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Tanzplattform Deutschland

Wo, bitteschön, bleibt der Nachwuchs? Diese Frage durchzog die diesjährige Tanzplattform Deutschland bis zur letzten Minute. Die Gesichter waren alte Bekannte, das Programm setzte auf sichere Namen. Nur zwei Neuentdeckungen gab es – beide aus Hamburg. Antje Pfundtner bestach mit einem trotzigen eigenwilligen Solo, Jochen Roller lieferte eine scharfsinnige und höchst unterhaltsame Analyse zur gegenwärtigen Arbeitswelt, als eine Art Lounge-Performance auf dem Sessel heraus. Ansonsten bot sich eher ein Querschnitt an Gruppen, die alle schon in früheren Ausgaben des Festivals zu sehen waren. Und dabei stellt sich wieder einmal die Frage: Soll die Tanzplattform überhaupt noch ein Festival für den Nachwuchs sein?

Von Gabriele Wittmann |
    Erinnern wir uns an die letzte Ausgabe, 2000 in Leipzig. Dort hatte die örtliche Veranstalterin in bester Absicht alles zusammengetragen, was ihr an Nachwuchs aufgefallen war – ein peinlicher Ausschnitt ostdeutscher Stadttheater-Produktionen war die Folge. Also wählte man einen neuen Weg: künftig sollte eine dreiköpfige Jury das Programm auswählen.

    Diese Jury also – zusammengesetzt aus zwei Veranstaltern und einer Tanzkritikerin – kam, sah, und tagte. Und konzentrierte sich in ihrer Auswahl auf die künstlerische Qualität der Stücke. Gegen das Gefasel vom Tanz als einer auf der ganzen Welt zu verstehende Bewegungssprache trug sie zusammen, was den zeitgenössischen Tanz in Deutschland derzeit auszeichnet: Und das ist – zum Entsetzen des ausländischen Publikums – eben weniger denn je gefälliger Tanz. Es sind Arbeiten, in denen die Choreografen verstärkt mit Text umgehen, in denen sie die Wahrnehmung dekonstruieren und das Herstellen von Wirklichkeit hinterfragen – und damit auch das Herstellen des Bühnenproduktes "Tanz" ganz allgemein. Unter künstlerischen Gesichtspunkten waren die ausgewählten Stücke von einer erfreulich hohen Qualität, bis auf ein paar Enttäuschungen. Denn Arbeiten in veränderten Räumen – wie ein in einem Berliner Kaufhaus spielendes Stück von Constanza Macras – verweigerten sich einer Übertragung auf Düsseldorfer Verhältnisse. Bei den Ersatzstücken kam es dann zu späten Fehlentscheidungen. Im großen und Ganzen aber war das Programm gut gewählt und repräsentativ für die ästhetische Bandbreite im Lande. Nur zwei Tanztheater-Produktionen waren zu sehen, die Konzept-Künstler erhielten schon mehr Raum, und die interdisziplinären Arbeiten eines VA Wölfl oder Jo Fabian zeigten, dass die "alten" unter den freien Choreografen immer noch gute Arbeiten abliefern.

    Ist die Tanzplattform Deutschland damit aber noch ein Festival der Entdeckungen, also ein Forum für den Nachwuchs – was ja das ursprünglich erklärte Ziel war? Oder entwickelt sie sich nicht vielmehr zu einer Art "Berliner Theatertreffen" für den Tanz, wie die Kritikerin Eva-Elisabeth Fischer vorschlug? Einer Definition als "Leistungsschau der besten Produktionen" aber verweigern sich die Veranstalter leider, sie wollen ihre Zielsetzung nicht so hoch hängen.

    Und da zeigt sich ein ganz anderes Dilemma: Es gibt kein vergleichbares Angebot im zeitgenössischen deutschen Tanz. Kein nationales Festival, das einmal im Jahr die besten Stücke zusammenträgt, wie es für andere Sparten längst üblich ist; und auch kein Nachwuchsfestival, das das Risiko nationaler Neuentdeckungen auf sich nehmen würde. Solange sich die Veranstalter nicht auf ein klares Profil einigen, wird die Tanzplattform also weiter die Zerreißprobe zwischen allen Ansprüchen aushalten müssen – und für die kommende Plattform im Jahr 2006 in Stuttgart wieder zu einem neuen Gesicht finden.