War es ein politischer Mord oder hatten Geheimbünde ihre Hand im Spiel? Sollte angeklagt oder etwas verschlüsselt werden? Das sind Fragen zur Interpretation der "Geißelung Christi". Piero della Francesca hat dieses außergewöhnliche Werk der italienischen Renaissance, das heute im Palazzo Ducale von Urbino hängt, um 1452 gemalt. Es zeigt auf der linken Hälfte im Hintergrund die Szene der Geißelung, die ihm den Namen gegeben hat. Im Vordergrund stehen auf der rechten Seite drei geheimnisvolle Personen: ein Mann mit Bart, ein barfüßiger blonder Jüngling und ein Mann im blauen Brokatmantel. Wer sind sie? Warum hat Piero sie hier so gemalt?
"Es ist der interessante Fall, dass dieses unglaublich schöne, faszinierende Bild gut 40 unterschiedliche Thesen provoziert hat. Manche können sich miteinander in Deckung bringen lassen, aber seine und meine widersprechen sich total. Entweder er hat recht oder ich."
Der Zeithistoriker Bernd Roeck unterrichtet an der Universität Zürich. Er hat vor zwei Jahren ein Buch vorgelegt, in dem er die These vertritt, Piero della Francesca wollte uns mit diesem Bild die Geschichte eines Mordfalls erzählen. Durch die Tötung seines Halbbruder Oddantonio fiel nämlich Federico da Montefeltro die Macht über das Herzogtum Urbino zu. Im jungen blonden Mann erkennt Roeck Oddantonio, das Opfer der Tat.
"Es tut mir leid für Roeck, aber seine These ist nicht haltbar. Sie basiert auf einem historisch fragwürdigen Bildvergleich, um den blonden Jüngling zu identifizieren."
Silio Bozzi hat jetzt auf einer Tagung des Deutschen Studienzentrums in Venedig seine Deutung der "Geißelung" vorgestellt. Sie geht, ganz anders als die von Bernd Roeck, von einem esoterischen Hintergrund in der Renaissance aus. Danach handelt es sich um eine Art Initiationsritus für einen neuplatonischen Geheimbund. Im Jüngling will Bozzi den Humanisten und Neuplatoniker Marsilio Ficino erkennen.
"Es hängt die gesamte These an der Identifikation dieses barfüßigen jungen Mannes mit einem Humanisten, über dessen Aussehen es recht widersprüchliche Bilder in den Miniaturen gibt, die er uns gezeigt hat. Wenn man diese Identifikation wegnimmt, bricht alles zusammen."
Der venezianische Disput zwischen Bernd Roeck und Silio Bozzi geht über den gewöhnlich wissenschaftlichen Rahmen hinaus. Denn der Italiener ist weder Zeit- noch Kunsthistoriker. Silio Bozzi ist ein Polizist, stellvertretender Polizeipräsident von Ancona und Leiter des Erkennungsdienstes. Drei Jahre haben er und seine Mitarbeiter mit erkennungsdienstlichen Methoden das Werk von Piero della Francesca untersucht.
"Ich habe eine multidisziplinäre Gruppe aus Medizinern wie Schönheitschirurgen, Andrologen und Hautärzten sowie aus Bautechnikern, Ingenieuren, Mathematikern zusammengestellt. Alle haben sich mit Begeisterung um den theoretischen Kern gruppiert. Wie Einstein sagt, ist es die Theorie, die uns zeigt, was wir beobachten sollen."
Zum Beispiel das Gesicht des Jünglings, das Bozzi von seinen Experten wie ein Phantombild bearbeiten ließ, um die Person älter dazustellen. Das Phantombild des so "greisen" Blonden ähnelt jetzt auf frappierende Weise bekannten Darstellungen des Humanisten Ficino im Alter. Hat Bozzi also recht mit seiner These? Oder doch der Zeitgeschichtler Roeck, der sich vor allem auf Textdokumente stützt? Kunsthistoriker bleiben merkwürdig am Rand der Debatte. Sie geben zu bedenken, dass Piero in diesem Bild, das voller überraschender Perspektiven wie ein Lehrbuch der Maltechnik wirkt, vielleicht überhaupt keine konkreten Porträts schaffen wollte. Gerhard Wolf, der Leiter des Kunsthistorischen Instituts von Florenz, war unter den Diskutanten auf der Tagung in Venedig.
"Was bedeutet diese Bildfindung? Da müssen wir ansetzen. Und da sind wir dabei, Thesen zu entwickeln, die ein breiteres Publikum offenbar nicht so spektakulär sind, wie wenn ich ein Spotlight werfe auf eines der Gesichter und mich frage, wer war es denn. Ist es eine Mordgeschichte? Ist es das Ende eines Imperiums? Die Frage ist vielleicht, wie kann die Kunstgeschichte mit ihren Forschungsmethoden auch für ein breiteres Publikum interessant und attraktiv sein, ohne sich eines kriminalistischen Spiels verschreiben zu müssen, das manchmal ja auch seriös sein kann."
Das Rätsel um die Deutung der Geißelung von Piero della Francesca haben die Untersuchungen des Polizisten aus Ancona vielleicht nicht endgültig lösen können. Aber sie haben die Debatte – auch die über kunsthistorische Methoden – auf jeden Fall bereichert.
"Es ist der interessante Fall, dass dieses unglaublich schöne, faszinierende Bild gut 40 unterschiedliche Thesen provoziert hat. Manche können sich miteinander in Deckung bringen lassen, aber seine und meine widersprechen sich total. Entweder er hat recht oder ich."
Der Zeithistoriker Bernd Roeck unterrichtet an der Universität Zürich. Er hat vor zwei Jahren ein Buch vorgelegt, in dem er die These vertritt, Piero della Francesca wollte uns mit diesem Bild die Geschichte eines Mordfalls erzählen. Durch die Tötung seines Halbbruder Oddantonio fiel nämlich Federico da Montefeltro die Macht über das Herzogtum Urbino zu. Im jungen blonden Mann erkennt Roeck Oddantonio, das Opfer der Tat.
"Es tut mir leid für Roeck, aber seine These ist nicht haltbar. Sie basiert auf einem historisch fragwürdigen Bildvergleich, um den blonden Jüngling zu identifizieren."
Silio Bozzi hat jetzt auf einer Tagung des Deutschen Studienzentrums in Venedig seine Deutung der "Geißelung" vorgestellt. Sie geht, ganz anders als die von Bernd Roeck, von einem esoterischen Hintergrund in der Renaissance aus. Danach handelt es sich um eine Art Initiationsritus für einen neuplatonischen Geheimbund. Im Jüngling will Bozzi den Humanisten und Neuplatoniker Marsilio Ficino erkennen.
"Es hängt die gesamte These an der Identifikation dieses barfüßigen jungen Mannes mit einem Humanisten, über dessen Aussehen es recht widersprüchliche Bilder in den Miniaturen gibt, die er uns gezeigt hat. Wenn man diese Identifikation wegnimmt, bricht alles zusammen."
Der venezianische Disput zwischen Bernd Roeck und Silio Bozzi geht über den gewöhnlich wissenschaftlichen Rahmen hinaus. Denn der Italiener ist weder Zeit- noch Kunsthistoriker. Silio Bozzi ist ein Polizist, stellvertretender Polizeipräsident von Ancona und Leiter des Erkennungsdienstes. Drei Jahre haben er und seine Mitarbeiter mit erkennungsdienstlichen Methoden das Werk von Piero della Francesca untersucht.
"Ich habe eine multidisziplinäre Gruppe aus Medizinern wie Schönheitschirurgen, Andrologen und Hautärzten sowie aus Bautechnikern, Ingenieuren, Mathematikern zusammengestellt. Alle haben sich mit Begeisterung um den theoretischen Kern gruppiert. Wie Einstein sagt, ist es die Theorie, die uns zeigt, was wir beobachten sollen."
Zum Beispiel das Gesicht des Jünglings, das Bozzi von seinen Experten wie ein Phantombild bearbeiten ließ, um die Person älter dazustellen. Das Phantombild des so "greisen" Blonden ähnelt jetzt auf frappierende Weise bekannten Darstellungen des Humanisten Ficino im Alter. Hat Bozzi also recht mit seiner These? Oder doch der Zeitgeschichtler Roeck, der sich vor allem auf Textdokumente stützt? Kunsthistoriker bleiben merkwürdig am Rand der Debatte. Sie geben zu bedenken, dass Piero in diesem Bild, das voller überraschender Perspektiven wie ein Lehrbuch der Maltechnik wirkt, vielleicht überhaupt keine konkreten Porträts schaffen wollte. Gerhard Wolf, der Leiter des Kunsthistorischen Instituts von Florenz, war unter den Diskutanten auf der Tagung in Venedig.
"Was bedeutet diese Bildfindung? Da müssen wir ansetzen. Und da sind wir dabei, Thesen zu entwickeln, die ein breiteres Publikum offenbar nicht so spektakulär sind, wie wenn ich ein Spotlight werfe auf eines der Gesichter und mich frage, wer war es denn. Ist es eine Mordgeschichte? Ist es das Ende eines Imperiums? Die Frage ist vielleicht, wie kann die Kunstgeschichte mit ihren Forschungsmethoden auch für ein breiteres Publikum interessant und attraktiv sein, ohne sich eines kriminalistischen Spiels verschreiben zu müssen, das manchmal ja auch seriös sein kann."
Das Rätsel um die Deutung der Geißelung von Piero della Francesca haben die Untersuchungen des Polizisten aus Ancona vielleicht nicht endgültig lösen können. Aber sie haben die Debatte – auch die über kunsthistorische Methoden – auf jeden Fall bereichert.