Montag, 29. April 2024

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Tarifstreit im öffentlichen Dienst
"100 Euro sind schwere Kröte"

Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst gehen heute in die entscheidende Runde. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, hält eine Einigung für wahrscheinlich. Einen Sockelbetrag in Höhe von 100 Euro werde es aber nicht geben, so Landsberg im DLF.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Friedbert Meurer | 01.04.2014
    Friedbert Meurer: Gerd Landsberg ist Geschäftsführer und Präsidiumsmitglied. Guten Morgen, Herr Landsberg.
    Gerd Landsberg: Guten Morgen, Herr Meurer!
    Meurer: Sind Sie optimistisch?
    Landsberg: Am 1. April muss man optimistisch sein. Natürlich bin ich optimistisch. Der Einigungswille ist ja offensichtlich. Sonst hätte Ver.di sicher nicht die große Tarifkommission, die jetzt anreist, aufgefordert, nach Potsdam zu kommen. Beide Seiten wissen, es muss Einkommensverbesserungen geben, aber beide Seiten wissen auch, dass die jeweilige Vorstellung der anderen Seite sich so nicht durchsetzen lässt.
    Meurer: Gibt es einen bestimmten Knackpunkt, der am kniffligsten ist?
    Landsberg: Am kniffligsten ist sicherlich der Sockelbetrag. Wenn die Gewerkschaft sagt, 100 Euro für jeden, dann kann man das verstehen für Personen, die wenig verdienen. Aber man muss sehen, dass das für uns eine ganz schwere, dicke Kröte ist, weil das dazu führt, dass wir im unteren Lohnbereich noch weniger konkurrenzfähig sind. Die einfachste Arbeit bei einer Kommune liegt bei einer Einzelperson etwa bei 1589 Euro im Monat. Wenn Sie da 100 Euro drauflegen, dann sind das übrigens nicht sieben Prozent, sondern 10,2 Prozent. Ähnliches gilt bei den Auszubildenden. Und dann wird natürlich der Druck auf die Kommune, diese einfachen Tätigkeiten zu privatisieren, von anderen ausführen zu lassen, deutlich groß, und das ist ein Risiko.
    Meurer: Wieso sind Sie dann nicht konkurrenzfähig, wenn dann die unteren Lohngruppen 1689 Euro verdienen?
    Landsberg: Der Hintergrund ist, dass diese einfachen Leistungen ja ausgeschrieben werden können. Das können Sie privatisieren. Und wir haben es in weiten Bereichen, übrigens auch im Nahverkehr, etwa bei Busfahrern, dass Busfahrer im privaten Bereich bis zu 20 Prozent weniger verdienen als bei der Kommune. Wir wollen das nicht, übrigens die Bürger wollen das auch nicht, aber gerade in diesem niedrigeren Lohnbereich ist das ein ganz schwieriges Feld. Und deswegen ist der Sockelbetrag gerade für die kommunale Seite ein großes Problem. Es ist übrigens auch nicht neu, auch in früheren Tarifverhandlungen ist über so etwas gesprochen worden. Das Ergebnis wird sicherlich nicht ein Sockel von 100 Euro sein, aber es wird eine wie auch immer geartete soziale Komponente, wie man es nennt, geben müssen.
    Meurer: Sie sagen, Herr Landsberg, Sie wollen keine Privatisierungen, Städte und Gemeinden wollen es nicht. Ein bisschen wird man da doch ein wenig stutzig, weil Sie ja gerade sagen, lieber nicht so ein Sockelbetrag, der steht der Privatisierung im Wege. Was gilt denn jetzt?
    Landsberg: In dem Moment, wo die Löhne im öffentlichen Dienst im unteren Bereich überproportional steigen, wird der Druck auf die Städte größer, diese Aufgaben nicht mehr selbst, sondern von einem Privaten ausführen zu lassen, weil der dann möglicherweise billiger ist. Und das wollen wir nicht, weil wir natürlich mit unseren Leistungen nicht nur eine Leistung erbringen, sondern auch kommunalpolitisch steuern. Und die Mehrheit der Bürger möchte jedenfalls neuerdings die Leistungen immer lieber von der Kommune als von Privaten.
    Meurer: In einigen Teilen Deutschlands haben wir ja fast Vollbeschäftigung. Muss der öffentliche Dienst nicht attraktiver werden auch in den unteren Lohngruppen, um noch gutes Personal zu finden?
    Landsberg: Das ist ein Problem. Wir haben einen demografischen Wandel. Der öffentliche Dienst muss dafür sorgen, dass er attraktiv bleibt. Aber die Attraktivität zeigt sich nicht nur in der Besoldung, sondern insbesondere auch in guten Rahmenbedingungen: zum Beispiel sicherer Arbeitsplatz, gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf und auch eine interessante Aufgabenstellung. Jedenfalls viele wollen ja in den öffentlichen Dienst. Daran müssen wir arbeiten. Aber ich sage auch ganz offen: Nur über den Lohn werden wir den Wettbewerb mit der Privatwirtschaft nicht gewinnen können. Die können im Zweifel immer höhere Abschlüsse akzeptieren, da sie in Krisenzeiten natürlich auch schneller entlassen können. Oder Arbeitsplätze zu Niedriglöhnen anbieten.
    Meurer: Irgendjemand hat ausgerechnet, dass wenn die Forderungen von Ver.di eins zu eins durchgesetzt würden, das die Kommunen etwa sechs oder sieben Milliarden Euro kosten würde. Wenn wir jetzt einfach mal sagen, da kommen erfahrungsgemäß am Ende knapp vier heraus, sind vier Milliarden Euro angesichts der momentan sprudelnden Steuereinnahmen nicht zu verkraften?
    Landsberg: Mit den sprudelnden Steuereinnahmen ist das so eine Sache. Es ist richtig, dass die Kommunen 2013 ein Plus von etwa einer Milliarde gemacht haben. Aber das nützt zum Beispiel den Städten und Gemeinden in Hessen gar nichts, denn die haben ein Minus von 1,1 Milliarden gemacht. Das heißt, der Bundesdurchschnitt sagt relativ wenig über die Situation der einzelnen Kommune. Dann haben wir natürlich das zentrale Problem: Wir haben einen Investitionsstau von 128 Milliarden. Die Masse der Bürgerinnen und Bürger will auch nicht weniger, sondern mehr Leistungen von uns. Das heißt jetzt nicht, dass man deswegen sagt, es darf nicht mehr geben, wir brauchen das Geld immer für was anderes. Das wird sicherlich nicht funktionieren. Aber das muss irgendwie für die Kommunen noch verkraftbar sein. Und nicht nur für eine Stadt, der es gut geht – ich nenne mal München, ich nenne mal große Städte im Süden, sondern für die Mehrheit. Darauf kommt es uns an und da sind jedenfalls sechs Milliarden, die Ver.di fordert, nicht akzeptabel und die werden am Ende auch nicht rauskommen können.
    Meurer: Sie sagen, die einen können es mehr verkraften als die anderen. Wäre für Sie vorstellbar, da zu differenzieren von Bundesland zu Bundesland?
    Landsberg: Das hielten wir für gefährlich. Dann haben Sie in einer Kommune, der es finanziell schlecht geht, nicht nur das Finanzproblem, sondern auch noch das Problem, die geeigneten Leute zu bekommen. Das wollen wir nicht. Wir halten daran fest, dass es eine einheitliche Tarifstruktur gibt. Das hat sich bewährt und aus meiner Sicht sollte das in Zukunft auch so bleiben.
    Meurer: Sieben Prozent, Sie sagen sogar zehn Prozent. Haben Sie ungefähr eine Vorstellung, was jetzt am Ende rauskommen könnte?
    Landsberg: Also da will ich nicht spekulieren. Aber es nützt ja immer mal so ein kleiner Blick zurück. Der letzte Tarifabschluss war am 31. März 2012. Damals wurden Steigerungen von 6,3 Prozent vereinbart, aber über einen längeren Zeitraum. Das heißt, auch das ist ein ganz wichtiger Punkt: Wie lange soll denn der Tarifvertrag laufen? Wir hoffen natürlich auf einen langen möglichst langen, am besten zwei Jahre. Dann haben wir auch die Warnstreiks nicht jedes Jahr und müssen nicht jedes Jahr wieder in Potsdam diese Gespräche führen.
    Meurer: In der Vergangenheit ist immer darüber geredet worden, oder war Ihr Argument, Herr Landsberg, dann müssen wir eben Leistungen kürzen bei den Städten. Gerade sagen Sie, die Bürger sind anspruchsvoller geworden. Ist das ein Thema, bleibt das ein Thema, Leistungen zu kürzen?
    Landsberg: Das bleibt ein Thema, aber die Mehrheit der Bürger will mehr Leistungen. Wir wollen ja auch nicht weniger Kinderbetreuung, sondern mehr. Das ist übrigens auch der Grund, warum wir in den letzten zwei Jahren gegen den Trend zusätzliches Personal eingestellt haben, summa summarum etwa 19.000 Beschäftigte. Und der Rechtsanspruch greift weiter. Das heißt, die Erwartung der Gesellschaft an die Kommunen steigt. Und das schaffen sie nicht mit weniger Personal, sondern sie werden im Zweifel mehr Personal brauchen. Und auch das muss finanziert werden. Und da muss man halt wissen: 49,7 Milliarden haben wir 2013 für Personal ausgegeben. Und nur ein Prozent mehr kostet die kommunale Seite 800 Millionen.
    Meurer: Aber Sie glauben, beim Kita-Ausbau wird es keine Abstriche geben wegen Tarifverhandlungen?
    Über Gerd Landsberg:
    Geboren 1952 in Wiesenbronn, Bayern. Gerd Landsberg studierte Rechts- und Politikwissenschaften in Bonn und promovierte 1981. Er arbeitete als Richter am Landgericht und Oberlandesgericht, aber auch als Referent im Bundesjustizministerium. 1992 wurde er zum Beigeordneten im Deutschen Städte- und Gemeindetag gewählt. Seit 1996 ist er der Geschäftsführer dieser Institution, in der sich die Kommunen in Deutschland organisieren.
    Landsberg: Das glaube ich nicht, weil das ist ein Rechtsanspruch. Das hat der Gesetzgeber so festgelegt. Den müssen wir erfüllen und dafür müssen wir das Personal vorhalten.
    Meurer: Die freiwilligen Leistungen, was kann man sich da vorstellen, Schwimmbäder, weniger Öffnungszeiten, oder was ist denkbar?
    Landsberg: Die Schwimmbäder kommen ja immer gleich ins Ziel. Ich glaube, dass Schwimmbäder auch eine wichtige Funktion haben. Die Kommunen sind da in einer schwierigen Lage, denn letztlich wird sich das Problem über die freiwilligen Leistungen nicht lösen lassen. Es gibt Kommunen, in deren Gesamthaushalt machen die freiwilligen Leistungen drei, vier Prozent. Das heißt, selbst wenn sie die ganz einstellen, lösen sie das Problem nicht. Die Zukunft der Städte und Gemeinden im Finanzbereich hängt maßgeblich davon ab, ob es gelingt, uns dauerhaft von den immer weiter steigenden Soziallasten zu entlasten.
    Meurer: Tag der Entscheidung. In Potsdam könnte heute eine Einigung kommen bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Vielleicht aber auch nicht. Über die Folgen habe ich mich unterhalten mit Gerd Landsberg, dem geschäftsführenden Präsidiumsmitglied im Deutschen Städte- und Gemeindebund. Herr Landsberg, danke und auf Wiederhören.
    Landsberg: Bitte schön! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.