Ergänzungen anbringen, damit die Masken wieder sich schließen und wieder vollständig ihre Stützfunktion aufnehmen können.
    Schossig: Diese Dinge waren verschmutzt, zerbrochen zum Teil, zerrissen. Sind solche Schäden nun das Ergebnis von Geringschätzung, der Fragilität, Nachlässigkeit, mangelnder Schutzunkenntnis?
    Hoffmeister-zur-Nedden: Nein. Man muss sich ja vorstellen, dass sie zunächst einmal schon aus Neu-Britannien hier nach Europa gelangt sind. Wir wissen ja gar nicht genau, in welchem Zustand sich die Masken damals befunden haben. Dann kamen sie aus diesem feucht-warmen Klima, sind dann hier hergekommen und mussten sich nun an die für ihre Verhältnisse doch trockenen Verhältnisse gewöhnen. Dann sind sie ins Museum gekommen, dann gab es zwei Weltkriege, die sie überstehen mussten, dann gab es mehrere Museumsumzüge, die sie überstehen mussten. Und bis vor Kurzem haben diese sechs Masken in einem provisorischen Außenlager des Gassi-Museums gehangen beziehungsweise wurden dort in schrankartigen Kästen aufbewahrt, weil unser jetziges Depot zu klein geworden ist und wir noch darauf warten, dass das neue Außendepot fertiggestellt wird.
    Schossig: Wann haben Sie denn diese Masken zum ersten Mal in Ihrer Tätigkeit in Leipzig entdeckt oder gesehen?
    Hoffmeister-zur-Nedden: Ich habe sie vor anderthalb Jahren entdeckt und es ist eben schwierig: Wenn man eine Sammlung konservatorisch betreut, muss man sie natürlich sich anschauen können. Diese Südsee-Sammlung, die eigentlich vollständig verpackt ist in diesem provisorischen Außenlager, ist für mich sozusagen nur zugänglich, wenn ich exakt mir Objekte raussuche, die ich mir dann auch anschauen will, weil alle Kästen umgeräumt werden müssen, alles aufgeschraubt werden muss, die Verpackung innendrin abmontiert werden muss. Und man macht das eigentlich nur, wenn man wirklich auch was Spezielles sich anschauen will, weil es natürlich immer dann auch wieder zu neuen Schäden oder Gefährdungen kommen kann.
    Schossig: Sie haben retuschiert, Sie haben ergänzt, haben Sie gesagt. Hand aufs Herz: Was ist da zu ersetzen? Ist das verantwortbar? Das wäre meine Frage auch an den Restaurator. Was wäre zurückzugewinnen, was ist zurückgewonnen worden und was bleibt verloren?
    Hoffmeister-zur-Nedden: Verloren bleibt sicherlich der ursprüngliche Ausdruck der Masken. Wenn man sie beschreiben soll: Wir haben große schnabelartige Münder und so eine turmartige Frisur oder Kopf. Jemand hat mal gesagt, sie sehen aus wie eine Mischung aus Donald Duck und Marge Simpson. Und die ursprüngliche Mundhaltung: Aus diesen offenen Mündern wurde geschaut, während man die Masken auf dem Kopf trug, und dadurch, dass die Masken dann zigfach transportiert wurden, sind die in einem bestimmten Trocknungszustand jetzt verharrt. Manche Münder sind etwas offen, manche Münder sind auch etwas schief, einige sehen auch ein bisschen schlecht gelaunt aus. Man kann aber trotzdem sich vorstellen, wie sie ursprünglich gebraucht wurden. Wir haben eigentlich in der Restaurierung hauptsächlich konserviert und nur soweit ergänzt, dass in Zukunft keine neuen Schäden so schnell auftreten können, hauptsächlich für die Stabilität gesorgt.
    Schossig: Das Fremdwort Persona kommt ja aus dem griechischen Hindurchtönen. Damit war ja gemeint in der griechischen Tragödie das Hindurchtönen, das Schauspiel durch ihre Masken. Ist denn das vielleicht noch erkennbar in dem jetzigen Zustand dieser Masken für den Betrachter?
    Hoffmeister-zur-Nedden: Ja, das ist noch sehr gut erkennbar, zumal wir eine Maske haben, die sogenannte Wungwung-Maske mit so einem ballonartigen Kopf, einem großen schnabelartigen Mund, großen runden Augen, was übrigens diese ganzen Nachtmasken haben. Die haben große runde Augen aus konzentrischen Kreisen, die eine Art hypnotischen Blick haben. Diese Wungwung-Maske hat dann auch noch ein langes Rohr, das aus diesem Mund rauskommt, durch das dann auch geblasen wurde während des Auftritts.
    Schossig: Danke an Angelica Hoffmeister, Restauratorin am Grassi-Museum für Völkerkunde in Leipzig, für ihre Schilderung der Rettung historischer Tanzmasken mithilfe der Initiative der Kulturstiftung der Länder "Kunst auf Lager".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.