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Tatort in 3D

Informationstechnologie. - In der Konstruktion oder in der Unterhaltungsbranche gehört die dritte Dimension in der virtuellen Realität längst zum Standardrepertoire. Seit kurzen nutzt auch die italienische Polizei Computer, um Tatorte von Gewaltverbrechen dreidimensional nachzubilden.

Von Ralf Krauter |
    Kommissar "Computer" hilft den Ermittlern.
    Kommissar "Computer" hilft den Ermittlern. (Stock.XCHNG / Nate Nolting)
    Die Leiche liegt vor dem Schreibtisch. In der Stirn klafft ein Loch. Das Fenster steht offen. Woher kam der Schuss? Ein Fall für die Spurensicherung: Die Beamten vermessen die Lage des Opfers, analysieren Blutflecken und Einschusslöcher. Doch manchmal genügt diese akribische Dokumentation aller Indizien nicht, um den Tathergang zu rekonstruieren - weshalb die Ermittler der italienischen Staatspolizei dann Kommissar Computer zu Rate ziehen.

    "Computergrafik ist sehr hilfreich dabei, Ermittlern, Staatsanwälten und Richtern zu veranschaulichen, wie genau der Tatort zum Zeitpunkt eines Mordes aussah."

    Dottore Francesco Camana ist Forensiker und arbeitet für eine römische Spezialeinheit zur Analyse von Gewaltverbrechen. Seine Werkzeuge sind Hightech und Hochleistungsrechner. Auf einen zwei mal sechs Meter großen Bildschirm projizieren die italienischen Ermittler mit drei Projektoren ein computergeneriertes Abbild des Tatortes. Die meisten Zeugen, sagt der Physiker Camana, seien verblüfft, wie realistisch die virtuelle Nachbildung sei.

    "Wir vermessen den Tatort mit Laserscannern. Diese Geräte liefern eine Punktwolke, die typischerweise aus 500.000 Messwerten besteht. Diese Daten werden dann in einen Computer gefüttert, der daraus eine räumliches Modell errechnet. Wir machen also eine sehr präzise Tatortanalyse und werten die gewonnen Informationen graphisch aus."

    Damit der virtuelle Verbrechensschauplatz möglichst realistisch aussieht, machen die Ermittler außerdem digitale Fotos aller relevanten Objekte.

    "Diese Bilder verwenden wir, um alle Texturen realistisch wieder zu geben - also die Haarfarbe und das Gesicht des Opfers, ein Gemälde an der Wand, der Blick aus dem Fenster, die Farbe der Tapeten und Möbel."

    Ein Gigabyte an Daten fließt typischerweise in die 3D-Nachbildung ein. Aufgrund des enormen Rechenaufwandes vergehen Tage, bis das Bild erstmals auf den riesigen Schirm projiziert werden kann. Da dieser von hinten beleuchtet wird, können Ermittler und Zeugen beliebig nahe davor herumlaufen, ohne störende Schatten zu werfen - eine Erfahrung, die schon manchem Zeugen längst vergessen geglaubte Details des Tathergangs wieder in Erinnerung rief. Das Hauptziel der italienischen Forensiker ist aber, herauszufinden, welchem Zeugen sie glauben können. Da der Computer den Tatort auf Knopfdruck aus verschiedenen Perspektiven zeigen kann, sind sie erstaunlich erfolgreich dabei, wie zum Beispiel die Aufklärung eines Polizistenmordes in Sizilien beweist. Der Beamte war in seinem Streifenwagen erschossen worden, aus einem vorbeifahrenden Auto.

    "Wir haben alle Einschlusslöcher grafisch dargestellt, die Flugbahn der Projektile rekonstruiert und die Bewegung des Wagens während der Schießerei ermittelt. Durch die räumliche Darstellung all dieser Informationen konnten wir besser bewerten, wie glaubwürdig die Zeugenaussagen sind. Es gab verschiedene Zeugen, die Verschiedenes gesehen haben wollten. Nur einer von ihnen sagte die Wahrheit. Und das System hat geholfen, herauszufinden, welcher das war."

    Der Erfolg der Ermittler in Rom hat sich herumgesprochen. Kommende Woche haben sich eine Reihe europäischer Fahnder zu Besuch im italienischen Hightech-Labor angemeldet.