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Tanzplattform 2018 in Essen
Große Stücke für große Bühnen

Alles neu bei der "Tanzplattform": Bisher wurden alle zwei Jahre die besten Produktionen der Freien Szene vorgestellt. Das Konzept galt aber als zu 'national', und so öffnete sich die Tanzplattform für internationale Produktionen. Das hat die Bestenschau verändert.

Von Nicole Strecker | 18.03.2018
    Bei der Tanzplattform Essen ist auch eine Aufführung von Bruno Beltrao zu sehen.
    Bei der Tanzplattform Essen ist auch eine Aufführung von Bruno Beltrao zu sehen. (Kerstin Behrendt)
    Ein winziges Wörtchen, nur zwei Buchstaben: I und N. Tanzplattform IN Deutschland heißt in diesem Jahr die Bestenschau des Freien-Szene-Tanzes, und man glaubt gar nicht, was in diesem "in" so alles drin ist. In Deutschland hat die Tanzplattform zwar seit jeher stattgefunden. Aber jetzt ist sie ein bisschen weniger deutsch, darum nur in Deutschland.
    Teil der Riege hochkarätiger Festivals
    Bislang galt die mehr oder weniger lax ausgelegte Regel: Die "Tanzplattform" zeigt Choreografen mit Arbeitsschwerpunkt in Deutschland, alle zwei Jahre gebündelt in vier Tagen für möglichst viele Geldgeber-, Kuratoren- und Goethe-Instituts-VIPs gewissermaßen als PR-Festival für die hiesige Tanzszene. Dieses Prinzip wurde nun als 'zu national' geschmäht. Ab jetzt darf kommen, wer in den letzten zwei Jahren die begabten Tänzerfüße ins Land gesetzt hat. Der Brasilianer Bruno Beltrao etwa, bislang eher Gast bei großen Festivals wie der Ruhrtriennale oder dem Theater der Welt. Für das hat er 2017 sein Stück "Inoah" erarbeitet, das jetzt in Essen gezeigt wurde. Und ein Beltrao mit seiner bewährten Choreografen-Rezeptur, muskelschwere Tänzerjungs mit Favela-Flair in einem intellektuell-dekonstruktivistischen Denkrahmen performen zu lassen - der macht sich gut im Programm und fügt die Tanzplattform eben auch geschmeidig ein in die Riege hochkarätiger Festivals.
    Wenige skeptische Gesichter, viele Studenten
    Überhaupt: Think Big, war offenbar das diesjährige Motto der Leistungsschau. So hatte der Chef von PACT Zollverein, Gastgeber Stefan Hilterhaus schon früh neben Gebäuden auf der Zeche auch die Aalto Oper und das Musiktheater Gelsenkirchen als Veranstaltungsorte akquiriert. Große Bühnen - die brauchen: große Stücke. So eines durfte die künftige Direktorin des Berliner Staatsballetts, Sasha Waltz mit ihrer Ensemble-Produktion "Kreatur" liefern. Oder der Berliner Volksbühnen-Choreograf Boris Charmatz. Alles nicht wirklich freie-Szene-Kandidaten, aber attraktiv für Kuratoren aus dem Ausland, die man in diesem Jahr laut Aussage der Veranstalter zahlreicher nach Deutschland gelockt hat als in vergangenen Ausgaben der Tanzplattform. Diese abgebrühten Profi-Gucker - das müssen die wenigen skeptischen Gesichter gewesen sein in den Scharen von Tanzstudenten, die in diesem Jahr die Plattform enterten. Der Nachwuchs informiert sich, was auf ihn zukommt. Der Branchentreff - so jung, so hip, so heiter.
    Nackte Tänzer als Löwenherde in Langzeit-Performance
    Bei allem Zweifel am Konzept: Das Essener Team erwies sich als guter Gastgeber, die Spielorte auf der Zeche Zollverein funktionierten auch bei eisigen Temperaturen bestens für die Stücke, neben den genannten Hauptaktionären der Fördertöpfe gab es schon auch Entdeckungen zu machen. Und ja doch: Es gab auch Glücksmomente durch die Kunst. Eine Langzeit-Performance von Choreograf Xavier le Roy, mit nackten Tänzern, die als Löwenherde durch den Spielort trotteten und die Zuschauer in philosophische Gespräche über Zeit, Altern, Vergänglichkeit verwickelten. Da saß man dann mit den Wildkatzen-Tänzern auf einem Teppichboden und staunte gemeinsam: Was ist doch der Mensch für eine seltsame Kreatur. Zumal, wenn er zeitgenössisch tanz-denkt.