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Tatsachenbericht und Wirtschaftskrimi

Sie agieren verschwiegen und mit skandalösen Praktiken: die internationalen Rohstoffkonzerne. Welche Rolle die Schweiz als Drehscheibe ihres skrupellosen Geschäfts spielt, zeigt die Nichtregierungsorganisation "Erklärung von Bern" in dem Buch "Rohstoff. Das gefährlichste Geschäft der Schweiz".

Von Oliver Ramme | 20.02.2012
    Dieses Buch ist ein Tatsachenbericht über eine mächtige und mindestens genauso verschwiegene Branche. Genauer gesagt ist es ein Wirtschaftskrimi: Tatort: die Schweiz – mit ihrem Geflecht aus international operierenden Rohstoffhändlern und Minenkonzernen. Die Nichtregierungsorganisation "Erklärung von Bern" zeichnet hier über 400 Seiten ein riskantes, ein skrupelloses und vor allem ein mächtiges Geschäft nach. Denn:

    Von drei Litern Erdöl, die auf dem Weltmarkt verkauft werden, wird einer über die Schweiz gehandelt.

    Bemerkenswert ist dabei: In der Schweiz werden die Verträge geschlossen, aber außer im Sonderfall Gold, berührt keiner der Rohstoffe je Schweizer Boden. Die globale Marktmacht der Eidgenossen in Sachen Rohstoffe hat selbst die Autoren überrascht. Ein halbes Dutzend, darunter Oliver Claasen, haben zwei Jahre recherchiert.

    "Wir wussten nicht zu dem Zeitpunkt, dass gut die Hälfte der Top Ten Unternehmen in der Schweiz nach Umsätzen Rohstoffunternehmen sind. Die sind in der Regel privat gehalten, deswegen war auch keine dieser Zahlen öffentlich zugänglich, selbst in den Rankings tauchten diese Firmen nicht auf. Bei der Rohstoffbranche ist es gelinde gesagt paradox, dass ausgerechnet die Branche die sicherstellen soll, dass unsere Industrie mit Grundstoffen versorgt wird, dass über diese Branche auch in der Politik so gut wie nichts bekannt ist."

    Das alleine ist nicht strafbar. Bevor aber die Machenschaften von weitestgehend unbekannten, aber dennoch milliardenschweren Konzernen wie Glencore, Trafigura, Xstrata oder Viola durchleuchtet werden, gestatten uns die Autoren mit Hilfe von verständlichen Grafiken und übersichtlichen Tabellen Einblick in die globale Bedeutung des Rohstoffhandels. Überhaupt ist das Buch hervorragend layoutet. Fachtermini und Zusammenhänge des Rohstoffhandels werden verständlich erklärt. Der Handel boomt schon deshalb, weil immer mehr Schwellenländer am Fortschritt teilhaben wollen. Mitten drin das rohstoffarme Binnenland Schweiz. Nur warum?

    Verbrämt als "Neutralität" hat die bis 2002 andauernde UNO-Abstinenz in der Schweiz ansässigen Konzernen jede Menge lasche, aber umso lukrativere Geschäftsgelegenheiten beschert. Den Aufstieg der Rohstoffhandelszentren Zug und Genf ermöglicht hat auch deren äußerst mildes Steuerklima sowie ein gesellschaftlicher Hang zu viel Diskretion und wenig Regulierung und Kontrolle. Kurzum: Die Rohstoffdrehscheibe Schweiz war zwar keineswegs geplant, aber sie ist trotzdem kein Zufall.

    Auch weil die Schweiz schon seit Jahrhunderten Erfahrung hat im weltweiten Handel. So war einer der ersten international gehandelten Rohstoffe der Schweiz die Ware Mensch: Sklaven und Söldner. Das Buch behandelt aber hauptsächlich das Hier und Jetzt der Schweiz und ihre Rolle als Rohstoffdrehscheibe.

    "Da geht es maßgeblich auch um die Konstruktion von solchen Firmen, da sind diese Konzerne mit Hauptsitz in der Schweiz Vorreiter, wie man aus Firmen Konstruktionen größte mögliche Vorteile auf allen Ebenen zieht, zum Beispiel bei der Versteuerung aber eben auch bei der juristischen Angreifbarkeit – welche Firmen meint man eigentlich, wenn man sie verklagt?"

    Der angeblich größte unabhängige Erdölhändler der Welt ist Vitol – mit Sitz am Genfer See.

    Organisatorisch und juristisch ist Vitol eine komplexe Konstruktion ineinander verschachtelter Holdinggesellschaften. Die Genfer Vitol SA, die mit Erdöl und seit August 2010 auch mit Erdgas und Strom handelt, beschäftigt gerade mal 170 der weltweit insgesamt 1578 Mitarbeitenden (Stand 2009), ist aber für die Finanzierung sämtlicher Geschäftsvorgänge des Konzerns zuständig. Sie gehört vollständig der Genfer Vitol Holding Sàrl, deren hundertprozentige Eigentümerin wiederum die in Rotterdam ansässige Vitol Holding BV ist. Diese ist ihrerseits im Besitz der luxemburgischen Vitol Holding II SA, deren Anteile die erwähnten 200 Topkaderleute unter sich aufteilen, genau wie die Milliardengewinne, die Vitol regelmäßig erwirtschaftet.

    Die beschriebenen Konzerne arbeiten verschwiegen, juristisch kaum angreifbar und vor allem in der Dritten Welt mit skandalösen Praktiken. Die beklemmende Erfahrung während der Lektüre ist, dass all diese Firmen weitestgehend unbekannt, aber enorm systemrelevant sind. Besonderes Augenmerk der Autoren gilt auch dem größten Schweizer Minen- und Handelskonzern Glencore, denn dieser erfährt von den Machenschaften Gelncores in Sambia. Kupfer wird dort unter anderem durch die Firma Mopani abgebaut. Bemerkenswert ist…

    …dass über die Hälfte des sambischen Kupfers in die Schweiz exportiert wird. Das Land kauft acht Mal mehr sambisches Kupfer als China und sei damit der größte Kupferverbraucher der Welt. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Mopani gehört Glencore.

    Firmenintern wird das Metall zu Spottpreisen verkauft, um den sambischen Fiskus zu umgehen. In Sambia bleiben leere Staatskassen und verseuchte Landschaften zurück.

    "Es war von Anfang an klar, dass wir mit diesem Buch als Produkt in den Mainstream wollen und auch müssen, um dieses Thema zu platzieren wo es hingehört, nämlich auf die politische Agenda vor allem in der Schweiz. Dazu braucht es eine entsprechende ansprechende Erscheinung. Es muss einfach gut lesbar sein und allgemein verständlich sein und muss die Kerninformationen visuell aufbereiten."

    Und das ist der Erklärung von Bern gelungen. Das Buch "Rohstoff – das gefährlichste Geschäft der Schweiz" ist reportagehaft geschrieben und zielt nicht nur auf Leser, die sich beruflich mit Rohstoffhandel auseinandersetzten. Es lässt tief blicken in skrupelloses Geschäftsgebaren, in Abgründe wirtschaftlichen Handelns ohne Gewissen. In der Schweiz haben die Recherchen bereits zu vielen Diskussionen geführt. Das ist verständlich, denn "Rohstoff – das gefährlichste Geschäft der Schweiz" ist ein - leider - sehr realer Wirtschaftskrimi.

    Erklärung von Bern (Hrsg.): Rohstoff. Das gefährlichste Geschäft der Schweiz.
    Salis Verlag, 434 Seiten, 24,90 Euro