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Tauziehen um die Ostsee-Pipeline

Widerstand gab es gegen die geplante Ostsee-Pipeline für russisches Erdgas nach Deutschland von Anfang an. Zu den politischen Vorbehalten kommen jetzt auch wirtschaftliche und ökologische Argumente. Eines lautet: In der Ostsee lägen zu viele Schiffswracks und zu viel alte Munition, um hier eine Pipeline zu verlegen. Ein Bericht von Doris Simon.

    Wer Fragen zur Ostsee-Pipeline hat, bekommt in diesen Wochen sehr schnell einen Termin bei Europaabgeordneten aus dem Ostseeraum: Die dicke Röhre, die auf dem Boden des Meeres Erdgas vom russischen Hafen Vyborg bis ins deutsche Lubmin transportieren soll, ist dort ein wichtiges Thema. Im Europaparlament beschäftigen sich gleich drei Ausschüsse mit dem Projekt des deutsch-niederländisch-russischen Konsortiums Nordstream: Die Federführung in Brüssel hat der Petitionsausschuß. Ihm sitzt Marcin Libicki von der polnischen PiS-Partei vor, er ist auch Berichterstatter für das Thema Ostsee-Pipeline. Libicki fordert die Abgeordneten auf, bei ihren nationalen Regierungen darauf zu drängen, mit jedem verfügbaren rechtlichen Mittel gegen die Ostsee-Pipeline zu kämpfen: Sie sei eine Bedrohung für die Natur und Bewohner der Region.

    "Dieser Berichtsentwurf basiert auf den Petitionen, die wir aus Polen und von tausenden von Litauern bekommen haben. Sie alle fürchten, dass die Ostsee-Pipeline eine große Gefahr für die Umwelt darstellten wird."

    Darüber hinaus haben die Europaabgeordneten aus Polen und den baltischen Staaten grundsätzliche Bedenken gegen die Ostsee-Pipeline: Diese umgehe gezielt ihre Länder, und damit wachse die Gefahr, dass Russland ihnen umso leichter den Gas- und Ölhahn abdrehen könne. Der estnische Sozialdemokrat Andres Tarand kümmert sich im Industrieausschuss um das Nordstream-Projekt.

    "Die Vergangenheit prägt Menschen überall auf der Welt. Russland wollte unter Putin wieder zu einem Großrussland werden, und das macht es etwas aggressiv. In unserer Region gibt es da historisch begründete Ängste."

    Die litauische Europaabgeordnete Danute Budreikaite schildert ihren Kollegen im Europaparlament immer wieder, wie gefährlich einseitige Abhängigkeit von Russland sein kann: Ihr Land lebt allein von russischer Energie. Seit die Russen den Litauern den Ölhahn abgedreht haben, liegt die wichtigste Raffinerie des Landes brach. Doch die EU ziehe daraus keine Lehren, klagt Budreikaite:

    "Wir sind weit weg, wir sind ein kleines Land, das ist ein kleines Problem, das keinen interessiert, heißt es. Man will die Probleme nicht verstehen, dabei sind sie auch eine Bedrohung für die alten EU-Länder. Deutschland wird sehr viel abhängiger sein als sich das dort jemand vorstellen kann."

    Der estnische Europaabgeordnete Andres Tarand hat in den letzten Wochen viel Besuch gehabt. Sein Bericht im Industrieausschuss möge nicht zu kritisch ausfallen, wurde er auch von deutschen Kollegen gebeten, schließlich brauche Europa das russische Gas. Das sieht auch Andres Tarand so. Doch die wirtschaftlichen Argumente, die die Betreiber für den Bau quer durch die Ostsee vorbringen, überzeugen den estnischen Europaabgeordneten nicht:

    "Die Kosten für den Bau im Meer nehmen ständig zu, die Landverbindung wäre viel billiger- und da fragt man sich: Warum die Pipeline im Meer, wenn dort die nötige Tiefe fehlt und die Ostsee jetzt schon stark verschmutzt ist?"

    Wenn die Pipeline über Land verlaufe, quer durchs Baltikum und durch Polen, sei das viel besser für Natur und Umwelt, resümiert der estnische Europaparlamentarier. Schließlich sei überall in der Ostsee gefährliche Alt-Munition versenkt, berichtet Tarand, an vielen Stellen lägen Schiffswracks auf dem flachen Grund. Ein mögliches Leck in der Pipeline werde katastrophale Folgen haben für Natur und Menschen in der Gegend. Unabhängig davon habe das deutsch-russische Projekt auch einen moralischen Hautgout, findet Andres Tarand, es widerspreche der postulierten EU-Energiesolidarität. Aber der frühere estnische Ministerpräsident weiß, dass diese Bedenken am Ende nicht zählen:

    "Die Europäische Kommission hört allein auf das Umweltargument: Wenn da die Bedingungen nicht stimmen, das hat uns EU-Kommissar Dimas versprochen, wird das Projekt gestoppt."

    Das Umweltargument ist inzwischen die stärkste Waffe der Pipelinegegner. So wird Schwedens Umweltminister, der das Nordstreamprojekt für den schwedischen Meeresabschnitt genehmigen muss, überhäuft mit kritischen Stellungnahmen von Behörden und Organisationen. Das Genehmigungsverfahren könne sich jahrelang hinziehen, heißt es inzwischen aus Stockholm. Damit wäre aber der Terminplan der Pipeline-Betreiber nicht mehr zu halten: Sie wollen von 2011 an Gas nach Deutschland liefern.