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Tarnkappe gegen Erdbeben

Physik.- Mehrmals ist es Forscherteams gelungen, sogenannte Tarnkappen zu entwickeln, mit denen sich Objekte unsichtbar machen lassen. Dabei leiten Metamaterialien Licht um das Objekt herum. Auf diesem Verfahren basiert nun ein neuer Ansatz, Gebäude erdbebensicher zu machen.

Von Suzanne Krause |
    Auf dem Computerbildschirm funktioniert sie schon, die Tarnkappe gegen Erdbeben: ein Wall von Ringen, die am Boden verankert werden, sichert Gebäude vor den seismischen Wellen mit der größten Zerstörungskraft, den sogenannten Oberflächenwellen. Benannt sind sie nach dem britischen Forscher Lord Rayleigh, der sie im 19. Jahrhundert theoretisch beschrieb. Erst später konnten diese akustischen Wellen an der Oberfläche von Gesteinen mit einer Ausbreitungsgeschwindigkeit von zwei bis vier Kilometern pro Sekunde gemessen werden.

    Die Rayleigh-Wellen erschüttern das Umfeld, sorgen für Bewegungen nach oben und unten, hin und her – mit Amplituden, die viel höher sind als bei allen anderen Wellenarten. Diese Wellenkraft irgendwie brechen, respektive umleiten zu können, ist das Ziel von Stefan Enoch, Forschungsleiter am Institut Fresnel in Marseille.

    "Ich kenne keine Idee, nach der man Metamaterialien auch bei Beugungswellen auf einer Platte, einer Oberfläche anwenden kann. Mit unserem Modell zeigen wir, dass dies aber möglich ist und das bedeutet eine wirkliche Neuheit im Bereich der Grundlagenphysik."

    Bei der Tarnkappe gegen Erdbeben setzen die Wissenschaftler auf eine Anlage, die aus mindestens zehn konzentrischen Kreisen besteht. Die formen eine Art dünner Bodenplatte, das zu schützende Objekt oder Gebäude steht in der Mitte dieser Kreisanlage. Teamkollege Sébastien Guenneau vergleicht das mit russischen Schachtelpuppen: auch bei der Tarnkappe schachtelt sich ein Kreis in den nächsten.

    "Bei ihrer Ausbreitung stößt die seismische Oberflächenwelle auf den ersten Ring der Anlage. Und der interagiert mit einer bestimmten Frequenz dieser Welle, der Ring tritt in Resonanz. Dabei bewegt und verbiegt er sich wild hin und her, in alle Richtungen. Denken Sie sich ein Stück Papier, das man zusammenknüllt. Die seismische Welle folgt diesen Verrenkungen des Schutzrings mit der entsprechenden Frequenz. Und somit wird sie abgeleitet, um das zu schützende Objekt herum. In anderen Frequenzbereichen treten die Wellen tiefer in die Tarnkappe ein. Doch jeder Ring ist so gestaltet, dass er mit anderen Frequenzen der Oberflächenwelle in Resonanz tritt. Und sie umlenkt. Damit kontrollieren wir die Oberflächenwellen in einem breiten Frequenzbereich."

    Bei den optischen Tarnkappen stammen die Ringe aus dem Nano-Labor. Sie bestehen aus Metamaterialien, die in ihrer Zusammensetzung nicht in der Natur vorkommen. Für die ersten Laborexperimente, die die Väter der Erdbebentarnkappe nun vorschlagen, setzen sie auf Polymere. Doch bei der realen Umsetzung, meint Sébastien Guenneau, könnten die einzelnen Ringe sehr wohl aus natürlichen Baustoffen bestehen: aus Holz oder Tonerde beispielsweise. Oder auch aus Beton. Weil hier unterschiedliche Bausteine künstlich zusammengefügt werden, meint der Physiker, auch hierbei von Metamaterial sprechen zu können:

    "Bei unserer Idee ist es nicht nötig, die Baustoffe zu bearbeiten, Löcher zu bohren oder ihnen eine bestimmte Struktur zu geben. Beachtet werden muss bei den verschiedenen Ringen lediglich ein bestimmtes Verhältnis der Materialdichte. Die Baustoffe müssen aus Massivmaterial sein."

    Das neue Theoriemodell aus Marseille könnte auch Anwendung finden, um störende Vibrationen bei Autos oder in der Luftfahrt auszuschalten. Guenneau jedoch hofft vor allem, dass Entwickler von Bauprojekten in Erdbebenzonen sich die Formel für die Tarnkappe zueigen machten. Um so die einheimische Bevölkerung vor Erdbebenschäden zu schützen.