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Tanztheater
Europapremiere von Constanza Macras' "On Fire"

Die Choreografin Constanza Macras war immer schon schnell. In "On Fire" gönnt sie weder den Tänzern noch dem Publikum die kleinste Atempause. Von dem Stück, das im Februar in Johannesburg uraufgeführt wurde und im Berliner Maxim Gorki Theater Europapremiere hatte, hätte man gerne etwas mehr verstanden, meint Elisabeth Nehring.

Von Elisabeth Nehring | 30.09.2015
    Das Maxim Gorki Theater, aufgenommen am 29.10.2012 in Berlin.
    Das Maxim Gorki Theater in Berlin (picture-alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Auf der Bühne kommandiert eine weiße Frau einige schwarze Tänzer herum. Offensichtlich handelt es sich um eine Probe oder Audition. Als die Männer anfangen ihre T-Shirts auszuziehen, wehrt die Chefin ab: "Oh Gott, Jungs, bitte keine Muskeln zeigen! Wir haben 2015, da sind die Männer metrosexuell."
    Das ganze Spannungsverhältnis zwischen schwarz und weiß, Mann und Frau, modern und antiquiert wird in dieser kurzen Szene doppelt und dreifach und sehr schön ironisch gewendet: Einerseits nimmt sich Constanza Macras in ihrer Rolle als Choreografin, die mit ihren eigenen ästhetischen Vorlieben und Vorstellungen in ein fremdes Land kommt, selbst auf’s Korn; andererseits wird das Klischee des schwarzen Mannes ironisiert, der angeblich überall und ständig mit nacktem Oberkörper herumlaufen will.
    Für den Nicht-Insider wirr und überfordernd
    Neben solchen kurzen Spielszenen, die vor allem die zweite Hälfte des neunzig-minütigen Abends bestimmen, ist es der Tanz, der in dieser Produktion im Mittelpunkt steht. "Ein Feuerwerk der Tanzstile" – das sind die ersten 45 Minuten von "On Fire" ganz sicherlich. Constanza Macras hat acht beeindruckende Tänzer aus Südafrika mitgebracht. Mühelos verbinden sie sich mit den Mitgliedern der Kompanie Dorky Park zu einem fabelhaften Tanzensemble. Sie springen zwischen verschiedenen Tanzstilen hin und her und reichern ihre zeitgenössische Bewegungssprache mit Elementen traditioneller Tänze, aber vor allem der "urban dances" an. Hip Hop, Break-Dance und Dubstep – die Bewegungen gleiten von einem Stil in den nächsten, werden in einer Art postmodernem Furor durcheinander gewirbelt.
    Genauso ergeht es aber auch den Inhalten, die hier thematisiert werden sollen – und das ist dann nicht mehr ganz so furios und mitreißend, sondern – zumindest für den Nicht-Insider – vor allem wirr und überfordernd. Postkolonialer Diskurs trifft auf wiederentdeckten südafrikanischen Ahnenkult trifft auf das Konstrukt der "erfundenen Traditionen" trifft auf den Umgang mit Katholizismus trifft auf südafrikanische Populärkultur trifft auf patriarchale Strukturen trifft auf Post-Apartheid. Haben Sie’s verstanden? Nein? Dann willkommen im Club!
    Ganz offensichtlich auf ein südafrikanisches Publikum zugeschnitten
    Constanza Macras war immer schon schnell; in den meisten ihrer Tanzproduktionen wirft sie nicht nur künstlerische Stilmittel wie Tanz, Musik, Text und Video wild durcheinander, sondern reißt auch Szenen und Bilder stets nur an – mit hohem Tempo und auch viel Humor versteht sich. In "On Fire" gönnt sie weder den Tänzern noch dem Publikum die kleinste Atempause. Ob es um das hierarchische Verhältnis von weißen und schwarzen Körper geht, den von der jungen Generation wiederentdeckten Ahnenkult der Vorfahren, um Urmutter MA oder Lizenzvergaben an traditionelle Heiler – kein Gedanke kann vertieft, keine Geschichte auserzählt werden. Mit seinen vielen Anspielungen und Verweisen ist das Stück ganz offensichtlich auf ein südafrikanisches Publikum zugeschnitten; das ist in Ordnung, aber kein Trost dafür, dass man selbst auch gerne etwas mehr verstanden hätte.