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Tanzträume im Film

"Kontakthof" heißt ein Stück der im vergangen Jahr verstorbenen Choreografin Pina Bausch, dass 1978 uraufgeführt wurde. Vor zwei Jahren wurde es noch einmal einstudiert, diesmal mit Schülern und Jugendlichen. Über die Proben zu diesem Tanztheaterstück, hat die Filmemacherin Anne Linsel, einen Dokumentarfilm gedreht, der auch eine Hommage an Pina Bausch ist.

Von Josef Schnelle |
    Es ist unmöglich nicht zu Tränen gerührt zu sein, wenn sie gegen Ende des Dokumentarfilms von Anne Linsel und Rainer Hoffmann noch einmal auftaucht und sich als guter Geist hinter dem Projekt zu erkennen gibt. Ihr berühmtestes Tanzstück "Kontakthof" aus dem Jahre 1978 mit Jugendlichen aus Wuppertal einzustudieren, das übernahmen Bénédicte Billiet und Jo Ann Endicott. Aber über allem wachte doch Pina Bausch, die während der Dreharbeiten zu diesem Dokumentarfilm am 30. Juni 2009 gestorben ist. Die Theaterpremiere des Jugendprojekts hat sie aber noch erlebt. Sie übergibt jedem Teilnehmer eine rote Rose und verschwindet still hinter dem Vorhang. Es sind die letzten Aufnahmen der überlebensgroßen Choreographin. Und ihre aufmunternden Worte vor der Premiere dürfen deshalb als ihr Vermächtnis gelten.

    Bis dahin gehört die ganze Aufmerksamkeit des Films allerdings den beiden engagierten Choreografinnen Billiet und Endicott, und den Jugendlichen, aus denen sie eine Theatertruppe zu formen versuchen. In Wahrheit geht es bei diesem Projekt aber nicht um billigen Ruhm auf der Theaterbühne, sondern im Kern um die Verbesserung des Lebens durch die Kunst. Wer jemals daran gezweifelt haben sollte, dass das gelingen kann, dem sei dieser Film als Pflichtaufgabe empfohlen. Die jungen Leute aus Wuppertal sind nichts Besonderes, bis sie in Pina Bauschs Szenen mit erwachender Liebe, Körperlust, Eifersucht, Verführung und Gewalt konfrontiert werden. Das Verdienst der Dokumentarfilmer ist, diesen Prozess des Lernens für das Leben, so grandios eingefangen zu haben. Jo Ann Endicott gibt sich besondere Mühe mit Joy. Deren Rolle hat sie einst selbst getanzt und sie weiß natürlich worauf es dabei ankommt.

    Vom langatmigen Probenbericht des Regionalfernsehens ist "Tanzträume" auch deswegen so weit entfernt, weil die Macher das Projekt umarmt und ganz durchdrungen haben. Das Vertrauen, das ihnen die Jugendlichen entgegen bringen, ist offenbar grenzenlos. In der Auseinandersetzung mit Annäherung und Berührung und den Spielformen der Erotik müssen die jungen Leute sich schließlich ganz weit öffnen und dabei für Pina Bauschs getanzte Lektionen des Lebens auch eine Menge riskieren. Und so mancher entdeckt Wahrheiten seines Lebens.

    Die jugendlichen Protagonisten können sich vor Tourneeangeboten gar nicht mehr retten. Aber sie müssen ja auch noch ihr ganz normales Leben planen mit Abitur, Studium und anderen Plänen. Im Augenblick dreht Wim Wenders, seit langem schon ein Bewunderer der Tanzkunst von Pina Bausch, seinen Film in 3D-Technik: "Pina". Bei der Premiere von "Tanzträume" auf der Berlinale in einer Gala-Matinee soll der erfolgreichste Regisseur des "Neuen Deutschen Films" ziemlich erschüttert gewesen sein. Auch auf seinen Film darf man gespannt sein. Die authentische Kraft von Anne Linsels Studie wird er trotz allem technischen Schnickschnack wahrscheinlich nicht erreichen. Weswegen Regisseurin Anne Linsel nach diesem grandiosen Dokumentarfilmcoup ziemlich selbstbewusst bleiben darf:

    "Wir haben wirklich ja ihren letzten Auftritt vor einer Kamera und auch das letzte Interview ist in diesem Film. Insofern ist er so etwas wie ein Vermächtnis. Das hat Wenders ja nun nicht."