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Taupunkt

Ob Gletscher, die Eispanzer Grönlands oder der Antarktis: sie alle schmelzen schneller und schneller. Schwindet zudem das Eis auf dem Ozean, kann das freigelegte Wasser darunter immer mehr Sonnenenergie absorbieren – eine zusätzliche Verstärkung des Klimawandels.

Von Monika Seynsche | 11.11.2013
    Bis in die 1980er-Jahre hinein war der Arktische Ozean selbst im Hochsommer von einer acht Millionen Quadratkilometer großen Eisfläche bedeckt. Seitdem gehe es bergab, sagt Josefino Comiso. Der Meereisforscher am Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt ist einer der Hauptautoren des Eis- und Schnee-Kapitels im aktuellen Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC.

    "Das mehrjährige Eis, also die Eisfläche, die den Sommer überdauert, nimmt pro Jahrzehnt um etwa 900.000 Quadratkilometer ab. Das ist fast dreimal die Fläche Deutschlands, also ein wirklich großes Stück der arktischen Meereisdecke."

    Heute ist gerade noch die Hälfte der ursprünglichen Eisfläche übrig. Das ist schlecht für Eisbären, Walrosse und jene Robbenarten, die auf das Eis als Lebensraum angewiesen sind, aber es wirkt sich auch negativ aufs Klima aus.

    "Das Meereis ist ein wichtiger Teil des Klimasystems, indem es zur Kühlung der Erde beiträgt. Je mehr Eis verschwindet, desto mehr dunkler Ozean liegt frei, der mehr Sonnenenergie absorbieren kann. Dadurch verstärkt der Meereisschwund die globale Erwärmung."

    Was wiederum dazu führt, das noch mehr Eis auf dem Arktischen Ozean schmilzt. Und auch den Berggletschern mache die globale Erwärmung zu schaffen, sagt der Direktor des Weltgletscherbeobachtungsdienstes WGMS, Michael Zemp von der Universität Zürich.

    "Es gibt weltweit ungefähr 200.000 Gletscher oder Eiskappen. Wenn man das alles jetzt wegschmelzen würde, lässt das den Meeresspiegel um einen halben Meter ansteigen. Das passiert natürlich nicht so schnell. Im Moment tragen die Gletscher circa einen Millimeter zum Meeresspiegelanstieg bei."

    Den neuesten Zahlen des Weltklimarates zufolge verlieren die Gletscher in den Gebirgen der Erde pro Jahr mehr als 300 Gigatonnen Eis in Form von Schmelzwasser. Das ist mehr als das Vierfache dessen, was der Rhein jedes Jahr in die Nordsee spült.

    "Nach dem letzten Klimabericht, der ja jetzt vor ein paar Wochen publiziert wurde, geht man davon aus, dass bis zum Ende des 21. Jahrhunderts etwa zehn bis 30 Zentimeter Meeresspiegelanstieg von den Gletschern resultieren wird."

    In den trockenen Regionen Zentralasiens und der Anden bilden die Berggletscher darüber hinaus wichtige Wasserspeicher. Verschwinden sie, fehlt das Trinkwasser für viele Millionen Menschen. Gleichzeitig werden die Berge gefährlicher. Denn das Eis der Gletscher und der gefrorenen Böden stabilisiert die Gebirgshänge. Je stärker sich die Gletscher zurückziehen, desto häufiger kommt es zu Bergstürzen mit teils dramatischen Folgen. Und das ist noch nicht alles. Denn neben den vielen, aber relativ kleinen Berggletschern gibt es noch Grönland und die Antarktis. Diese beiden riesigen Eispanzer sollten eigentlich relativ träge auf die Klimaveränderungen reagieren. Seit einigen Jahren sei das aber nicht mehr der Fall, warnt der Gletscherforscher und IPCC-Autor Eric Rignot von der Universität von Kalifornien in Irvine. Noch in den 1990er-Jahren verloren beide Eispanzer gerade einmal um die 30 Gigatonnen pro Jahr. Mittlerweile - das belegen Satellitenmessungen - hat das Tempo deutlich zugelegt.
    "Heute schwinden in Grönland jährlich zwischen 200 und 250 Gigatonnen Eis. In der Antarktis ist der Verlust etwas geringer. Dort sind es etwa 150 Gigatonnen pro Jahr."

    Würden die Eispanzer Grönlands und der Antarktis komplett schmelzen, wäre ein Meeresspiegelanstieg von mehr als 70 Metern die Folge. Das hält Eric Rignot für unwahrscheinlich, aber er drängt darauf, die Dynamik nicht zu unterschätzen.

    "Die beiden Eisschilde verändern sich heute schon stärker und schneller als wir erwartet hatten. Wenn sich das Klima weiter erwärmt – und wir sind ziemlich sicher, dass es das tun wird, da die Kohlendioxidemissionen nicht einmal ansatzweise zurückgehen – sollten wir uns darauf einstellen, dass sich Grönland und die Antarktis noch viel stärker verändern werden, als sie es bislang schon getan haben. Was wir in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten gesehen haben, war erst der Anfang. Und der war schon heftiger und schneller als vorhergesagt. Wir müssen also sehr vorsichtig sein, was als nächstes kommt."

    Hinweis: Die ist der dritte Teil der Sendereihe Die Erde im Schwitzkasten.