Archiv


Tauben oder Falken?

Noch nie war ein israelischer Premier so glücklos und so unbeliebt wie Ehud Olmert. Seine Amtszeit ist eingerahmt von erfolglosen Kriegen und überschattet von Korruptionsvorwürfen. Doch bei den vorgezogenen Neuwahlen am 10. Februar wollen nur wenige Israelis ihre Stimme abgeben. Und die extreme Zersplitterung der Parteienlandschaft macht es schwer, eine stabile Regierung zu bilden.

Von Sebastian Engelbrecht und Bettina Marx |
    Ein Volk will seinen Ministerpräsidenten loswerden. Noch nie war ein israelischer Premier so glücklos und so unbeliebt wie Ehud Olmert, und selten hat einer so wenig vorangebracht wie er. Seine Amtszeit ist eingerahmt von erfolglosen Kriegen und überschattet von Korruptionsvorwürfen.

    Im April 2006, vor fast drei Jahren, wählte Israel den Kronprinzen der Kadima-Partei ins Amt. Olmert trat die Nachfolge von Ariel Scharon an, der im Januar nach einem Schlaganfall ins Koma gefallen war.

    Das Volk versagte Olmert den Respekt - nicht nur wegen des verlorenen Libanon-Krieges. Schon vor Amtsantritt galt der Premier als korrupt. Als Handels- und Industrieminister soll er Freunden zu Posten verholfen haben. Und unter dubiosen Umständen kaufte er ein Haus in einem Jerusalemer Villenviertel - zu einem auffällig günstigen Preis.

    Olmerts Korruptionsaffären füllen meterweise Regale - bei der Staatsanwaltschaft und bei Aryeh Avnery, einem unabhängigen Journalisten und Korruptionsexperten. Avnery hat Olmert über Jahrzehnte beobachtet - in dessen Funktionen als Knesset-Abgeordneter, Bürgermeister von Jerusalem, als Handels- und Industrieminister und schließlich als Ministerpräsident.

    "Er ist in meinen Augen ein gutes Beispiel für jemand, der während seines Öffentlichkeitsdienstes immer reicher wurde und zum Millionär geworden ist. Er hat nie aufgegeben. In den 40 Jahren, die ich ihn nun kenne, hat er mit unterschiedlichen Funktionen, beispielsweise als Abgeordneter, eher die Rolle eines Immobilienmaklers ausgeübt als die eines Abgeordneten. Alle möglichen Leute haben ihn im Parlament besucht, um Geschäfte abzuwickeln. Darüber schreibe ich auch in meinem Buch."

    Immer wieder gelang es dem Regierungschef und seinen Anwälten, die Vorwürfe zu zerstreuen und Krisen im Amt auszusitzen. Am 27. Mai 2008 aber erschien der amerikanische Geschäftsmann Morris "Moshe" Talansky vor dem Jerusalemer Bezirksgericht.

    Talansky belastete Olmert schwer. Er bestätigte, Olmert habe Spenden von ihm erhalten - schon seit Anfang der 90er Jahre.

    "Er war der Prinz des Likud, er sollte Bürgermeister werden, er war ein Mann, er genoß Respekt. Ich habe ihn respektiert wie jeder andere auch. (Er nuschelt.) Ja, wir haben ihm geholfen. Ich nehme an, er hat es für seinen Wahlkampf verwendet."

    Wofür Olmert die Spenden des US-Millionärs verwendete, ist bis heute nicht geklärt. Belegt ist, daß Olmert hundertttausende Dollar illegal annahm. Talansky sagte vor Gericht aus, der ehemalige Likud-Politiker habe den Luxus geliebt: Erste-Klasse-Flugreisen, teure Zigarren, Uhren und Federhalter. Einen Tag nach Talanskys Aussage vor Gericht forderte Olmerts Koalitionspartner, Verteidigungsminister Barak, den Rücktritt des Ministerpräsidenten.

    Gleichwohl blieben Barak und seine Arbeitspartei in der Koalition, nur unter der Bedingung, dass die Kadima-Partei einen neuen Vorsitzenden wählt. Olmerts jähes Ende als Ministerpräsident schien besiegelt.

    Mit jedem Polizeiverhör häuften sich die Indizien gegen Olmert. Zur Korruptionsaffäre kam der Betrugsvorwurf: Der Ministerpräsident soll Dienstreisen doppelt und dreifach abgerechnet haben. Mit dem illegalen Gewinn finanzierte er Privatreisen, so der Verdacht der ermittelnden Behörden. Am 30. Juli vergangenen Jahres zog der Ministerpräsident die Konsequenz.

    "Als Bürger eines demokratischen Staates habe ich immer geglaubt, dass, wenn jemand zum Ministerpräsidenten in Israel gewählt wurde, es dann die Pflicht aller ist, selbst derjenigen, die gegen ihn gestimmt haben, seinen Erfolg zu wollen. Dieses grundlegende Vertrauen habe ich nicht erhalten."

    Aber Olmert blieb im Amt. Er unterzog sich regelmäßig den Verhören durch die Polizei. Im Oktober scheiterte die neue Kadima-Vorsitzende Livni bei dem Versuch, eine Regierung zu bilden an den Forderungen der religiösen Shas-Partei. Anschließend waren sich die Knesset-Fraktionen einig und beschlossen Neuwahlen am 10. Februar - ein Jahr vor Ablauf der Legislaturperiode.

    "Ich werde nicht wählen gehen. Ich gehe lieber schlafen. Ehrlich gesagt, fast mein gesamter Freundeskreis bleibt zuhause. Man spielt lieber auf der Playstation oder kümmert sich um die Ehefrau."
    "Ich will nicht ein Teil dieses Systems sein, das sind doch alles Lügner. Und wir können da eh nichts ausrichten."
    "Die Leute wollen nicht zur Wahl gehen. Sie wollen nicht Teil dieser ganzen Korruption sein und dieser Situation jetzt, nach dem Krieg. Die meisten, die ich kenne, wählen nicht, weil es sie nicht interessiert, weil sie keine Zeit haben und weil sie das Gefühl haben, dass sie ohnehin keinen Einfluss haben."

    Stimmen israelischer Wähler eine Woche vor der Wahl. Viele werden diesmal den Wahlurnen fern bleiben. Dabei gibt es eigentlich keinen Grund, in Israel nicht zur Wahl zu gehen. Denn bei der Fülle von Parteien, die sich zur Wahl stellen, müsste für jeden etwas dabei sein.

    Es gibt religiöse und weltliche Parteien, rechte und linke, eine Rentner- und eine Jugendpartei, mehrere grüne Parteien und eine Partei, die sich dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen verschreiben will. Einem Dutzend von ihnen dürfte den Sprung ins Parlament gelingen.

    Die extreme Zersplitterung der Parteienlandschaft macht es schwer, eine stabile Regierung zu bilden, sagt der Jerusalemer Politikwissenschaftler Shlomo Avinery:

    "Zehn oder zwölf Parteien in der Knesset, das ist an sich nichts Verwerfliches. Aber, wir haben bei den letzten Wahlen gesehen, dass die Leute das Gefühl haben, dass die existierenden Parteien sie nicht wirklich repräsentieren. Und so tauchen dauernd neue Parteien auf, von denen wir vorher noch nichts gehört haben und deren Repräsentanten wir auch nicht kennen. Das macht das Regieren schwer.

    Im Staat Israel, mit seinem Verhältniswahlrecht und seiner zersplitterten Gesellschaft, ist es wichtig, dass es ein, zwei große Blöcke gibt, die in der Lage sind, stabile Koalitionen zu bilden."

    Doch die großen Parteien, die früher die Mehrzahl der 120 Sitze des israelischen Parlaments unter sich verteilt hatten, gibt es schon lange nicht mehr. Selbst die Arbeitspartei, die jahrzehntelang die Regierung gestellt hat, ist inzwischen fast zu einer kleinen Partei zusammengeschrumpft.

    Stattdessen kommen bei jedem Wahlgang neue Parteien in die Knesset, oftmals Nischenparteien, die nur sehr eingeschränkte Ziele haben und meist bald wieder von der politischen Bühne verschwinden. Wie die Rentnerpartei.

    Sie errang bei der letzten Wahl im Jahr 2006 aus dem Stand sieben Mandate, mehr als sie Kandidaten aufgestellt hatte. Vor allem junge Leute gaben der Liste ihre Stimme. Unter den Yuppies in Tel Aviv war sie der Hit schlechthin. Der Politikwissenschaftler Shlomo Avinery ärgert sich über ein solches Wahlverhalten.

    "Wir müssen entscheiden, welche Regierung wir wollen, eine linke oder eine rechte Regierung. Eine Regierung, die sich dem Friedensprozess widmet oder eine Regierung, die sich der Siedlungspolitik widmet, eine Regierung, die der arabischen Bevölkerung gegenüber feindlich eingestellt ist oder nicht.

    Es gibt Leute, die sitzen in den Kaffeehäusern und sagen sich, wir wollen die Leute von dieser netten Partei wählen, die sind so nett, die sind grün oder gelb oder was auch immer.

    Aber es geht nicht darum, wen man mag, sondern, wer die nächste Regierung bilden wird. Das ist eine verantwortungsvolle Entscheidung, und wer für diese extremen Nischenparteien stimmt, der entzieht sich dieser staatsbürgerlichen Verantwortung."

    Alle zwei bis drei Jahre gibt es vorgezogene Neuwahlen. Manchmal sogar in noch kürzeren Abständen. Neue Politiker aber gibt es kaum.

    Auch diesmal wieder stellen sich mit Benjamin Netanjahu und Ehud Barak zwei ehemalige Ministerpräsidenten zur Wiederwahl, die in der israelischen Öffentlichkeit als gescheitert galten.

    Beide nehmen für sich in Anspruch, dass sie sich "geändert" haben, dass sie aus ihren Fehlern gelernt haben und dass sie geläutert in die Politik zurückgekehrt sind und über reiche Erfahrung verfügen.

    Ein Internet-Werbespot des Likud. Parteichef Benjamin Netanjahu will siegen wie Barack Obama in den USA. Deshalb hat Netanjahus Kampagnenbüro sich Methoden des erfolgreichen Charismatikers abgeschaut.

    50 Prozent des Wahlkampfbudgets fließen in die Internet-Werbung. Der Likud hat extra 20 Mitarbeiter angestellt, die die Seiten gestalten - auf Hebräisch für die Mehrheit im Lande und auf Russisch für die Einwanderer aus der früheren Sowjetunion. Auch die Regierungspartei Kadima investiert ein Drittel des Budgets in den Internet-Auftritt, die linksliberale Meretz mindestens genauso viel.

    Wahlkampf in Israel - das war in früheren Jahren eine kollektive Aufregung des ganzen Landes, eine Mischung aus Hysterie und Unterhaltung. In diesem Jahr ist das anders. Auf den Straßen sieht man kaum Wahlkampf-Stände oder Bühnen der Parteien.

    Die Moderatoren einer abendlichen Nachrichtensendung im staatlichen Fernsehen beklagen die Langeweile des Wahlkampfs, sehnen sich nach dem alten Recken Ariel Scharon und seinen markigen Sprüchen.

    Auch der schmissige Fernseh-Wahlspot der nationalreligiösen Partei "habait hajehudi", "das jüdische Haus", vermag nur wenige Zuschauer zu begeistern. Früher waren die gegenseitigen Anschwärzungen der Parteien in der Fernseh-Wahlwerbung ein Gesprächsthema unter Israelis.

    Die Kadima-Chefin Zippi Livni tourt in weißer Jeansjacke durch die Clubs von Tel Aviv, und Ehud Barak präsentiert sich in Radio-Spots auf Russisch als aggressiver Führer und Feldherr - ganz nach russischem Geschmack. Der Verteidigungsminister hat durch den Gaza-Krieg die Aussichten der Arbeitspartei wieder etwas verbessert.

    Darum bemühte sich auch Außenministerin Livni. Als Mitglied des Sicherheitskabinetts gehörte sie zu denen, die noch vor wenigen Tagen Krieg führten und damit Punkte im Wahlkampf sammelten. Während einer Pressekonferenz mit Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier in Jerusalem, kurz vor dem Ende des Gaza-Krieges, trat sie wie bei einem Wahlkampfauftritt ans Pult.

    "Von dem Augenblick an, als die Luftwaffe startete, am Samstag um 11 Uhr 30, am selben Abend war bereits die erste Sitzung des Sicherheitskabinettes, und von diesem Tag an saßen wir da, ich mit den Vertretern des Außenministeriums, mit dem Ministerpräsidenten und anderen, um der Armee zur Verteidigung Israels zu ermöglichen, was sie in der Lage ist zu tun - und das ist: den Terror zu bekämpfen. Und das haben wir in den vergangenen zwei Wochen Tag für Tag und Stunde für Stunde getan."

    Zippi Livni gibt sich gern als unnachgiebige Politikerin, die genauso kriegsbereit und hart ist wie ihre männlichen Kollegen. Damit trifft sie durchaus die Stimmung in Israel.

    Eines ist schon vor dem Urnengang klar: Israel wählt rechts. Die drei großen Parteien sind alle in den letzten Monaten nach rechts gerückt und kaum noch voneinander zu unterscheiden. Und 70 Prozent der Israelis ordnen sich selbst dem rechten Lager zu, erklärt die Politikwissenschaftlerin Orith Galili.

    "Es gibt hier in Israel eine sehr seltsame Wirklichkeit, dass man der Linken die Legitimation zugesteht, Kriege zu führen und der Rechten die Kompetenz, Frieden zu schließen. Wer hätte einem Likud-Verteidigungsminister zugestanden, einen solchen Krieg zu führen? Niemand. Das wäre unmöglich gewesen. Nur ein Verteidigungsminister von der Arbeitspartei konnte sich das leisten das ist die Realität."

    Der Gazakrieg hat der Arbeitspartei, die im November letzten Jahres im freien Fall zu sein schien, mindestens fünf zusätzliche Mandate eingebracht. Trotzdem hat von der dreiwöchigen Offensive derjenige am meisten profitiert, der an den Entscheidungen, die zum Krieg führten, gar nicht beteiligt war: Oppositionsführer Benjamin Netanjahu.

    Seine Likud-Partei scheint schon vor der Wahl als Sieger festzustehen. Netanjahus Drohungen in Richtung Hamas kommen in Israel gut an, besonders in der südisraelischen Stadt Ashkelon am Tag eines erneuten Raketeneinschlags aus Gaza.

    Benjamin Netanjahu: "Wir brauchen hier eine grundlegende Änderung der Politik. Und es gibt nur eine Möglichkeit, wie wir langfristig die Bedrohung ausschalten können, indem wir die Regierung der Hamas stürzen. Ich verspreche Ihnen, Herr Bürgermeister, eine Regierung unter meiner Führung wird zum Zusammenbruch der Hamas-Regierung führen. Das ist unsere Politik, und das werden wir tun."

    Das sind die Töne, die man in Israel derzeit gerne hört und die man vor allem von einem zu hören bekommt: von Avigdor Liebermann, dem russisch-stämmigen Chef der Partei "Unser Haus Israel".

    Fast über Nacht ist der Politiker, der aussieht wie der sprichwörtliche russische Bösewicht in einem Spionagethriller, zu einem Star geworden. Bis vor kurzem galt er noch als das Schmuddelkind der israelischen Politik, mit dem man sich nicht zeigen wollte.

    In der letzten Woche aber, bei der renommierten internationalen Konferenz in Herzliya, zu der jedes Jahr hochrangige Gäste aus der ganzen Welt anreisen, war er der zentrale Redner und unterhielt das Publikum mit launigen Anspielungen auf seinen schlechten Ruf.

    "Ich lese heute in der Zeitung, dass Barak fragt, wann Liebermann zum letzten Mal eine Waffe in der Hand hatte und jemanden erschossen hat. Ich empfehle ihm, sich an die Staatsanwaltschaft zu wenden. Die wollen mir ja auch den Mord an dem jüdischen Politiker Arlosoroff aus dem Jahr 1933 anlasten."

    Liebermann vertritt eine offen rassistische und anti-arabische Politik. Die arabischen Staatsbürger Israels möchte er am liebsten in die palästinensischen Autonomiegebiete abschieben, Gaza wollte er mit einer Atombombe auslöschen und auch Teheran und den Assuan-Staudamm in Ägypten würde er gern in Schutt und Asche legen. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen liegt er derzeit bei den Wählern im Trend.
    In den letzten Wochen ist es Liebermann gelungen, Wähler aus allen politischen Lagern für sich zu gewinnen. Sogar Linke, die früher die kleine Meretz-Partei gewählt haben, fühlen sich inzwischen bei ihm besser aufgehoben. Wie ist das möglich? Orith Galili hat eine Erklärung.

    "Wie immer schaut man im Staat Israel auf die USA und hofft, dass dort jemand bestimmt, was hier getan werden muss. Die neue Regierung und der neue Präsident werden entscheiden, wie es hier weitergeht. Die Israelis in ihrer Dummheit glauben, dass auch wenn sie Netanjahu oder Liebermann ihre Stimme geben, diese beiden trotzdem letztendlich das amerikanische Diktat für eine Lösung des Konflikts akzeptieren werden."

    Wenn ein in den Augen der Israelis starker Führer sich dem Druck der Amerikaner beuge, dann werde das von der Öffentlichkeit eher hingenommen, als wenn ein linker Politiker aus eigenem Antrieb Zugeständnisse an die Palästinenser mache, so die Politikwissenschaftlerin.
    Der frühere Meretz-Politiker Yossi Sarid, der seit seinem Ausscheiden aus der Knesset als Kolumnist für die Tageszeitung Haaretz schreibt, warnte kürzlich, dass in Israel der Faschismus Einzug halte, und forderte die gemäßigten Kräfte in Israel auf, Liebermann zu stoppen. Doch die denken gar nicht daran.

    Wenige Tage vor der Wahl überbieten sie sich gegenseitig mit Koalitionsangeboten an den Rechtsaußen. Ist Israel auf dem Weg in den Faschismus? Nein, sagt Orith Galili entschieden.
    "Ich glaube das nicht, wirklich nicht. Ich glaube, es gibt nicht viele Israelis, die dagegen protestieren werden. Ich glaube, viele Israelis wissen, dass dies das Ende des Staates Israel wäre. Und ich glaube nicht, dass dies der Beginn des Faschismus ist."