Es gibt auch Hinweise dafür, dass möglicherweise eine französische Reisegruppe gemeint worden war, ich glaube, dass es schon dem Attentäter und der hinter ihr stehenden Gruppierung darum ging, möglichst effektvoll, möglichst viele Menschen umzubringen.
Meint der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Peter Frisch. Ob nun tatsächlich Deutsche oder Franzosen gezielt getötet werden sollten, eines ist auf jeden Fall sicher: Die Spuren der Attentäter führen nach Deutschland. Nach dem Anschlag vom 11. September war schnell klar, dass einer der Rädelsführer von Deutschland aus alles akribisch für die Attacke auf das World Trade Center vorbereitet hatte – und das Entsetzen war groß. Mohammed Atta sei ein so genannter Schläfer gewesen. Jahrelang lebte er hier unauffällig und dann: Per Anruf zum Massenmord bereit. Und auch im Fall Djerba ist es wieder ein in Deutschland lebender, der offenbar eine wichtige Rolle spielte. Der Attentäter telefonierter kurz vor der Explosion des Tanklastwagens mit Christian G., bat um den Segen Allahs. Hartwig Möller, der Leiter des Nordhein-Westfälischen Amtes für Verfassungsschutz:
Das ist ein Deutscher mit einem polnischen Namen, also er ist ein Deutscher, und wir wissen, dass er Kontakte in die Szene zu den Kämpfern in Afghanistan hat und selber schon in Afghanistan gewesen sein muss. Und dass er dort ausgebildet worden ist und dort Kontakte in die Szene geknüpft hat um Osama bin Laden.
Christian G. war zum Islam konvertiert und hatte offenbar glänzende Kontakte zu den Terroristen. Die Ermittler vermuten, dass es zwischen ihm und dem Todespiloten Mohamed Atta eine indirekte Verbindung gab. Rund ein Dutzend Verdächtige wurden im Zusammenhang mit dem Attentat von Djerba in Deutschland vorläufig festgenommen. Akribisch wird nun versucht, aus den zahlreichen Spuren ein Bild zu zeichnen. Und die Sorge wächst, dass Deutschland zum Tatort werden könnte. Der Terrorismusexperte Walter Laqueur, vom Washingtoner Center for International Studies:
Hier gibt es 2 entgegengesetzte Interessen. Einerseits ist mein Eindruck, dass man in Deutschland so wenig wie möglich tun wollte. Deutschland war eine Art Sprungbrett, im englischen nennt man das "safe house", wo man sich verstecken und Aktionen planen konnte, ohne besonders von der Polizei belästigt zu werden. Andererseits ist es ja heute so, dass es in Deutschland Verhaftungen gegeben hat und man sich früher oder später bemühen wird, diese Leute wieder frei zu kriegen. Deshalb glaube ich, dass man keineswegs sicher sein kann, dass es nicht auch in Deutschland Anschläge geben kann und vor allen, dass man nicht auch Geiseln nehmen wird.
Zu diesen Festgenommenen gehören auch fünf Männer, die Ende vergangenen Jahres den Ermittlern ins Netz gingen. Offenbar wollten die mutmaßlichen Dschihad-Kämpfer in Straßburg einen Sprengstoffanschlag verüben. Der Prozess gegen die Männer hat vor kurzem in Frankfurt am Main begonnen: In der Woche, als auf Djerba die mörderische Explosion 19 Menschen in den Tod riss und exakt sieben Monate nach dem Anschlag auf das World Trade Center. Alles Zufall, oder ein ausgeklügelter Plan? Auf jeden Fall liegen die Nerven der deutschen Sicherheitsbehörden blank. Unlängst warnte das Bundeskriminalamt Polizei und Verfassungsschutz vor weiteren Anschlägen: Innerhalb von 20 Tagen müsse mit Selbstmordanschlägen in Deutschland gerechnet werden- diese Frist läuft Beginn kommender Woche aus. Konkrete Hinweise auf bestimmte Ziele gebe es allerdings nicht. In der vergangenen Woche wandten sich die Experten des Bundeskriminalamtes direkt an die Öffentlichkeit: Laut einem "unbestätigten Hinweis" würden islamistische Terroristen Selbstmordattentate oder Geiselnahmen in Europa planen. In diesem Fall gibt es immerhin eine vage Ortsbeschreibung: Passagierschiffe könnten mögliche Angriffsziele werden. Aber:
An der Glaubwürdigkeit dieser Informationen hat das Bundeskriminalamt in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst erhebliche Zweifel.
Doch wenn es "erhebliche Zweifel" gibt, warum wurde dann überhaupt gewarnt? Hartwig Möller:
Man steht dann vor der Wahl: Was mache ich mit so einem Hinweis? Unterdrücke ich ihn, verschweige ihn? Dann passiert doch etwas. Oder man sagt: Gut, ich setze ihn in die Welt, warne davor, sage aber gleichzeitig, wie ich ihn einschätze, realistisch bewerte, und so ist man hier vorgegangen. Und das ist wahrscheinlich das einzige Verfahren, das übrig bleibt, weil niemand die Verantwortung dafür übernehmen will einen Hinweis zu unterdrücken, der sich dann vielleicht, auch wenn es noch so unrealistisch erscheint, als realistisch entpuppt.
Und so bleibt viel Raum für Spekulationen und Mutmaßungen. Bis zu 30 einsatzbereite Attentäter könnten in Deutschland leben: Nur darauf wartend, den Marschbefehl zum Selbstmord zu bekommen:
Also solche Meldungen sind natürlich immer sehr vage und das sind Schätzungen die auf Grund rein statistischer Überlegungen stattfinden. man kann einfach ausrechnen, wie viele Personen sind durch die Ausbildungslager in Afghanistan, Pakistan gegangen, da werden zahlen genannt zwischen 50 und 70 Tausend und wenn man die dann in Verbindung bringt zur Anzahl der Muslime in Nordrhein-Westfalen oder Deutschland und wenn man die dann in Verbindung bringt zur Zahl der Muslime, die möglicherweise Gewalt antun wollen, dann kommt man natürlich zu rein statistischen Spekulationen. Das heißt noch lange nicht, dass man 30 Personen kennt, auf die diese Voraussetzungen zutreffen. Das sind also rein statistische Schätzungen, mit allen Ungewissheiten die eine statistische Schätzung hat, es kann stimmen, es muss nicht stimmen.
Auch wie viele Sympathisanten es in Deutschland für diese Art von Terror gibt, ist nicht bekannt. Wichtig sei aber, so Möller, zu differenzieren:
Wenn wir mal überlegen, dass wir in NRW 1,1 Millionen Muslime haben, um die Größenordnung klar zu machen, davon sind etwa 9000 Anhänger islamistischer Organisationen, davon sind aber mindestens 7.500 Anhänger von Milli Görüs, oder sonstigen Gruppen, die irgendwie mit Gewalt oder solchen Dingen absolut nichts zu tun haben, wenn ich die Differenz dann sehe, dann würde ich sagen, wir haben in NRW etwa 700 die Gewalt in ihren Herkunftsländern - und das muss man deutlich sagen, in ihren Herkunftsländern- unterstützen um vermeintlich unislamische Personenkreise zu stürzen. Und was da noch über bleibt, eine ganz geringe Teilmenge von denen könnte theoretisch bereit sind auch in Deutschland Gewaltaktionen vorzunehmen. Dazu muss man aber auch sagen, dass es keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.
Bei der Suche nach diesen konkreten "Anhaltspunkten" stoßen die Ermittler immer wieder auf einen Namen: Osama Bin Laden. Ob das Attentat von Djerba, oder die Bombenexplosion in Pakistan vorgestern – er scheint immer präsent. Bin Laden soll der mutmaßliche Drahtzieher des Anschlags auf das World Trade Center sein und er gilt als der Kopf des Al Kaida Netzwerkes. Seit dem 11. September suchen Geheimdienste weltweit nach dem Strippenzieher. In Afghanistan wurde er vermutet. Doch weder amerikanische Raketenangriffe noch der Einsatz von Spezialkräften nutzen bisher etwas: Bin Ladens Spur führt ins ungewisse. Zwar häuften sich die Meldungen, er würde gar nicht mehr leben – eine Leiche wurde aber nie gefunden. Walter Laqueur:
Was Bin Laden betrifft, da hat es leider eine Tendenz gegeben, die es leider häufig in den Medien gibt, der Personifizierung. Das stimmt eben nicht. Was stimmt ist, dass bin Laden am Anfang sehr wichtig war in den 90er Jahren, er hatte Geld, er war ein guter Organisator, aber inzwischen ist die ganze Sache ihm über den Kopf gewachsen.
Und der Druck auf Osama Bin Laden ist seit dem 11. September immer größer geworden: Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union ließen dutzendweise Konten einfrieren, von dessen Besitzern angenommen wird, dass sie die Al Kaida unterstützen. Wobei Experten einräumen, dass damit die Terrortruppe offenbar noch lange nicht mittellos ist. Aber sie sei immerhin geschwächt worden, räumt Laqueur ein. Deshalb rechnet er mit so gewaltigen Anschlägen, wie dem vom 11. September, mittelfristig nicht:
Natürlich ist es so, die Al Kaida ist versprengt, das heißt es gibt sie sehr wohl, die Mehrzahl der Mitglieder ist nicht gefangen, sie sind in der Defensive, sie halten sich versteckt, und wenn man im Versteck ist, dann kann man zwar Überleben aber viel tun kann man nicht. Deswegen würde ich sagen, die unmittelbare Gefahr von Al Kaida ist gebannt, und wenn es Gefahren gibt, dann sind die eher woanders zu suchen, im Nahen Osten, in Westeuropa, in diesen Ländern. Während gerade Al Kaida ist seit langer Zeit auf den Rückzug begriffen.
Die Al Kaida ist dabei keine homogene Gruppe. Eher ein zusammen gewürfelter "Kampfverband", der aber eines gemeinsam hat: Terror zu verbreiten, um alles zu vernichten, was sich in ihren Augen gegen den Islam richtet und dessen Einfluss bremsen könnte.
Al Kaida war im Grunde eine Koalition von fünf, sechs Gruppen der verschiedenen Länder: Pakistan, Ägypten und Bin Laden der eben aus Saudi Arabaien kam, aber um es noch einmal zu sagen: Es war eine lose Förderation gegen die Kreuzritter, gegen die Christen, die Juden, es war nicht so, dass man einzeln sich abstimmte, die Gruppen hatten ihre eigene Agenda, da war eben auch die eine oder andere Tat, von denen Bin Laden vermutlich wenig oder gar nichts wusste.
Denn diese Form des islamistischen Terrors sei eben nicht nur auf einige wenige Regionen beschränkt.
Sondern, dass es sich um eine Bewegung handelt, die über viele Länder verteilt ist: Europa, Asien, Afrika. Mann kann sozusagen von einer "Internationale" des Terrorismus reden. Denn bei dem islamischen Terrorismus handelt es sich um eine lose Förderation, es ist nicht so, dass irgendwo eine Führung sitzt, die morgen beschließt: Es passiert was in Frankreich oder in Ägypten. Die einzelnen Gruppen haben sehr viel Bewegungs- und Handelsfreiheit.
Doch selbst wenn Osama Bin Laden möglicherweise nicht immer direkt Kontakte zu anderen islamistischen Terrorgruppen pflegt, gehen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass sein Einfluss noch groß ist: Der ehemalige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch:
Er hat sicherlich dieser terroristischen Al Kaida Gruppe wesentliche Impulse gegeben, aber auch gleichzeitig Impulse gegeben den anderen Gruppen, anderen Gotteskämpfer-Zusammenkünften, die jetzt tätig werden. Die haben zum Teil direkte Beziehungen zu Bin Laden gehabt weil sie zu einem erheblichen Teil in den Ausbildungsstätten in den Lagern, in den Schulungscamps von Bin Laden ausgebildet worden sind. Ich weiß noch von früher her, dass man von elf entsprechenden Lagern alleine in Pakistan ausging und die haben sich dann auch so über die Welt verbreitet, von daher besteht noch einen Beziehung zu Osama bin Laden.
Generell aber gilt das Prinzip der Autonomie. Dies dürfte auch auf den Anschlag von Djerba zutreffen. Zu der Tat bekannte sich eine Terrorgruppe, deren geistiger Führer bis zu Jahresbeginn in London lebte. Seitdem haben die Fahnder seine Spur verloren: Er ist untergetaucht. Offenbar kannte er Bin Laden, behaupten die einen, er selber beteuerte das Gegenteil. In der Sache dürften sich die beiden aber einig sein: Der Kampf gegen das Böse, in Gestalt der Juden und des Westens. Offenbar völlig eigenständig bereiten sich die Selbstmordattentäter auf ihre Anschläge vor. Ein ähnliches Prinzip nutzte in den achtziger Jahren die Rote Armee Fraktion in Deutschland:
Wir kennen das gerade aus dem Bereich der palästinensischen Widerstandskämpfer, schon aus früheren Jahren, als die al Fatah noch das entscheidende war, galt absolutes Zellenprinzip auch hier in Deutschland. Es waren in einer Zelle vielleicht drei höchstens 5 Personen vereinigt, die nächste Zelle hatte auch entsprechende Zusammensetzung, man kannte sich von Zelle zu Zelle höchstens über eine Person, die die Verbindung aufhielt und was besonders schwierig war, ein Austritt aus diesen Zellen war immer nur durch Tod möglich, sei es der natürliche, oder sei es ein anderer.
Dieses Zellenprinzip macht es für die Sicherheitskräfte schier unmöglich eigene Leute einzuschleusen. Sie müssen über Jahre hinweg Kontakte aufbauen und pflegen, immer mit der Gefahr enttarnt und getötet zu werden: Nicht unbedingt ein typischer Beamtenjob für deutsche Sicherheitskräfte. Und auch die anderen Geheimdienste tun sich da schwer. Walter Laqueur:
Ja, die meisten von ihnen waren kaum in der Lage, allein aus sprachlichen Gründen, man hatte nicht genug Leute, die die Sprache verstanden, abgesehen vielleicht von den Franzosen, die waren in dieser Beziehung etwas besser. Bei den Franzosen gab es wieder ein anderes Problem. Sowohl die Franzosen als auch die Engländer haben nur beschränkt miteinander zusammen gearbeitet. Es konnte passieren, dass jemand der in England gesucht wurde und nach Frankreich floh, oder umgekehrt, und dass man dann keineswegs die Arbeit koordinierte. Das hat sich etwas gebessert, aber es gibt noch viel Raum zur Besserung.
Alte Rivalitäten werden auch durch neue Bedrohungen nicht so schnell vergessen. Und kein Geheimdienst auf der Welt neigt dazu, freigiebig mit seinen Informationen um zu gehen. Wer sein Wissen Preis gibt, erwartet in der Regel eine Gegenleistung. Wie schwierig es ist, diese eingefahrenen Wege zu verlassen, um die Geheimniskrämerei der Dienste wenigstens etwas einzuschränken, sah man erst vor kurzem in Deutschland: Im NPD-Parteiverbotsverfahren. Die Landesämter als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz schleusten Spitzel in die Reihen der NPD ein. Doch keiner wusste vom Tun des anderen. Selbst als die Karlsruher Verfassungsrichter mit der Faust auf den Tisch hauten, dauerte es noch Tage, bis sich die Verfassungsschützer dazu durch ringen konnten, ihre Karten mehr oder minder offen auf den Tisch zu legen. Wenn es allerdings schon innerhalb eines Landes Vorbehalte gegenüber den Geheimdienstkollegen gibt, dann bedarf es nicht viel Phantasie um sich auszumalen, wie bedeckt man sich gegenüber Diensten aus dem Ausland zeigt. Das zu ändern, könne eigentlich nur auf internationaler Ebene funktionieren. Und das will Antonio Vittorino auch umsetzen: Er ist der EU-Kommissar für Justiz und Inneres:
Ich glaube, ein ganz wichtiger Punkt ist es die Kooperation der Polizeien und die Zusammenarbeit der Geheimdienste zu verbessern. Daneben erfordert der Kampf gegen den Terrorismus das Verhindern terroristischer Aktivitäten, dazu muss man terroristische Gruppen identifizieren, Verdächtige ausmachen und beobachten, die mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden. Aber zur selben Zeit müssen wir auch garantieren, dass alles was getan wird in Übereinstimmung mit den Gesetzen geschieht, und mit dem Respekt vor den Rechten der Angeklagten.
Auf nationaler Ebene, in Deutschland, braucht es nach Meinung der Experten erst einmal keine neuen Gesetze oder Regelungen. Hartwig Möller:
Weitere Notwendigkeiten sehe ich im Moment nicht, die rechtlichen Notwendigkeiten sind gegeben, es geht mehr darum, dass wir gut ausgebildetes und ausreichendes Personal haben, daran wird gearbeitet.
Das bisherige Vorgehen in Deutschland hält auch der Terrorismusexperte Walter Laqueur für gut, eine grundsätzliche Entwarnung mag er aber nicht aussprechen.
Ich glaube schon die Tatsache, dass diese Leute offen nicht mehr aktiv sind, dass sie ihre Spuren verwischen müssen, dass sie zum Teil Deutschland verlassen haben und in Untergrundbedingungen leben müssen, und wie ich sagte, so kann man überleben, aber nicht viel tun. Insofern war die Strategie erfolgreich, aber man muss auch sagen, man braucht keine Massen für terroristische Anschläge, vier, fünf, sechs Leute genügen, und die werden sich immer finden.
Für die Sicherheitsbehörden bedeutet das ständige Alarmbereitschaft, ohne die Öffentlichkeit in Panik zu versetzen. Außerdem ist eine handfeste, akribische Spurensuche gefragt. Und gelegentlich sind die Fahnder auf etwas angewiesen, was sich ohnehin nicht gesetzlich vorschreiben lässt:
Und dann braucht man manchmal auch eben Glück, um jemanden zu finden, der sich so verhält wie die Personen, um die es hier geht.
Auf dieses Glück setzen aber auch die Terroristen. Anfang der 90er Jahre formulierte das die irische Untergrundorganisation IRA nach einem misslungenen Anschlag so:
Wir brauchen nur einmal Glück haben, unsere Feinde jedoch immer.
Meint der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Peter Frisch. Ob nun tatsächlich Deutsche oder Franzosen gezielt getötet werden sollten, eines ist auf jeden Fall sicher: Die Spuren der Attentäter führen nach Deutschland. Nach dem Anschlag vom 11. September war schnell klar, dass einer der Rädelsführer von Deutschland aus alles akribisch für die Attacke auf das World Trade Center vorbereitet hatte – und das Entsetzen war groß. Mohammed Atta sei ein so genannter Schläfer gewesen. Jahrelang lebte er hier unauffällig und dann: Per Anruf zum Massenmord bereit. Und auch im Fall Djerba ist es wieder ein in Deutschland lebender, der offenbar eine wichtige Rolle spielte. Der Attentäter telefonierter kurz vor der Explosion des Tanklastwagens mit Christian G., bat um den Segen Allahs. Hartwig Möller, der Leiter des Nordhein-Westfälischen Amtes für Verfassungsschutz:
Das ist ein Deutscher mit einem polnischen Namen, also er ist ein Deutscher, und wir wissen, dass er Kontakte in die Szene zu den Kämpfern in Afghanistan hat und selber schon in Afghanistan gewesen sein muss. Und dass er dort ausgebildet worden ist und dort Kontakte in die Szene geknüpft hat um Osama bin Laden.
Christian G. war zum Islam konvertiert und hatte offenbar glänzende Kontakte zu den Terroristen. Die Ermittler vermuten, dass es zwischen ihm und dem Todespiloten Mohamed Atta eine indirekte Verbindung gab. Rund ein Dutzend Verdächtige wurden im Zusammenhang mit dem Attentat von Djerba in Deutschland vorläufig festgenommen. Akribisch wird nun versucht, aus den zahlreichen Spuren ein Bild zu zeichnen. Und die Sorge wächst, dass Deutschland zum Tatort werden könnte. Der Terrorismusexperte Walter Laqueur, vom Washingtoner Center for International Studies:
Hier gibt es 2 entgegengesetzte Interessen. Einerseits ist mein Eindruck, dass man in Deutschland so wenig wie möglich tun wollte. Deutschland war eine Art Sprungbrett, im englischen nennt man das "safe house", wo man sich verstecken und Aktionen planen konnte, ohne besonders von der Polizei belästigt zu werden. Andererseits ist es ja heute so, dass es in Deutschland Verhaftungen gegeben hat und man sich früher oder später bemühen wird, diese Leute wieder frei zu kriegen. Deshalb glaube ich, dass man keineswegs sicher sein kann, dass es nicht auch in Deutschland Anschläge geben kann und vor allen, dass man nicht auch Geiseln nehmen wird.
Zu diesen Festgenommenen gehören auch fünf Männer, die Ende vergangenen Jahres den Ermittlern ins Netz gingen. Offenbar wollten die mutmaßlichen Dschihad-Kämpfer in Straßburg einen Sprengstoffanschlag verüben. Der Prozess gegen die Männer hat vor kurzem in Frankfurt am Main begonnen: In der Woche, als auf Djerba die mörderische Explosion 19 Menschen in den Tod riss und exakt sieben Monate nach dem Anschlag auf das World Trade Center. Alles Zufall, oder ein ausgeklügelter Plan? Auf jeden Fall liegen die Nerven der deutschen Sicherheitsbehörden blank. Unlängst warnte das Bundeskriminalamt Polizei und Verfassungsschutz vor weiteren Anschlägen: Innerhalb von 20 Tagen müsse mit Selbstmordanschlägen in Deutschland gerechnet werden- diese Frist läuft Beginn kommender Woche aus. Konkrete Hinweise auf bestimmte Ziele gebe es allerdings nicht. In der vergangenen Woche wandten sich die Experten des Bundeskriminalamtes direkt an die Öffentlichkeit: Laut einem "unbestätigten Hinweis" würden islamistische Terroristen Selbstmordattentate oder Geiselnahmen in Europa planen. In diesem Fall gibt es immerhin eine vage Ortsbeschreibung: Passagierschiffe könnten mögliche Angriffsziele werden. Aber:
An der Glaubwürdigkeit dieser Informationen hat das Bundeskriminalamt in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst erhebliche Zweifel.
Doch wenn es "erhebliche Zweifel" gibt, warum wurde dann überhaupt gewarnt? Hartwig Möller:
Man steht dann vor der Wahl: Was mache ich mit so einem Hinweis? Unterdrücke ich ihn, verschweige ihn? Dann passiert doch etwas. Oder man sagt: Gut, ich setze ihn in die Welt, warne davor, sage aber gleichzeitig, wie ich ihn einschätze, realistisch bewerte, und so ist man hier vorgegangen. Und das ist wahrscheinlich das einzige Verfahren, das übrig bleibt, weil niemand die Verantwortung dafür übernehmen will einen Hinweis zu unterdrücken, der sich dann vielleicht, auch wenn es noch so unrealistisch erscheint, als realistisch entpuppt.
Und so bleibt viel Raum für Spekulationen und Mutmaßungen. Bis zu 30 einsatzbereite Attentäter könnten in Deutschland leben: Nur darauf wartend, den Marschbefehl zum Selbstmord zu bekommen:
Also solche Meldungen sind natürlich immer sehr vage und das sind Schätzungen die auf Grund rein statistischer Überlegungen stattfinden. man kann einfach ausrechnen, wie viele Personen sind durch die Ausbildungslager in Afghanistan, Pakistan gegangen, da werden zahlen genannt zwischen 50 und 70 Tausend und wenn man die dann in Verbindung bringt zur Anzahl der Muslime in Nordrhein-Westfalen oder Deutschland und wenn man die dann in Verbindung bringt zur Zahl der Muslime, die möglicherweise Gewalt antun wollen, dann kommt man natürlich zu rein statistischen Spekulationen. Das heißt noch lange nicht, dass man 30 Personen kennt, auf die diese Voraussetzungen zutreffen. Das sind also rein statistische Schätzungen, mit allen Ungewissheiten die eine statistische Schätzung hat, es kann stimmen, es muss nicht stimmen.
Auch wie viele Sympathisanten es in Deutschland für diese Art von Terror gibt, ist nicht bekannt. Wichtig sei aber, so Möller, zu differenzieren:
Wenn wir mal überlegen, dass wir in NRW 1,1 Millionen Muslime haben, um die Größenordnung klar zu machen, davon sind etwa 9000 Anhänger islamistischer Organisationen, davon sind aber mindestens 7.500 Anhänger von Milli Görüs, oder sonstigen Gruppen, die irgendwie mit Gewalt oder solchen Dingen absolut nichts zu tun haben, wenn ich die Differenz dann sehe, dann würde ich sagen, wir haben in NRW etwa 700 die Gewalt in ihren Herkunftsländern - und das muss man deutlich sagen, in ihren Herkunftsländern- unterstützen um vermeintlich unislamische Personenkreise zu stürzen. Und was da noch über bleibt, eine ganz geringe Teilmenge von denen könnte theoretisch bereit sind auch in Deutschland Gewaltaktionen vorzunehmen. Dazu muss man aber auch sagen, dass es keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.
Bei der Suche nach diesen konkreten "Anhaltspunkten" stoßen die Ermittler immer wieder auf einen Namen: Osama Bin Laden. Ob das Attentat von Djerba, oder die Bombenexplosion in Pakistan vorgestern – er scheint immer präsent. Bin Laden soll der mutmaßliche Drahtzieher des Anschlags auf das World Trade Center sein und er gilt als der Kopf des Al Kaida Netzwerkes. Seit dem 11. September suchen Geheimdienste weltweit nach dem Strippenzieher. In Afghanistan wurde er vermutet. Doch weder amerikanische Raketenangriffe noch der Einsatz von Spezialkräften nutzen bisher etwas: Bin Ladens Spur führt ins ungewisse. Zwar häuften sich die Meldungen, er würde gar nicht mehr leben – eine Leiche wurde aber nie gefunden. Walter Laqueur:
Was Bin Laden betrifft, da hat es leider eine Tendenz gegeben, die es leider häufig in den Medien gibt, der Personifizierung. Das stimmt eben nicht. Was stimmt ist, dass bin Laden am Anfang sehr wichtig war in den 90er Jahren, er hatte Geld, er war ein guter Organisator, aber inzwischen ist die ganze Sache ihm über den Kopf gewachsen.
Und der Druck auf Osama Bin Laden ist seit dem 11. September immer größer geworden: Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union ließen dutzendweise Konten einfrieren, von dessen Besitzern angenommen wird, dass sie die Al Kaida unterstützen. Wobei Experten einräumen, dass damit die Terrortruppe offenbar noch lange nicht mittellos ist. Aber sie sei immerhin geschwächt worden, räumt Laqueur ein. Deshalb rechnet er mit so gewaltigen Anschlägen, wie dem vom 11. September, mittelfristig nicht:
Natürlich ist es so, die Al Kaida ist versprengt, das heißt es gibt sie sehr wohl, die Mehrzahl der Mitglieder ist nicht gefangen, sie sind in der Defensive, sie halten sich versteckt, und wenn man im Versteck ist, dann kann man zwar Überleben aber viel tun kann man nicht. Deswegen würde ich sagen, die unmittelbare Gefahr von Al Kaida ist gebannt, und wenn es Gefahren gibt, dann sind die eher woanders zu suchen, im Nahen Osten, in Westeuropa, in diesen Ländern. Während gerade Al Kaida ist seit langer Zeit auf den Rückzug begriffen.
Die Al Kaida ist dabei keine homogene Gruppe. Eher ein zusammen gewürfelter "Kampfverband", der aber eines gemeinsam hat: Terror zu verbreiten, um alles zu vernichten, was sich in ihren Augen gegen den Islam richtet und dessen Einfluss bremsen könnte.
Al Kaida war im Grunde eine Koalition von fünf, sechs Gruppen der verschiedenen Länder: Pakistan, Ägypten und Bin Laden der eben aus Saudi Arabaien kam, aber um es noch einmal zu sagen: Es war eine lose Förderation gegen die Kreuzritter, gegen die Christen, die Juden, es war nicht so, dass man einzeln sich abstimmte, die Gruppen hatten ihre eigene Agenda, da war eben auch die eine oder andere Tat, von denen Bin Laden vermutlich wenig oder gar nichts wusste.
Denn diese Form des islamistischen Terrors sei eben nicht nur auf einige wenige Regionen beschränkt.
Sondern, dass es sich um eine Bewegung handelt, die über viele Länder verteilt ist: Europa, Asien, Afrika. Mann kann sozusagen von einer "Internationale" des Terrorismus reden. Denn bei dem islamischen Terrorismus handelt es sich um eine lose Förderation, es ist nicht so, dass irgendwo eine Führung sitzt, die morgen beschließt: Es passiert was in Frankreich oder in Ägypten. Die einzelnen Gruppen haben sehr viel Bewegungs- und Handelsfreiheit.
Doch selbst wenn Osama Bin Laden möglicherweise nicht immer direkt Kontakte zu anderen islamistischen Terrorgruppen pflegt, gehen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass sein Einfluss noch groß ist: Der ehemalige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch:
Er hat sicherlich dieser terroristischen Al Kaida Gruppe wesentliche Impulse gegeben, aber auch gleichzeitig Impulse gegeben den anderen Gruppen, anderen Gotteskämpfer-Zusammenkünften, die jetzt tätig werden. Die haben zum Teil direkte Beziehungen zu Bin Laden gehabt weil sie zu einem erheblichen Teil in den Ausbildungsstätten in den Lagern, in den Schulungscamps von Bin Laden ausgebildet worden sind. Ich weiß noch von früher her, dass man von elf entsprechenden Lagern alleine in Pakistan ausging und die haben sich dann auch so über die Welt verbreitet, von daher besteht noch einen Beziehung zu Osama bin Laden.
Generell aber gilt das Prinzip der Autonomie. Dies dürfte auch auf den Anschlag von Djerba zutreffen. Zu der Tat bekannte sich eine Terrorgruppe, deren geistiger Führer bis zu Jahresbeginn in London lebte. Seitdem haben die Fahnder seine Spur verloren: Er ist untergetaucht. Offenbar kannte er Bin Laden, behaupten die einen, er selber beteuerte das Gegenteil. In der Sache dürften sich die beiden aber einig sein: Der Kampf gegen das Böse, in Gestalt der Juden und des Westens. Offenbar völlig eigenständig bereiten sich die Selbstmordattentäter auf ihre Anschläge vor. Ein ähnliches Prinzip nutzte in den achtziger Jahren die Rote Armee Fraktion in Deutschland:
Wir kennen das gerade aus dem Bereich der palästinensischen Widerstandskämpfer, schon aus früheren Jahren, als die al Fatah noch das entscheidende war, galt absolutes Zellenprinzip auch hier in Deutschland. Es waren in einer Zelle vielleicht drei höchstens 5 Personen vereinigt, die nächste Zelle hatte auch entsprechende Zusammensetzung, man kannte sich von Zelle zu Zelle höchstens über eine Person, die die Verbindung aufhielt und was besonders schwierig war, ein Austritt aus diesen Zellen war immer nur durch Tod möglich, sei es der natürliche, oder sei es ein anderer.
Dieses Zellenprinzip macht es für die Sicherheitskräfte schier unmöglich eigene Leute einzuschleusen. Sie müssen über Jahre hinweg Kontakte aufbauen und pflegen, immer mit der Gefahr enttarnt und getötet zu werden: Nicht unbedingt ein typischer Beamtenjob für deutsche Sicherheitskräfte. Und auch die anderen Geheimdienste tun sich da schwer. Walter Laqueur:
Ja, die meisten von ihnen waren kaum in der Lage, allein aus sprachlichen Gründen, man hatte nicht genug Leute, die die Sprache verstanden, abgesehen vielleicht von den Franzosen, die waren in dieser Beziehung etwas besser. Bei den Franzosen gab es wieder ein anderes Problem. Sowohl die Franzosen als auch die Engländer haben nur beschränkt miteinander zusammen gearbeitet. Es konnte passieren, dass jemand der in England gesucht wurde und nach Frankreich floh, oder umgekehrt, und dass man dann keineswegs die Arbeit koordinierte. Das hat sich etwas gebessert, aber es gibt noch viel Raum zur Besserung.
Alte Rivalitäten werden auch durch neue Bedrohungen nicht so schnell vergessen. Und kein Geheimdienst auf der Welt neigt dazu, freigiebig mit seinen Informationen um zu gehen. Wer sein Wissen Preis gibt, erwartet in der Regel eine Gegenleistung. Wie schwierig es ist, diese eingefahrenen Wege zu verlassen, um die Geheimniskrämerei der Dienste wenigstens etwas einzuschränken, sah man erst vor kurzem in Deutschland: Im NPD-Parteiverbotsverfahren. Die Landesämter als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz schleusten Spitzel in die Reihen der NPD ein. Doch keiner wusste vom Tun des anderen. Selbst als die Karlsruher Verfassungsrichter mit der Faust auf den Tisch hauten, dauerte es noch Tage, bis sich die Verfassungsschützer dazu durch ringen konnten, ihre Karten mehr oder minder offen auf den Tisch zu legen. Wenn es allerdings schon innerhalb eines Landes Vorbehalte gegenüber den Geheimdienstkollegen gibt, dann bedarf es nicht viel Phantasie um sich auszumalen, wie bedeckt man sich gegenüber Diensten aus dem Ausland zeigt. Das zu ändern, könne eigentlich nur auf internationaler Ebene funktionieren. Und das will Antonio Vittorino auch umsetzen: Er ist der EU-Kommissar für Justiz und Inneres:
Ich glaube, ein ganz wichtiger Punkt ist es die Kooperation der Polizeien und die Zusammenarbeit der Geheimdienste zu verbessern. Daneben erfordert der Kampf gegen den Terrorismus das Verhindern terroristischer Aktivitäten, dazu muss man terroristische Gruppen identifizieren, Verdächtige ausmachen und beobachten, die mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden. Aber zur selben Zeit müssen wir auch garantieren, dass alles was getan wird in Übereinstimmung mit den Gesetzen geschieht, und mit dem Respekt vor den Rechten der Angeklagten.
Auf nationaler Ebene, in Deutschland, braucht es nach Meinung der Experten erst einmal keine neuen Gesetze oder Regelungen. Hartwig Möller:
Weitere Notwendigkeiten sehe ich im Moment nicht, die rechtlichen Notwendigkeiten sind gegeben, es geht mehr darum, dass wir gut ausgebildetes und ausreichendes Personal haben, daran wird gearbeitet.
Das bisherige Vorgehen in Deutschland hält auch der Terrorismusexperte Walter Laqueur für gut, eine grundsätzliche Entwarnung mag er aber nicht aussprechen.
Ich glaube schon die Tatsache, dass diese Leute offen nicht mehr aktiv sind, dass sie ihre Spuren verwischen müssen, dass sie zum Teil Deutschland verlassen haben und in Untergrundbedingungen leben müssen, und wie ich sagte, so kann man überleben, aber nicht viel tun. Insofern war die Strategie erfolgreich, aber man muss auch sagen, man braucht keine Massen für terroristische Anschläge, vier, fünf, sechs Leute genügen, und die werden sich immer finden.
Für die Sicherheitsbehörden bedeutet das ständige Alarmbereitschaft, ohne die Öffentlichkeit in Panik zu versetzen. Außerdem ist eine handfeste, akribische Spurensuche gefragt. Und gelegentlich sind die Fahnder auf etwas angewiesen, was sich ohnehin nicht gesetzlich vorschreiben lässt:
Und dann braucht man manchmal auch eben Glück, um jemanden zu finden, der sich so verhält wie die Personen, um die es hier geht.
Auf dieses Glück setzen aber auch die Terroristen. Anfang der 90er Jahre formulierte das die irische Untergrundorganisation IRA nach einem misslungenen Anschlag so:
Wir brauchen nur einmal Glück haben, unsere Feinde jedoch immer.